Wie war das vor 100 Jahren? Im Krisenjahr 1923, als Adolf Hitler in München sich erstmals im „putschen“ versuchte? Es war die Zeit der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen, der deutsche Widerstand, die politischen Spannungen zwischen Extremisten und Demokraten und dazwischen Friedrich Ebert, der erste deutsche Reichspräsident, Gustav Stresemann und General Erich Ludendorff. Zwischen 2 Mark 22 und unüberschaubaren 300 Millionen Mark für einen Laib Brot entspinnt sich Geschichte. Ganz beiläufig hört man vom Bankangestellten Joseph Goebbels, dem seine jüdische Freundin die Stelle beschafft hat, von Fußballergebnissen und den „Skandal um Baal“ und einer Fülle von exzessiven Party der „Roaring Twenties“, die Feiern um zu Vergessen. Dazwischen befremdliche und anrührende Musik des Bläserensembles, das von musikalischen Perlen Carl Nielsen, Paul Hindemith, Jacques Ibert, und Hanns Eisler über Fanfarenstößen bis zu „Nachrichten-Jingel“ Worte untermalen oder auch ersetzen konnte. Worte, das sind Zeitungsnachrichten oder Flugblätter aber auch Texte von Kurt Tucholsky und Egon Erwin Kisch, die eine zeitgenössische Einschätzung der politische Lage literarisch Verpacken oder über das gesellschaftliche Treiben und Inflationsprobleme berichten.
Es ist einmalig, was das Bläserquintett „Opus 45“ mit dem Schauspieler Roman Knižka zum Programm erhoben haben: Geschichtsvermittlung auf hohem Niveau und dennoch als Unterhaltungsprogramm. Zum dritten Mal präsentierte die Stadt mit Unterstützung von Stiftungen dieses hochkarätige Ensemble – in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal, denn das Programm zum NS-Widerstand „Den Nazis eine schallende Ohrfeige versetzen!“ wurde im Zuge des Gedenktages zur Befreiung des KZ Auschwitz gezeigt.
„Friede, Freiheit und Demokratie sind uns nicht in den Schoß gefallen. Wir wissen wo wir nicht hinwollen und darum ist es wichtig zu wissen wo wir herkommen“, fasste es Rezitator Roman Knižka zum Abschluss zusammen. Dieses Wissen verbreitet das Ensemble eindrucksvoll.
Bläserquintett und Rezitator sind Miteinander-Spielende, sich Ergänzende. Wenn Knižka in die Rolle Stresemanns schlüpft, und seine Antrittsrede rezitiert, stören Zwischenrufen aus dem „Parlament“, das von den Musikern überzeugend in Szene gesetzt wird. Bei den Instrumentalteilen lauscht der Rezitator konzentriert zu und wiegt sich im Takt leicht mit. Und diesmal wird auch gemeinsam musiziert: Schlagermusik wie „Ausgerechnet Bananen“ oder dem Gassenhauser „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ macht den Rezitator zum Sänger, der stimmliche Unterstützung durch die Musiker erhält. Fast klassisch bei aller Wehmut kommt Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ daher – die Singstimme spielt hierbei die Oboe. Der Rezitator hat Pause.
Das Veranstaltungskonzept ist unterhaltsam und bedrückend zugleich: Einerseits wird das gebotene Programm an sich grandios dargeboten. Andererseits schwingt immer das Wissen um die Geschichte mit, um das, was sich an die Texte und Geschehnisse anschließt. Ein Besuch der OPUS 45-Programme ist besonders. Es ist eine Aufforderung zum Nachdenken, zum Erkennen der Parallelen, zur Mahnung an die heutige Zeit, genauer hinzusehen. Denn: „Wir wissen wo wir nicht hinwollen.“