Die Ukraine wird auch als Kornkammer Europas bezeichnet. Durch die Blockade der Häfen und durch die Zerstörung der landwirtschaftlichen Infrastruktur fallen diese Lieferungen aus, wodurch das Angebot gegenüber der Nachfrage sinkt. Dies ist gerade an den Preissteigerungen zu merken. „Hinsichtlich der Diskussion um die unmittelbaren Auswirkungen der gestörten Lieferketten auf die Versorgung der Bevölkerung teilt der RLV-Vorstand die Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministers und des Deutschen Bauernverbandes, dass zunächst keine Versorgungslücken für die deutsche Bevölkerung zu erwarten sind“, schreibt der Rheinische Landwirtschafts-Verband übrigens in einem Positionspapier.
Besonders prekär sind die Auswirkungen allerdings fernab Europas. Denn die Ukraine ist tatsächlich nicht nur die Kornkammer Europas, sondern liefert das wertvolle Grundnahrungsmittel weltweit, auch nach Westafrika. Eine Ernährungskrise steht im Raum. „Der Krieg in der Ukraine wird schwerwiegende Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit in anderen Regionen in der Welt haben […]. Für mehrere westafrikanische Länder stellt die hohe Abhängigkeit von Weizenimporten aus Russland oder der Ukraine eine große Herausforderung dar. Nach Schätzungen der FAO stammen 30 Prozent des in Afrika verbrauchten Weizens aus diesen Ländern“, schreibt so beispielsweise „Aktion gegen Hunger“. Auch Unicef warnt, „dass das Zusammenwirken mehrerer Schocks die weltweite Ernährungssicherheit von Familien und Kindern bedroht. Dazu gehören die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, die schwierige wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Pandemie sowie anhaltende klimabedingte Dürreperioden in manchen Ländern.“
„Die Getreideproduktion der Ukraine hat weltweit einen ungefähren Anteil von vier Prozent“, sagt Erich Gussen, der Vizepräsident des Verbandes und Vorsitzender der Kreisbauernschaft Düren. „Das ist schon gewaltig, auch wenn es sich zuerst wenig anhört. Bei dem Welthandel ist die Ukraine schon mit zwölf Prozent dabei.“ Die höhere Prozentzahl begründe sich im geringeren Verbrauch in der Ukraine selbst sowie der Lage des Landes am Schwarzmeer. Gerade mache man sich große Gedanken darüber, dass die Ukraine ein großer Lieferant besonders für den afrikanischen Kontinent sei. „Vor diesem Hintergrund haben die westlichen Staaten schnell erkannt, dass da die nächste Katastrophe kommt.“ Der Rheinische Landwirtschafts-Verband steht wortwörtlich auf gutem Boden und setzt sich nun dafür ein, dass möglichst viel angepflanzt werden kann. Besonders geht die Forderung gegen eine neue EU-Vorgabe in der GAP-Reform, die der Rat der Europäischen Union bewilligt hat. Wobei GAP für „Gemeinsame Agrarpolitik“ steht. Da diese ab 2023 gelten soll, ist bereits die Herbstaussaat dieses Jahres betroffen. Und die Saatbestellungen für die Aussaat im Herbst werden bereits jetzt getroffen. Es sei also schnelles Handeln gefragt.
Bis jetzt sei es so gewesen, erklärt Gussen, dass man sogenannte ökologische Vorrangflächen von fünf Prozent erfüllen musste. In der hiesigen Region sei dies häufig durch blühende Zwischenfrüchte erfüllt worden, die nach der Ernte des Getreides ausgesät werden. Diese Art des ökologischen Ausgleichs wird dann mit einem Faktor von 0,3 Prozent belegt. Heißt: Wenn der Landwirt eigentlich eine 10 Hektar große ökologische Vorrangfläche auf dem Feld berücksichtigen muss, müssen zwischen den Ernten 33 Hektar mit den blühenden Pflanzen belegt werden. Nebenbei bemerkt haben Länder wie Österreich und Dänemark bereits zu Anfang des Jahres diese Regelung außer Kraft gesetzt, damit die Landwirte mehr produzieren können, um den Bedarf des Weltmarktes besser zu decken.
Zwischenpflanzungen dürfen die Landwirte jetzt, auch nach der Zustimmung durch den Bund, nicht mehr machen. Vielmehr dürfen Landwirte ab der kommenden Pflanzperiode mit der neuen GAP-Reform vier Prozent des Ackers nicht wirtschaftlich nutzen. Durch eine Sonderregelung Deutschlands darf man auf diesen Flächen gar nichts machen. Auch das Einsäen einer bienenfreundlichen Blühmischung ist verboten. Selbstbegrünung nennt man das.
In Jülich mit insgesamt 3900 Hektar Ackerfläche kann damit auf 158 Hektar nichts angebaut werden. Ein Gedankenspiel: Würde auf dieser Fläche nur Weizen angebaut werden, könnte man einen Ertrag von 1264 Tonnen Weizen erwirtschaften. Deutschlandweit sind es ganze 468.000 Hektar. „Unser Antritt ist, dass wir auch auf dieser Fläche im nächsten Jahr produzieren können. Wir müssen jetzt wissen, was im nächsten Jahr angebaut wird. Im August wird der Raps gesät, im September Gerste und Anfang Oktober Weizen. Brüssel muss jetzt entscheiden, die vier Prozent für das nächste Jahr freizugeben. Wir sehen eine Verpflichtung aufgrund der weltweiten Situation“, so Gussen.