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Der Gunstgürtel, das Wasser und die Rübe

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Zuckerfabrik Rüben Elmar Gasper
Elmar Gasper, Teamleiter Landwirtschaft bei der Zuckerfabrik in Jülich, betrachtet kritisch die Knolle bei der ersten Proberodung. Foto: Dorothée Schenk
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„Der Schiedrichter hat beim 100 Meter Lauf geschossen und die Rübe hat vergessen, loszulaufen.“ So beschreibt Heinz Leipertz als Leiter Landwirtschaft der Region Rheinland sehr bildhaft die ersten Erkenntnisse zur kommenden Ernte für die Zuckerfabrik Pfeifer & Langen in Jülich. Die Anzahl der Rüben je Hektar ist gut aber Gewicht und Zuckergehalt lassen erheblich zu wünschen übrig. „Im Prinzip ist es ein richtiger Fehlstart“, sagt Leipertz. Aber der Lauf ist noch nicht verloren.

Was das Labor der Zuckerfabrik in Gramm und Prozentzahlen dokumentiert hat, hat Elmar Gaspar, Teamleiter Landwirtschaft am Standort Jülich, zwei Tage zuvor mit seinem Kollege Clemens Wolsing bei der ersten Proberodung des Jahres auf den Feldern mit Augenmaß festgestellt. „Die Rüben sind im Vergleich zu anderen Jahren kleiner“, ist sein Urteil. Zwischen Mersch, Broich und Jülich stehen die Agraringenieure zwischen sattem Grün mitten im Acker. Ein Fähnchen markiert den Ort der Proberodung. Ermittelt worden ist er per Geodaten, die vom landwirtschaftlichen Informationsdienst Zuckerrübe in Köln zur Verfügung gestellt werden. Drei Meter Strecke sind abgesteckt. Auf diesem Feld werden 13 Rüben mit bloßer Hand aus der Erde gezogen. „Drei Meter Strecke, das sind zwei Reihen – 90 Zentimeter – 2,7 Quadratmeter“, überschlägt Gasper und „über das Gewicht kann ich per Dreisatz auf den Hektar den Ertrag hochrechnen.“

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Der Rübenstechers ist nicht zum Einsatz gekommen. Auch das ist ungewöhnlich. „Wir haben unheimlich viel Wasser. Das sieht man auch am Blattapparat. Wir nennen das“, Gasper grinst breit, „BBZA – Blatt bis zum Allerwertesten. Sie könnten auch sagen: hüfthoch.“ Viel Energie steckt also im Blattwerk – weniger in der Ausbildung der Knolle. Von attraktiven Rüben spricht der Teamleiter und von großen, schönen Körpern, die eine Rüben haben sollte. Das Exemplar, das er in der Hand hält, stellt den Fachmann nicht zufrieden: Die Fahlwurzel ist nicht stark genug ausgeprägt, dafür hat die Pflanze „beiniges“ Wurzelwerk. All das hat Einfluss auf Gewicht und Ertrag. Das ist das Ziel: Die Proberodung dient dazu, eine erste Ertragsschätzungen zu gewinnen – verglichen mit den Daten der Vorjahre.

Auf 24 ausgesuchten Felder im Einzugsgebiet des Jülicher Werks von Pfeifer & Langen zwischen Mönchengladbach und Düren, Aachen und Dormagen sind „Proben“ genommen worden. Mit einem großen Pickup fahren dafür Teams raus. Auf der Süd-West-Route war das Duo Gasper/Wolsing an diesem Tag mit ihrem Pickup unterwegs. Inzwischen sind die meisten der weißen Tonnen, die jeweils eine Kennung für Feld und Besitzer haben, mit Rüben gefüllt. Sie geben den Ertrag der 3-Meter-Teststrecken wieder. Allerdings „geköpft“, denn das Blattgrün bleibt auf dem Acker. Auch jenes Grün, dass zum Blattflecken-Monitoring genutzt worden ist, das parallel zur Proberodung stattfindet. Rund 100 Blätter werden wahllos gepflückt und dann in Augenschein genommen. Gesucht wird – im Zweifelsfall mit Lupe – nach Pilzbefall. Auf dem Feld zwischen Jülich-Mersch-Broich liegt er bei rund zwei Prozent. Die unterste Grenze, bei der noch kein Handlungsbedarf besteht. Die „Bekämpfungsschwelle“ – so der Fachbegriff – liegt bei fünf Prozent.
Addiert ergeben all diese Komponenten die Prognose für die Ernte 2024.

Heinz Leipertz, Regionalleiter Landwirtschaft im Betrieb Pfeiffer & Langen. Foto: Dorothée Schenk

Das ernüchternde Laborergebnis lässt den Regionalleiter Landwirtschaft, Heinz Leipertz, aber noch nicht resignieren. „Die Rübe ist eine wunderbare Pflanze, weil sie als einzige Pflanze aufholen kann“, sagte er lächelnd und die Begeisterung für die Knolle wird spontan sichtbar. 30 Prozent weniger Ertrag als im Vorjahr würde die Rübenernte nach jetzigem Stand erbringen. Das entspricht den Werten der Getreide- und Kartoffelernte, berichtet Leipertz, der nicht nur in der Zuckerfabrik Regionalleiter Landwirtschaft, sondern als Landwirt selbst auch Feldwirtschaft betreibt. Der Unterschied: Gerste und Kartoffeln sind eingebracht, während die Vegetationszeit der Rübe noch bis Oktober/November läuft. „Ich gehe davon aus, dass wir aufgrund der gemeldeten Wetterprognosen Boden wettmachen können“, schätzt Leipertz. Dafür wären ab August Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad wünschenswert und zwei Wochen, in denen kein Regen fällt. „Wasser ist wachstumslimitierender Faktor, sage ich immer. Dass der Satz stimmt, aber auch von der anderen Seite, weil wir zuviel Wasser haben, das erlebe ich in diesem Jahr in meiner rund 30-jährigen Karriere zum ersten Mal.“

Leipertz bringt es auf einen Nenner: „Klimawandel lässt grüßen.“ Der betrifft aber nicht nur die Jülicher Börde, sondern den gesamten „Gunstgürtel“. Er reicht in Europa von Frankreich bis Polen- Deutschland und die Nachbarn Holland und Belgien liegen mittendrin. „Da sind Böden gut, Wetter gut, alles gut“, sagt Leipertz. In diesem Jahr aber war es überall zu nass und in unserer Region besonders. Des einen Leid ist der anderen Freud, könnte man sagen. Denn die Anbaugebiete in den östlichen Bundesländern – „normalerweise die Sahelzone von Deutschland“, wie Leipertz sagt, haben von dem vielen Regen profitiert. Fazit: „Der Zuckermarkt ist ein europäischer Markt. Es ist zu früh für eine Prognose, wie der Zuckerpreis sich entwickelt.“

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Dorothée Schenk
Freie Journalistin, Redakteurin (gelernt bei der Westdeutschen Zeitung in Neuss, Krefeld, Mönchengladbach) und Kunsthistorikerin (M.A. in Würzburg) Gebürtige Sauerländerin und Wahl-Jülicherin.

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