Sehr geehrte Damen und Herren,
die zuständigen Gremien Ihrer Parteien haben beschlossen, in Koalitionsgespräche zur Bildung einer neuen Bundesregierung einzutreten. Der Beginn der Verhandlungen steht unmittelbar bevor. In den vorausgegangenen Sondierungsgesprächen wurde Einvernehmen darüber erzielt, „… den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde …“ zu erhöhen.
Als Präsident des Provinzialverbandes Rheinischer Obst- und Gemüsebauer, der berufsständischen Interessenvertretung der Obst- und Gemüseerzeuger im rheinischen Landesteil Nordrhein-Westfalens, bitte ich Sie dringend, sich gegen eine solche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns einzusetzen. Die angestrebte Erhöhung auf 12 Euro je Stunde hätte gravierende Auswirkungen auf den Obst- und Gemüsebau im Rheinland, in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland. Schon jetzt müssen sich unsere Mitgliedsbetriebe starker Konkurrenz aus Billiglohnländern erwehren.
Insbesondere Kulturen, die druckempfindliche Früchte erzeugen und demzufolge nicht mechanisch sondern nur von Hand zu ernten sind, stehen hierdurch unter enormem Druck. Sie werden bei fortschreitenden Lohnkostensteigerungen zukünftig in unserer Region nicht mehr angebaut. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen: Während die Anbaufläche von Einlegegurken in den 1990er Jahren im Rheinland noch ca. 1.000 ha betrug, ist diese Kultur mittlerweile fast vollständig von hier verschwunden. Die Einlegegurken zur Verarbeitung werden aus der Türkei oder Indien importiert, weil sie dort unter niedrigsten Lohnbedingungen erzeugt werden können. Ein ähnliches Schicksal droht den bei Verbraucherinnen und Verbrauchern immer beliebter werdenden Kulturen wie Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren, die seit einigen Jahren verstärkt in unserer Region angebaut werden. Deren Früchte müssen ebenfalls manuell geerntet werden, eine Einsparung von Arbeitszeit durch eine Mechanisierung der Ernte ist nicht möglich.
Die hierzulande entstehenden Lohnkosten liegen wegen der zuletzt vorgenommenen Erhöhungen des Mindestlohnes bereits heute über denen der Konkurrenzanbaugebiete. In den letzten Jahren sind in Nordafrika und Südeuropa hunderte Hektar Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren aufgepflanzt worden. Ergänzt durch Importe aus Südamerika werden diese Früchte mittlerweile ganzjährig im deutschen Lebensmitteleinzelhandel angeboten. Sie verdrängen einheimische Erzeugnisse, deren Anbaubedingungen den höchsten Anforderungen entsprechen und die auf kurzen Transportwegen klimafreundlich in den Endverkauf gelangen.
Ähnlich verhält es sich auch mit Erdbeeren, Süßkirschen und vielen Gemüsekulturen. Immer häufiger müssen sich unsere deutschen Lieferanten einem Preiskampf stellen, den sie wegen der niedrigeren Lohnkosten in Konkurrenzländern nicht gewinnen können. Bei einer Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes auf das angestrebte Niveau ist der Wegfall der genannten Kulturen unausweichlich. So muss ich folgende Fragen an Sie stellen: Wollen Sie, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher an Rhein und Ruhr auch weiterhin regional erzeugtes Obst und Gemüse mit höchster Qualität und kurzen Transportwegen einkaufen können? Wollen Sie, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auch weiterhin auf Obst und Gemüse zurückgreifen können, das nach deutschen Umwelt- und Sozialstandards angebaut wird? Wollen Sie den Anbau von Obst und Gemüse in Ihrer Region und damit den heimischen Erzeugern die wirtschaftliche Existenz sichern? Wollen Sie die durch den Anbau von Obst und Gemüse geprägte Kulturlandschaft im Rheinland erhalten? Wenn Sie diese Fragen mit „Ja“ beantworten, müssen Sie sich für den Erhalt des Obst- und Gemüsebaus im Rheinland einsetzen.
An erster Stelle steht hier, eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes über die von der Mindestlohnkommission ohnehin schon beschlossenen Erhöhungen hinaus zu verhindern. Ein Stundenlohn von mindestens 12 Euro wäre das Aus für viele Obst- und Gemüsekulturen, die im Rheinland bestens gedeihen. Er bedroht damit auch die Existenz einer ganzen Branche. Boden, Klima, Technik und Know-How ermöglichen den Anbau in unserer Region. Es liegt jetzt an Ihnen, ob der Anbau von Obst und Gemüse im Rheinland eine Zukunft hat!
Sorgen Sie dafür, dass bei den jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen nicht in der Arbeitsgruppe „Landwirtschaft und Ernährung“ nachhaltige regionale Erzeugung und Verbrauch gepriesen und gefördert werden, zeitgleich in der Arbeitsgruppe „Arbeit“ mit der Anhebung des Mindestlohnes dem regionalen Obst- und Gemüseanbau das Grab geschaufelt wird!