Start Magazin Gesundheit Von den Wahl-Innenansichten eines Jülicher „US-Amerikaners“ auf Heimatbesuch

Von den Wahl-Innenansichten eines Jülicher „US-Amerikaners“ auf Heimatbesuch

Von Deutschland aus beobachtet Marcel Wittfeld genau, was in seiner Wahl-Heimat Amerika geschieht – das gilt für die Pandemie wie natürlich auch für die Wahl, deren Ausgang derzeit noch offen ist. Seit dem Sommer sind er und seine Familie im selbstgewählten „Exil“ bei der Familie in Stetternich. Ein persönlicher Blick über „den großen Teich“.

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Familie Wittfeld beim Spaziergang im "Barmener Wald". Foto: privat
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„Uns hat in USA in diesem Jahr nichts mehr gehalten“, sagt Marcel Wittfeld, gebürtiger Jülicher Musiker, dessen Lebensmittelpunkt seit über zwei Jahrzehnten in Kalifornien ist. Wegen Corona haben er und seine Frau Nancy vorübergehend ihre berufliche Grundlage verloren. Sein Musikstudio und auch die zwei Standorte ihres „Spieleparadieses“ mussten sie vorerst schließen. Alle 20 Angestellten wurden entlassen. Das Wirtschaftsleben kam zum Erliegen. Als dann klar war, dass die Schulen bis Jahresende nicht mehr öffnen würden, hat das Ehepaar entschieden, mit ihren Kindern nach Deutschland zu reisen und die Auszeit vom Berufsleben positiv zu nutzen.

Die Schilderung klingt dramatischer, als es sich für die Familie tatsächlich darstellt, erläutert der Wahl-Amerikaner, der seit rund vier Jahren die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Die Innensicht stellt sich anders dar, als die Deutschen sie über die Medien wahrnehmen: Reichlich Finanzhilfen sind in den USA seit April zur Verfügung gestellt worden. „Jeder, der arbeitslos gemeldet war, bekam zusätzlich zur Arbeitslosenunterstützung 600 Dollar in der Woche.“ Eine üppige Finanzspritze für den Einzelnen. Ebenso wie viele Deutsche in ihrem Land fragt sich Wittfeld, wie diese Riesensummen aufgebracht werden. Denn darüber hinaus gab es staatliche Hilfen und Förderungen für die Geschäftstreibenden, denen die Einnahmen ausblieben.

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Die explodierenden Zahlen an Corona-Erkrankten in den USA kann er sich nicht erklären. Ja, Erkrankte kenne er auch und sagt: „Ich bin kein Corona-Leugner“, aber er nimmt die Realität anders wahr und bezweifelt eher die Statistik. Zwei Krankenhäuser, zum Beispiel die in Palm Springs vorbeugend für Corona-Infizierte errichtet wurden, seien nicht ausgelastet gewesen. Dem gegenüber stünden finanzielle Unterstützungen, die Krankenhäuser pro Corona-Patienten erhielten. Als Unternehmer beschäftigen ihn die wirtschaftlichen Folgen des Shutdown und auch die weit über die Pandemie hinausreichenden gesundheitlichen Folgen. „Ich habe zwei Bekannte, die sich das Leben genommen haben.“

Inzwischen hat sich für Familie Wittfeld ein Alltag in Deutschland eingestellt: Marcel geht gelegentlich seinen Eltern und der Schwester auf dem Margarethenhof zur Hand, Ehefrau Nancy unterstützt die Kinder und nutzt die Zeit auch für sich. Grundschüler Liam besucht die Welldorfer Grundschule und die Mädchen Leonie und Alaia das Mädchengymnasium. Zumindest zeitweise, denn die Familie genießt die gemeinsame Zeit auch, um Deutschland von Hamburg bis Freiburg zu bereisen und das Jülicher Land mit dem Fahrrad zu erkunden. Abends ab 18 Uhr steht „Homeschooling“ an. Die Schulen der Kinder in Los Angeles sind dann „online“, und vor allem die Mädchen, erzählt Marcel Wittfeld, wollten den Anschluss nicht verlieren.

Empört reagiert Marcel Wittfeld auf die aktuellen Aussagen des amtierenden Präsidenten, der von „Wahlbetrug“ spricht, von „illegalen Stimmen“ und Zweifel über den demokratischen Wahlprozess formuliert. „Er hat ja praktisch zum Bürgerkrieg aufgerufen“, zeigt sich Wittfeld entsetzt über die Vorgänge in dem Land, dessen Kultur und Lebensweise er so schätzen und auch lieben gelernt hat. Glücklicherweise würden Donald Trump offenbar die meisten US-Amerikaner wohl nicht mehr zuhören. Denn anders als noch vor einigen Tagen erwartet, seien die Unruhen im Land ausgeblieben. Ein Zeichen, dass gesunder Menschenverstand noch vorhanden sei, sei auch, dass Fernseh-Sender die Übertragung von Trump teilweise abbrachen, weil es für seine Behauptungen keinerlei Beweise gäbe. Ein dennoch unvorstellbarer Vorgang. „Ich stimme Stephen Colbert zu, der Donald Trump in seiner Show gestern Abend einen Faschisten genannt hat.“

Keineswegs erstaunt es Marcel Wittfeld im Gegensatz zu vielen Deutschen, dass Trump so viele Stimmen gekommen hat. Es gäbe eine Vielzahl von Amerikanern, die schon immer die Republikaner gewählt hätten. Sie wählten die Partei, nicht deren Repräsentanten. Parallelen zu Deutschland und kategorischen Anhängern von SPD oder CDU über Generationen hinweg lassen sich mühelos ziehen. Und immerhin, so gibt Demokraten-Anhänger Wittfeld zu bedenken, hätte es unter republikanischer Führung in den vergangenen Jahren Erfolge zu verzeichnen gegeben: Es sei zu keinen neuen Kriegshandlungen gekommen, der Wirtschaft sei es bis zur Pandemie sehr gut gegangen, und auch die „harte Linie“ gegenüber dem Iran und China, die Steuerreform und die erstaunlich fortschrittliche „Criminal Justice Reform“ hätte die Zustimmung vieler US-Amerikaner gefunden.

Wenn Joe Biden den Einzug ins Weiße Haus schafft und damit die Präsidentschaft übernimmt, glaubt Marcel Wittfeld dennoch nicht, dass sich viel ändern wird. „Der Senat wird wohl weiterhin von den Republikanern dominiert werden.“ Damit wäre hauptsächlich außenpolitisch Spielraum gegeben. Aber das bleibt abzuwarten.

Jetzt bereitet sich die Familie Wittfeld erst einmal auf die Rückreise vor. Die Zeit des selbstgewählten „Exils“ geht zu Ende. Am 24. November soll es nach Hause gehen. Dass dann schon Normalität einkehrt, glaubt Marcel Wittfeld aber eher nicht.


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