Der Schrecken ist groß: In acht von 25 Wahlbezirken in Jülich liegt es knapp unter 20 Prozent und in zweien sogar über 20 Prozent. In nur einem Wahlbezirk liegt das Wahlergebnis der A*f*D unter 10 Prozent. Auffällig ist, dass sich das Bild bei den Briefwählern anders darstellt. Hier liegen die Ergebnisse – bis auf eine Auszählung – unter zehn Prozent. Darum sieht das Wahlergebnis für Jülich insgesamt positiv aus. Die CDU konnte die Stimmenmehrheit mit 35,57 Prozent auf sich vereinen, gefolgt von der SPD mit 16,53 Prozent aller Stimmen. Auf Platz 3 folgt bereits die A*f*D, die in Jülich keine städtische Fraktion stellt, mit 12,96 Prozent. Die Grünen liegen mit 11,42 Prozent unter dem kommunalen Wahlergebnis von 2020, während sich die FDP sich gegenüber der Wahl 2020 auf 6,53 Prozent Wählerstimmen verbessern konnte.
Übereinstimmend sind die politischen Spitzen der Parteien aus dem Jülicher Rathaus in Sorge. Zwar ist CDU-Fraktionschef Marco Johnen froh, dass insgesamt die Stimm-„Mehrheit aus der Mitte“ komme und seine Partei fast das Dreifache an Stimmen geholt hat im Vergleich zur A*f*D. Allerdings findet er das Erstarken der Extremisten „besorgniserregend“. Das gilt vor allem auch für seinen eigenen Wahlbezirk: „Ich kann nicht glauben und mir auch nicht vorstellen, dass 20 Prozent der Menschen in diesem Wahlbezirk Extremisten sind oder eine menschenverachtende Politik gut finden“, sagt der 36-jährige. Geschlossenheit aller Parteien, gegen extremistische Tendenzen vorzugehen, sieht er als eine wichtige Aufgabe vor allem im Hinblick auf die Kommunalwahl im September 2025.
Dem kann sich Mo Khomassi (SPD) nur zustimmen. In der Öffentlichkeit dürfte zwischen den Parteien kein Millimeter Raum sein in der Grundhaltung gegenüber radikalen Gruppierungen und Parteien. „Es ist dabei gleichgültig, ob wir parteipolitisch andere Meinungen vertreten. Wir als geschätzte Volksparteien müssen es schaffen, auf die Bedürfnisse der Menschen zu achten – ob kommunal oder bundesweit.“ Er sieht auch in seiner Partei das Versäumnis, sich mit den Anliegen der Menschen beschäftigt zu haben und ausschließlich mit dem „Kampf gegen rechts“ in den Wahlkampf gezogen zu sein. Der Jülicher mit libanesischen Wurzeln ruft außerdem dazu auf, den Rechtspopulisten nicht „unsere Themen und Symbole“ zu überlassen. Konkret meint er damit die Nationalfahne: „Ich werde mir morgen zur Europameisterschaft die deutsche Fahne ans Auto hängen!“
Die Wahl, davon ist Katja Böcking, Parteivorsitzende der Jülich SPD, überzeugt, spiegelt nicht die Kommunalpolitik wider. Hier attestiert sie allen Ratsfraktionen und auch der Verwaltung einen sachlichen und zielorientierten Umgang miteinander bei gleichzeitiger lebhafter Diskussionsfreude. Die A*f*D sei in Jülich nicht greifbar, weil auch im Wahlkampf an deren Ständen Nicht-Jülicher Präsenz gezeigt hätten. Böcking befürchtet, dass diese sich nach dem Wahlergebnis ermutigt fühlen, zu versuchen, auch hier Fuß zu fassen. „Davor sind wir nicht gefeit – obwohl wir eine multikulturelle Stadt sind.“
„Erschreckend“ findet auch Christine Klein als Sprecherin der Bündnis 90/Die Grünen das Ergebnis der A*f*D im Hinblick auf die Ortsteile. Sie ordnet allerdings das Ergebnis ein und ist überzeugt, dass sich das Ergebnis wegen der Briefwählerschaft verfälscht darstellt. Dennoch sieht sie die absoluten Zahlen und gibt als Zitat aus Gesprächen die Frage wieder: „Was sind das für Leute, die die A*f*D wählen?“ „Ich nehme eine große Ratlosigkeit wahr“, sagt die Grünen-Sprecherin und das vor allem vor dem Hintergrund, dass die Rechtspopulisten sich als Partei kommunal in Jülich noch gar nicht formiert hätten. Insgesamt, so Klein, sei das Wahlergebnis für ihre Partei eher enttäuschend, auch, wenn es im Bundestrend liege. Ein kleiner Trost ist immerhin, dass die Jülicher Grünen das beste Ergebnis im Kreis Düren eingefahren haben.
In Merzenhausen erreichte die A*f*D das drittbeste Ergebnis. Heinz Frey (UWG / JÜL) rückt das Zahlenverhältnis – wie Christine Klein – gerade: Von 121 Wahlberechtigten in Merzenhausen haben 78 Briefwahl gewählt. Dennoch sagt er, der sich als „überzeugten Europäer“ bezeichnet: „Das Ergebnis insgesamt beunruhigt mich“. Er nehme eine große Unzufriedenheit bei den Menschen wahr, an den vielen Stammtischen, Theken und bei Vereinen, bei denen er zu Gast sei. „Wir müssen klarmachen, dass die A*f*D keine Alternative ist. Diese Rolle werden wir annehmen und dabei spielen die Unabhängigen eine wichtige Rolle“, ist Frey überzeugt.
Das einzig Positive: Die Wahlbeteiligung lag bei 66,6 Prozent. Das ist für eine Europawahl, die in der Vergangenheit doch eher ein Stiefkind war, ein wirklich positives Ergebnis. 2014 lag sie noch bei knapp 55 Prozent und vor 20 Jahren sogar erst bei knapp 44 Prozent.