Hat es in Jülich schon mal einen Gleichstellungsplan gegeben?
Tatsächlich! Wenn ich richtig informiert bin, ist 2001 der letzte Plan dem Rat vorgelegt worden. Er hat natürlich einen gewissen Bestand, in dem Fall bis 2004, meine ich. Seitdem ist nichts mehr passiert. Wobei meine Vorgängerin eifrig daran gearbeitet hat. Die Intention, den Gleichstellungsplan neu zu beleben ist Jahre alt – hat nur leider keine Früchte getragen.
Was ist die Ursache?
Es ist ein sehr aufwändiges Werk, es müssen sehr viele Daten erhoben werden. Das heißt: Eine Gleichstellungsstelle alleine kann einen solchen Plan überhaupt nicht leisten. Sie ist angewiesen auf die Personalabteilung, die die Daten zuliefert. Diese kommen natürlich in „Rohform“ und müssen erstmal ausgewertet werden. Anschließend muss das Datenwerk in eine übersichtliche Form gebracht werden unter der Fragestellung: Welche Informationen möchte ich gewinnen, welche Ziele verfolgen? Welche Ziele sind überhaupt möglich? Ich brauche eine Prognose und muss überlegen, wie ich zu meinen gesteckten Zielen komme. Das bedeutet: Ich muss mir eine Fülle von Maßnahmen überlegen. Diese Aufgabe ist für eine alleine mit einer halben Stelle eigentlich zu viel.
Warum muss es überhaupt einen Gleichstellungsplan für die Stadt Jülich geben?
Über allem schwebt das Grundgesetz. Vor 70 Jahren wurde dort das Staatsziel formuliert: Männer und Frauen sind gleichberechtigt… Artikel 3 Absatz 2. 1994 kam die Ergänzung dazu: Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung und wirkt auf Beseitigung bestehender Nachteile hin – daraus folgt das Landesgleichstellungsgesetz. Nordrhein-Westfalen hat noch einmal normiert, dass jede Kommune ab 20 Beschäftigte, meine ich, einen Gleichstellungsplan zu verfassen und auch regelmäßig fortzuschreiben hat.
Der Plan, auch wenn er sich mit der Struktur der Stadtverwaltung beschäftigt, hat ja eine Symbolwirkung und Signalwirkung für die Menschen, die in Jülich leben.
Ich sehe es auch so: Der öffentliche Dienst hat in erster Linie Vorbild- und Vorreiterfunktion für alle anderen Unternehmen einer Kommune. Darum gibt es oft im öffentlichen Dienst viel strengere Gesetze – oder überhaupt Gesetze! –, die auf diese Geschlechterfrage hinwirken.
Jetzt liegt der neue Gleichstellungsplan 2019 für Jülich vor. Wo ist die Verwaltung denn vorbildhaft für Unternehmen?
Die Stadtverwaltung ist sehr offen, Gleichstellungs-Maßnahmen gegenüber, etwa im Vergleich zu anderen Kommunen, die sich darin schwer tun, Führungspositionen in Teilzeit überhaupt auszuschreiben. Auch ist die Lücke zwischen den gut positionierten Männern und den etwas niedriger angesetzten Frauen weniger groß als ich vermutet hätte. In der Laufbahngruppe 2, das ist der ehemalige gehobene, höhere Dienst, ist der Anteil Männer-Frauen gar nicht so unterschiedlich. Insofern würde ich sagen: Es muss ja gut laufen. Differenzierter betrachtet gibt es noch Luft nach oben. Bei der Einkommensgruppe A 11, das ist die berühmte gläserne Decke, bei der sich Frauen immer noch schwer tun, sie zu durchstoßen. Das erkennt man schon daran, dass nur 6 von 27 Führungspositionen in der Jülicher Stadtverwaltung von Frauen besetzt sind. Bei den Dezernenten ist es ebenso: Wir haben eine Dezernentin und drei Dezernenten.
Was wäre Ihrer Ansicht nach zu tun?
Mein Wunsch wäre es, dass wir nicht nur in die Ausschreibungen für Führungspositionen hineinschreiben „kann auch in Teilzeit“, sondern, dass es mehr zur Selbstverständlichkeit wird. Eine Führungsposition besteht ja nicht aus 100 Prozent Leitung. Es ist immer ein Teil „Führung“, der sich oft zwischen 20 und 50 Prozent bewegt, und der andere Teil ist im Grunde „gehobene Sachbearbeitung“. Die „Führung“ von „gehobener Sachbearbeitung“ zu trennen, die auch ein anderer übernehmen kann, oder in „home-office“ abgearbeitet werden kann, wäre ein Modell. Führung erfordert eine gewisse Präsenz, aber eine Leitung, die ein Team gut führt, motiviert und ein vertrauensvolles Verhältnis schafft – da schafft das Team es auch, ein paar Stunden am Tag ohne Leitung auszukommen oder auch einen Tag in der Woche. Das heißt ja nicht, dass man von der Außenwelt abgeschnitten ist – es gibt ja mobile Endgeräte, über die man erreichbar ist.
In dem Bereich sind wir noch mit Luft nach oben unterwegs – und das würde ich gerne auch noch weiter vorantreiben.
Wie kann die Umsetzung gelingen?
Man muss ehrlicher Weise sagen: So lange das Rollenbild sich nicht verändert – und es verändert sich sehr langsam, denn überwiegend sind Frauen in Teilzeit tätig und für die Familie zuständig – solange sich daran nichts ändert, wird sich auch bei „Frauen in Führungspositionen“ nicht viel ändern. Deswegen glaube ich auch nicht, dass der Schlüssel darin liegt, Frauen den Männern anzugleichen, dass sie sich genauso durchsetzungsstark zeigen müssen, Vollzeit arbeiten, allseits Präsenzkultur leben… das Gesamtsystem hat einen Fehler. Es muss möglich sein, in Teilzeit eine Karriere zu machen. Das steht und fällt mit der Akzeptanz des Arbeitgebers. So müsste sich, als Beispiel, der Arbeitgeber darauf einlassen, Besprechungen nur vormittags zu machen.
Ich bin auch ein großer Freund von der vollzeitnahen Teilzeit. Das bedeutet, dass Frau und Mann beide 30 Stunden arbeiten. 30 Stunden bekommt man, das weiß ich aus eigener Erfahrung, auch mit Kinderbetreuung abgedeckt. Ich glaube, finanziell wird es sich nicht viel tun, ob einer „voll“ und einer „halb“ geht. Wenn dieses Modell akzeptiert ist, weil viel Männer und Frauen es so machen, ist man auf Augenhöhe.
Das würde auch das Selbstverständnis der Frauen verändern. Aber es ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess von dem Sie sprechen.
Gleichstellung steht und fällt mit den Männern. Es müsste eine Männerbewegung sein! Die Männer müssen erkennen, dass wir im Grunde alle davon profitieren. Welcher Mann findet es denn schön, dass er allseits verfügbar für seinen Arbeitgeber sein soll, dass er seine Kinder nur abends noch beim Zubettbringen sieht und den gesamte Druck hat, die Familie zu ernähren und seine Männlichkeit zu beweisen…?
In 10 Jahren wünsche ich mir, dass…
… Gleichstellung eine Selbstverständlichkeit ist, dass meine Stelle überflüssig wird, weil der Mensch – nicht die Frau, der Mann – die Person mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihrer Persönlichkeit, ihren sozialen Kompetenzen im Fokus steht und – im Grunde brauchten wird auch noch eine Gender-Beauftragte – Alter, Geschlecht, Religion, kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen.