Manchmal ist das ja so eine Sache mit dem Rauschen. Also a) mit dem, das aus etwas heraus kommt und b) mit dem, das erst kommt, wenn etwas geht – und zwar ziemlich schnell von einem Ort zum anderen. Der Wind in den Bäumen, der mit den Blättern spielt, der Wasserfall, das Meer und die Brandung, die Autobahn, die Klospülung, der Regen, das Blut in meinen Ohren. Ähm… Bei diesem Gedanken wird mir wie sonst beim Anblick von Blut schlecht und deshalb schlagartig klar: Rauschen ist irgendwie Hören und Sehen gleichzeitig. Jedes hörbare „Rauschen“ ist immer auch mit Bildern verknüpft: Wald und Sturm, Straße und Verkehr, Strand und Wasser, Blut und… lassen wir das. Ohne Bilder ist es scheinbar genauso schwer, Rauschen zu identifizieren wie mit verbundenen Augen Obstsorten und Gewürze zu erkennen.
Auf der Suche nach Bestätigung meiner plötzlichen Erkenntnis müssen nach dem Duden weitere Nachschlagewerke herhalten. Klar ist erst einmal, dass nicht jedes Geräusch ein Rauschen ist – und nicht jedes Rauschen ein Geräusch ist. Vertraut ist mir das Bildrauschen in der Digitalfotografie. In der Jägersprache bezeichnet das Rauschen die Paarungsaktivität des Schwarzwildes. In der Seemannssprache ist das Rauschen das Herausgleiten eines Endes an einem lockeren oder fehlerhaften Knoten. Und in der Mathematik beschreibt „Weißes Rauschen“ ein Modell zur Beschreibung zufälliger Schwankungserscheinungen. Ähm… Kommt daher vielleicht „sich einen Rausch antrinken“? Per physikalischer Definition ist Rauschen eine „allgemeine Störgröße mit breitem unspezifischen Frequenzspektrum“. Was so theoretisch daherkommt, wird mir als praktisches Bild sofort klar, als ich mich an eine Zeit erinnere, in der Fernsehkanäle noch nicht rund um die Uhr gesendet haben: das Testbild rauschte hör- und sichtbar vor sich hin. Auch in den Kopfhörern meines alten Walkman rauschte es zwischen den auseinandergestückelten und neu zusammengefügten Songs von Bronski Beat, Billy Idol und Depeche Mode, weil bei den Tonaufnahmen von Kassette zu Kassette die vom Tonkopf produzierte Geräuschkulisse nicht nur mitwanderte, sondern sich potenzierte. Ebenso antiquiert wie mein Kassettenrauschen dürfte heute das „Komfortrauschen“ sein: künstlich erzeugtes Rauschen als Indikator für eine bestehende Telefonverbindung. Diesen Komfort wünsche ich mir heute allerdings manchmal zurück, um unterscheiden zu können, ob die plötzliche Stille am anderen Ende der Leitung von mir erzeugte Sprachlosigkeit oder ein Funkloch ist. Das älteste Rauschen der Welt dürfte wohl das „Kosmische Hintergrundrauschen“ sein. Es befindet sich überall und kommt aus allen Richtungen als Überbleibsel des Urknalls. Das hätte ich mal früher wissen sollen. Einst mitten in den einsamen Wäldern Kanadas hat mich die plötzliche Erfahrung der totalen Geräuschlosigkeit bei Windstille ziemlich erschreckt. Mit dem kosmischen Hintergrundrauschen als Hintergrundwissen in meinem Hinterkopf hätte ich diese bisher einmalige Erfahrung sicherlich mehr genießen können. Und auf einmal und schlussendlich offenbart sich mir der überzeugendste Beweis meiner berauschenden Erkenntnis beim Blick in das Fremdwörterlexikon. Im englischsprachigen Raum heißt das Rauschen „visual noise“… Na bitte. Ich rausche dann mal ab…