Broich hat zwar keinen Nahversorger im eigentlichen Sinne, aber der Ort ist bekannt für sein Obst, für den Biohof und das lebendige Maibrauchtum. In seiner zweiten Amtszeit steht Wolfgang Schiffer als Ortsvorsteher des 1100-Seelen-Stadtteils. Er weiß, was das Dorf im Innersten zusammenhält und wie man es zusammenhält. Begegnung ist wichtig, auch wenn es gar nicht so einfach ist, das zu ermöglichen.
Vor allem viele „Steine“ bewegen gerade Broich. „Der große Aufreger war natürlich der Abriss des Pfarrhauses“, berichtete Wolfgang Schiffer. Einerseits, weil es ein geschichtsträchtiges Gebäude ist, andererseits aber auch, weil die Räumlichkeiten des ehemaligen Jugendheims ebenfalls ein Opfer der Abrissbirne wurden und damit Versammlungsräume für die Kirchengemeinde und die Jugendarbeit vor Ort verloren gingen. In direkter Nachbarschaft soll demnächst ein neues Feuerwehrgerätehaus entstehen. Hier wird auch die Kirchengemeinde wieder neue Räume finden. Raumteilung ist das Stichwort – so jedenfalls lautet der Plan. Derzeit laufe die Ausschreibung. Ein Baubeginn vor 2024 ist also nicht wahrscheinlich.
Natürlich gibt es noch die Mehrzweckhalle, die vor allem im Karneval stark genutzt wird. „Wir können froh über die Halle sein – andere Gesellschaften müssen in die Muschel ausweichen“, gibt Schiffer zu. Die Halle befindet sich allerdings im Besitz der Stadt Jülich, die auch für die Vermietung zuständig ist. So steht sie nicht „frei“ zur Verfügung. Viel, so Schiffer, sei dort von den ortsansässigen Vereinen in Eigenleistung verbessert worden, etwa die Erweiterung des Kühlhauses und die Verkleidung der Theke mit Edelstahl sowie eine neue Zapfanlage. Aber auch diese Arbeiten sind schon rund 20 Jahre her und in die Jahre gekommen. 350 „neue“ Stühle kamen zuletzt hier einer neuen Nutzung zu, die vor dem Abriss der Stadthalle Jülich in selbiger standen, ebenso wie die Musikanlage und Lichtanlage. „Normalerweise müssten die Fenster saniert werden“, legt der Ortsvorsteher den Finger in die Wunde. Offen ist die Frage ist, wer die Finanzierung übernehmen soll.
Da es seit Ende 2021 keine Kneipe im landläufigen Sinne mehr gibt, mangelte es den Broichern auch an einer „Theke“, um die sich die Vereine versammeln konnten. Lange mit „mulle“ halten sich die Broicher aber nicht auf: Sie schufen in der ehemaligen Schule an der Kapellenstraße, in der schon die Schützen ihren Schießstand hatten, in Eigenleistung einen „Bürgertreff“. Hier ist jetzt der neue Ort an dem die Broicher Vereinswelt sich regelmäßig zusammenfindet. „Also Türe auf, reinkommen, Bierchen trinken, zusammen sein, gesellig sein. Denn es ist ja ein aktives Dorf“, sagt Schiffer schmunzelnd. Die Küche aus dem alten Jugendheim wurde eingebaut, die Decke isoliert, Beleuchtung und Strom verlegt und ein großer Fernseher ermöglicht auch ein „public-viewing“ an Bundesliga-Tagen. „Die Stadt hat außerdem neue Fenster spendiert“, lobt der Ortsvorsteher. Die ausgebauten waren noch „aus dem Krieg“, also energetisch eher überholt.
Auch wenn die Vereine diesen neuen Mittelpunkt gerne nutzen ist auch in Broich ein Fakt, dass die Vereinslandschaft sich derzeit sehr im Umbruch befindet: Es gibt sieben aktive Vereine, denen der Nachwuchs fehlt. Dabei blicken sie auf lange Traditionen zurück: Das Trommler- und Pfeifercorps feiert in diesem Jahr 100-jähriges Bestehen; die KG Stopp dä Mutz blickt auf die kommende 11 x 11. Session voraus und der SV Frankonia besteht seit 1906, hat aber den Spielbetrieb inzwischen eingestellt. Nur, weil sich „in der letzten Minute“ noch Ehrenamtliche finden, die in die Bresche springen, hat bislang noch kein Verein seine Aktivitäten völlig einstellen müssen.
Das ist aber nicht der einzige Neubau, der derzeit in Broich ansteht: Der Kreis Düren als Träger der Kindertagesstätte „Purzelbaum“ plant einen Neubau der Einrichtung für vier Gruppen an der Broicher Straße hinter der Mehrzweckhalle. Der aktuelle Bau an der Kapellenstraße erfüllt nicht mehr die Standards, was vor allem für den Brandschutz gilt. Mit Kopfschütteln berichtet Wolfgang Schiffer über das Provisorium: Über metallene Außentreppen sind Fluchtwege geschaffen worden. Sie liegen aber so hoch, dass die Kinder aus den Fenstern gehoben werden müssen, um im Notfall das Gebäude verlassen zu können. Unkompliziert ist die Planung für einen Neubau aber auch nicht, denn das Baugebiet liegt bereits im Naturschutzgebiet, von dem Broich westlich begrenzt ist.
Die Frage steht im Raum, was mit dem freiwerdenden Areal an der Kapellenstraße passieren wird? Und im Ganzen gedacht geht es dann auch um die benachbarte alte Schule, also den Bürgertreff. Das Gelände gehört der Stadt – eines der wenigen Grundstücke in öffentlicher Hand. Hier könnte ein neues Wohnhaus entstehen. Die meisten frei in Broich zur Verfügung stehenden Flächen sind im Privatbesitz. Der Boden ist in der Hand von Landwirten, die keine Not oder Notwendigkeit sehen, sich davon zu trennen. Räumlich ist Broich auf der anderen Seite in seiner Erweiterung durch die Autobahn begrenzt, erläutert Schiffer. Damit ist auch das Thema „neues Baugebiet“ in Broich ein problematisches, wie der Ortsvorsteher weiß. Hier geht es eher um „Lückenschluss“ oder Wohnraumverdichtung. Apropos Verdichtung: Hier wie anderorts machen die schmalen Straßenführungen das Parken zum Problem. „Den neuen Amtsleiter des Ordnungsamts“, merkt Schiffer kritisch an, „hätte ich mal gern hier gesehen.“ Er hätte sich eigentlich mal bei jedem Ortsvorsteher vorstellen und eine Tour durch die Dörfer „begehen“ sollen. Das sei ein Thema für die Ortsvorsteher-Sitzung.
Die Entscheidung für neue Baugebiete hängt natürlich auch mit der Lage zusammen und die ist zuweilen heikel. Das Wort „Broich“ bedeutet so viel wie „feuchte Wiese beziehungsweise Bruch- oder Sumpflandschaft“ und wenn es heftig regnet, dann geht der Blick der Dörfler zuweilen sorgenvoll gen Himmel. Beim „Jahrhundertregen“ 2008 ist das Dorf förmlich geflutet worden, zuletzt wälzten sich Wassermengen im Juni 2023 durch die Straßen. Von den Feldern in Hanglage Richtung Broich läuft das Wasser bis in Richtung Baggersee. Dass die Keller volllaufen muss eigentlich nicht extra erwähnt werden. Ein Hochwasserexperte hatte bereits bei der Jahrhundertflut vor 15 Jahren darauf hingewiesen, dass das Pflügen gegen die Fließrichtung „bergab“ Einfluss nehmen könne und man auch auf Alteingesessene hören solle, was die Positionierung von Neubauten angehe. Dem möchte Ortsvorsteher Schiffer nicht zustimmen. Er sieht die Ursache eher in den langen Trockenphasen, weshalb die Böden das Wasser nicht aufnehmen können. Und wenn es einmal läuft, ist es halt nicht zu stoppen. Kritisch sieht er auch die Lösung, durch so genannte „Kissen“, die in den Brückenunterführungen gestapelt werden, das Wasser aufzuhalten. Vielmehr werde der Druck irgendwann so groß, dass die Wasserkissen mit Macht herausgedrückt würden und dann der Schlamm in einem Stoß ins Dorf ströme. „Dann schafft der Kanal es gar nicht mehr.“ Gegen stabile Wasser„schilde“, die unter den Brückenunterführungen angebracht werden, wehrt sich die Bahn aus Sorge, dass die Statik der Brückenpfeiler geschädigt werden könnte. Daher wäre Ortsvorsteher Schiffer für ein kontrolliertes abfließen ohne das Wasser zu „stauen“.
Ursprünglich sollten 2021 Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz begonnen werden. Ein jüngst anberaumter Termin mit der Stadt und dem Wasserverband sei abgesagt worden. Jetzt warte man auf einen neuen. Fest terminiert ist dagegen eine Informationsveranstaltung zum Thema Hochwasserschutz. Dazu lädt die Stadt am 12. Dezember in die Mehrzweckhalle.
Das Dorfentwicklungskonzept sieht der Ortsvorsteher auch eher kritisch. Den Amtsleiterwechsel mitten im Prozess findet er unglücklich. „Die Kommunikation dürfte deutlich besser sein. Meiner Meinung nach muss mehr von der Stadt kommen.“ Von den kurzfristigen Maßnahmen seien bis jetzt in Broich noch nicht viele umgesetzt.
Der Herzog stellt Fragen
Was muss in den Ortschaften rund um Jülich passieren, damit sie auch in Zukunft attraktive Wohnorte bleiben – oder sich dazu entwickeln? Laut Statistischem Bundesamt wird bis Mitte 2030 die Anzahl der Menschen im Rentenalter um etwa 20% steigen. Der Verkehr als größter Verursacher von Treibhausgasen, erfordert ein Umdenken, gerade bei der Anbindung der Dörfer an die Stadt – Stichwort Mobilitätswende. Die Stadt Jülich möchte außerdem wachsen, und potenzielle Neubürger brauchen Wohnraum. Gerade zugezogene Städter beteiligen sich aber oft weniger am Vereins- und Gemeinschaftsleben der Dörfer. Dafür Lösungen zu entwickeln ist unter anderem Aufgabe von Dorfentwicklungskonzepten. Wo der Schuh am meisten drückt, möchte der HERZOG mit den Ortsvorstehern in einer Artikel-Serie klären.