Beide möchten den Stoffwechsel von Bakterien bis ins Detail verstehen und ihn optimieren. Auf dieser Basis entwickeln sie dann industriell relevante Produktionsprozesse. Im Idealfall bedeutet dies: die struppigen Reste von ausgepresstem Zuckerrohr, die Bagasse, vorne rein und wertvolle Grundbausteine für Biokunststoffe, Medikamente, Lebensmittel- oder Zementzusätze hinten raus. „Bagasse, Stroh oder Holzabfälle haben den Vorteil, dass sie von Natur aus abbaubar sind und dafür nicht extra Pflanzen angebaut werden müssen. Es werden also keine zusätzlichen Anbauflächen verschlungen, es gibt keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion“, sagt Jan Marienhagen. „Pilze und Bakterien, welche die Zuckerbausteine dieser Pflanzenabfälle verstoffwechseln und in höherwertige Produkte umwandeln, sind jedoch für den Einsatz im Labor oftmals ungeeignet, da ihre Bedürfnisse zum Überleben meist sehr speziell sind“, fügt er an.
Ein gutmütiges Labor-Arbeitspferd ist im Gegensatz dazu das robuste und anspruchslose Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum. Seit über 60 Jahren erfreut es sich großer Beliebtheit in Forschung und Industrie. Mit seiner Hilfe produzieren Biotechnologie-Firmen Produkte im Wert von mehreren Milliarden Euro pro Jahr, zum Beispiel lebenswichtige Aminosäuren für Infusionslösungen oder als Zusatz für Futtermittel.
ÜBERRASCHUNGEN INKLUSIVE
Ein Gentransfer zwischen den beiden Bakterienarten könnte also die Lösung sein. Hierfür schauten sich die Forschenden zunächst einmal genau an, wie Caulobacter crescentus es schafft, den schwer verdaulichen Zucker Xylose zu knacken. Sie untersuchten sowohl die beteiligten Enzyme und zugehörigen Gene, die diese verschlüsseln, als auch die Reihenfolge der fünf Reaktionsschritte, welche Xylose in Energie und weitere Stoffwechselprodukte umwandeln.
Erstaunlicherweise verfügt Corynebacterium glutamicum von Natur aus schon über drei dieser fünf Schritte, wie die Arbeitsgruppe um Jan Marienhagen feststellte. Zusätzlich überraschte das eigentlich sehr gut erforschte Bakterium die Wissenschaftler mit einem Bonus: Ein bisher unbekanntes Enzym, das den fünften und letzten Schritt in diesem Prozess beschleunigt. „Der Eingriff in den natürlichen Stoffwechsel konnte also wesentlich geringer ausfallen, um unserem Corynebacterium die Fähigkeiten von Caulobacter zu übertragen und dazu zu bringen, Xylose abzubauen“, beschreibt Marienhagen das Vorgehen. „Je weniger Eingriffe, desto geringer ist der Stress für die Zellen. Letztlich sollen sie sich im Bioreaktor wohlfühlen. Nur so erzielen wir später auch gute Ausbeuten der gewünschten Stoffe“, fügt Stephan Noack an.
Das Team testet zurzeit, ob sich die Produktivität von Corynebacterium glutamicum im Labor noch steigern lässt. Hierbei setzen die Forschenden nicht auf weitere Gentransfers, sondern auf gezielte Veränderungen der Laborbedingungen. Sie untersuchen etwa, ob sich ihr Arbeitspferd anpasst, wenn das Nährstoffangebot variiert. „Der bisherige Ertrag der begehrten Stoffe mit den so gezüchteten neuen Stämmen ist im Labormaßstab schon sehr vielversprechend“, freut sich Stephan Noack. Auch die Industrie ist interessiert und hat erste Proben des bakteriell hergestellten D-Xylonats angefordert, um seine Eignung für die Zementherstellung zu testen.
Zucker als Rohstoff könnte auch aus einer anderen Quelle kommen, nämlich der regionalen Nahrungsmittelindustrie. Das Projekt UpRePP des BioökonomieREVIERs Rheinland möchte zuckerhaltige Abfälle durch Bakterien zu Polymerbausteinen umsetzen, etwa um Bioplastik herzustellen. In dem Vorhaben kooperieren Jan Marienhagen, Stephan Noack und Nick Wierckx mit der RWTH Aachen. 2021 sollen erste Ergebnisse vorliegen.
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