Etwa zwei Hektar Fläche, knapp 1000 Solarmodule, darunter bester Boden der Jülicher Börde: Eckpunkte der sogenannten Agri-/Horti-Photovoltaik-Anlage, die die Strukturwandelinitiative BioökonomieREVIER in Morschenich-Alt betreibt. „Im Jahr 2040 wird der Bedarf an Photovoltaik für die Energieversorgung in Deutschland mit 300 bis 450 Gigawatt beziffert. 1700 Gigawatt ließen sich gewinnen, wenn wir zusätzlich das Potenzial an Flächen nutzen, auf denen gartenbauliche und Spezialkulturen produziert werden“, erläutert Dr. Matthias Meier-Grüll. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind Agri-/Horti-Photovoltaik-Anlagen, kurz Agri-/Horti-PV, ein wichtiger Baustein. Hier werden Solarmodule über einer landwirtschaftlich genutzten Fläche so aufgebaut, dass darunter Pflanzen für die Ernährung und für stoffliche Nutzung angebaut werden können. In Gegenden mit schlechten Böden und Weideland kann man zudem in niedrigen Systemen extensive Landwirtschaft betreiben. „Eine Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmittelproduktion und Stromerzeugung wird damit weitestgehend vermieden. Es gibt sogar positive Effekte auf die Kulturen durch bessere Wassernutzung und Schutz vor Hitze und zum Beispiel Hagel“, so Meier-Grüll, der das Projekt des Forschungszentrums Jülich in Morschenich-Alt koordiniert.
Ein „Innovationslabor“: die Forschungs- und Demonstrationsanlage
In der Demonstrations- und Forschungsanlage sind auf rund zwei Hektar etwa 1000 Solarmodule nach diesem Prinzip aufgebaut. „Die bisherigen Erfahrungen mit Agri-PV-Anlagen haben gezeigt, dass sie grundsätzlich gut funktionieren. Aber es gibt weiteren Forschungsbedarf. Und hier gehen wir einige entscheidende Schritte näher an die Praxis“, erläutert Meier-Grüll. Der Wissenschaftler steuert an der Schnittstelle von Bioökonomie und Energie das nötige Know-how für Solaranlagen bei. Wesentlicher Punkt der weiteren Forschung in dem „Innovationslabor“ auf freiem Feld ist: wie muss das Zusammenspiel von Pflanze und Solaranlage aussehen, damit Ertrag und Energieausbeute gleichermaßen effizient sind? Dazu gehört auch die Frage, wie Pflanzen mit dem Wechsel von Licht und Schatten unter der Photovoltaikanlage umgehen.
Um das herauszufinden, gehen die Forscher:innen in Morschenich-Alt gemeinsam mit Projektpartner Fraunhofer ISE neue Wege. „Ein Teil der Anlage wurde so konzipiert, dass sich die Solarmodule je nach Licht- oder Schutzbedarf der Pflanze automatisch kippen und damit gezielt einstellen lassen“, sagt Matthias Meier-Grüll. Zur Vermessung der pflanzlichen Eigenschaften werden hochauflösende bildgebende Messverfahren zur räumlichen und zeitlichen Pflanzenbeobachtung eingesetzt. So können das Wachstum der Pflanzen in Agri-/Horti-PV-Systemen genau analysiert und neue Verfahren des Anbaus entwickelt werden. Auch neuartige PV-Module werden mit integrierter Messtechnik erforscht, ebenso wie die Frage, wie sich die landwirtschaftliche Nutzung auf die Beständigkeit der Module oder auch den PV-Ertrag auswirkt.
Agri-/Horti-PV und Klimawandel
Photovoltaikanlagen erzeugen nachhaltig Strom. In Zeiten des Klimawandels erhält Agri-/Horti-PV aber eine weitere, sehr wichtige Bedeutung: Die Anlagen bieten die Möglichkeit, den landwirtschaftlichen Betrieb an Klimaveränderungen anzupassen. So können empfindliche Kulturpflanzen vor extremer Hitze und anderen Extremwetter-Ereignissen wie Starkregen oder Hagel durch die „Solardächer“ geschützt werden. „Zudem können wir das Wassermanagement der Pflanzen anpassen. Das Regenwasser, das von den Solarmodulen abfließt, wird aufgefangen und den Pflanzen darunter bei Bedarf gezielt zugeführt“, erklärt Meier-Grüll. In Hitzesommern verringert die verschattende PV-Dachkonstruktion außerdem die Verdunstung. Ein (fast) Rundumschutz für die Pflanzen darunter.
Welche Pflanzen sind geeignet?
In dem Projekt in Morschenich-Alt werden vor allem Nutzpflanzen erforscht, deren Anbau in der Region sich ökologisch und ökonomisch lohnt. Dies sind interessante Rohstoffe für regional stark vertretene Sektoren wie die Nahrungsmittelindustrie (z.B. Beeren und andere gartenbauliche Kulturen), die Kosmetikindustrie und die Spezialchemie, die nachwachsende Rohstoffe braucht. Dabei wollen die Forschenden auch neue Wertschöpfung für die heimischen Landwirte und Gartenbauer schaffen. Ein weiterer Aspekt ist die Anpassung der Kulturbedingungen an das sich ändernde Klima. Untersucht werden deshalb zum Beispiel regenempfindliche Beerenfrüchte, Medizinal- und Heilpflanzen sowie Pflanzen, die sich stofflich für Öle oder Fasern verwenden lassen.