Der zweite Geburtstag war am 28. Mai 2019. An diesem Tag kam die Geburtsurkunde an für Kilian Elias Haunschild, geboren am 15. November 1997, Geschlecht: männlich. Ein Feiertag und einen Post auf Facebook wert. Fünf Jahre lang hat der Transmann um seinen Namen und die Geschlechtszuweisung gerungen. Er lächelt: „Das fühlt sich gut an.“
Sportlich, Sneakers Jeans, Karohemd und kurze Haare. Kilian ist ein normaler junger Mann. Den Abschluss der Realschule und anschließend des Gymnasiums Zitadelle hat er in der Tasche, derzeit macht er eine Ausbildung zum Kaufmann. Seine Freizeit ist mit der Freundin verplant, Gaming ist ein Thema und die Pflege der internationalen Kontakte. Und Kilian spielt Gitarre und singt dazu. Eigentlich jeden Abend, wenn es irgendwie geht. Seine Stimme ist seine Leidenschaft, die er auf einem eigenen Youtube- Kanal präsentiert. Und sie ist der Grund, warum das Rezept mit der Testosteron-Verordnung noch unangetastet in der Schublade liegt. Durch die Hormone besteht das Risiko, dass neben der Ausbildung der klassischen männlichen Merkmale wie etwa Bartwuchs, die Stimmbänder breiter werden, der Stimmbruch erfolgt. „Ich hänge sehr an meiner Stimme, wie sie momentan ist“, sagt Kilian, der bereits dreimal am Casting für „The Voice“ teilgenommen hat und Anfang des Jahres erst in Runde 4 ausschied. Und 2021 will er sich wieder bewerben. „Warum nicht?“, fragt er augenzwinkernd. Eine gewisse Hartnäckigkeit gepaart mit der Eigenschaft, sich nicht entmutigen zu lassen, scheinen Kilian auszuzeichnen.
Denn natürlich ist es nicht so, dass man den Schalter umlegt, bei der Entscheidung, zum Mann zu werden. Es ist ein Weg. Ein Bewusstwerden und keines, dass von Kindbeinen an in Kilian Zuhause war. Dank seiner Eltern, die ihn und seine Geschwister – sozusagen – „genderneutral“ erzogen, stellte sich die Frage lange nicht. Aber auch deshalb nicht, „weil ich das Gefühl nicht zuordnen konnte, weil ich nicht wusste, dass es das gibt.“ Radfahren auf Bäume klettern und Kämpfe mit Stöcken gehörten wie das Lesen von Fantasyromanen schon zu den bevorzugten Freizeitaktivitäten in der Kinder- und Jugendzeit, aber auch Puppen waren – wenn auch als Randerscheinung – kein Tabu. Dass er gerne als Mädchen die männlichen Figuren in Rollenspielen übernahm, „zu all dem stellt man erst im Nachhinein Verbindungen her“.
Wann wurde ihm zum ersten Mal klar, dass sich das Geschlecht, in dem er geboren ist, falsch anfühlt? „Also wenn ich einen Punkt festmachen müsste, dann um 2014. Da habe ich mir das erste Mal die Haare kurz geschnitten und bin zum ersten Mal in Kontakt gekommen mit dem Thema ,Transmann‘.“ 2014, die Zeit des Schulwechsels. Auf dem Gymnasium angekommen wurde „Sie“ sofort für einen „Er“ gehalten. Im privaten Umfeld führte er versuchsweise einen männlichen Namen. Aber so einfach war es dann nicht, denn die Gefühle waren im Weg. Es kam die Liebe dazwischen und eine Beziehung, in der Kilian seine Gefühle unterdrückte, bis sie sich wieder Bahn brachen. Die Trennung kam, die inzwischen gewachsenen Haare wurden erneut geschnitten und seither sind das Selbstbewusstsein und das Gefühl für sich selbst so gewachsen, dass Kilian den Prozess für die selbstgewählte Identität einleitete.
Am Anfang steht eine Therapie. Im Schnitt dauert sie ein halbes Jahr. Eine wichtige Zeit für die eigenen Einordnung, nennt Kilian es. Wichtig ist aber nicht nur das eigene Gefühl – wichtig ist dem Transmann auch die Anerkennung von außen. Der Name ist ein wichtiger Indikator. Gerade dann, wenn es um Menschen geht, die ihn mit seinem Mädchennamen kannten. Einigermaßen unkompliziert war es bei der Familie und Freunden, im Ausbildungsbetrieb wurden nach dem Outing und dem Wunsch zur Namensänderung adhoc Mailadresse und Konto geändert. Manche Hürde war zu nehmen, aber seit die Geburtsurkunde vorliegt ist vieles einfacher.
„Ich hatte Glück“, sagt Kilian und grinst. Denn er konnte ein kleines Zeitfenster nutzen, in dem durch das 2019 geänderte Personenstandsgesetz § 45b für Transmenschen bei Vorlage eines ärztlichen Attestes eine Änderung ermöglichte. Wenig später kam es zu einer Umformulierung, die das Verfahren für Transleute erschwerte. Aber die Geburtsurkunde kann ihm keiner mehr nehmen. Jetzt passt das Körpergefühl zum Namen und zum Ausweis. „Nur wo ich den Führerschein umschreiben lassen kann, das habe ich noch nicht herausgefunden.“ Das wird aber sicher auch noch gelingen. Wie gesagt: Kilian, hartnäckig und mit dem Hang, sich nicht entmutigen zu lassen.
Informationen
Wer zum Thema Informationen oder auch Unterstützung sucht, findet einen ersten Zugang über Facebook. Die Gruppe heißt „Transgender Germany – TGG„. Hier muss man anfragen, um zugelassen zu werden. Zugang bekommen sowohl Trans Personen als auch Angehörige oder Menschen in der Selbstfindung.
Wer persönlichen Kontakt sucht, der kann den TransTreff in Aachen besuchen: TX Aachen. In Nicht-Corona-Zeiten finden die treffen an jedem 1. Dienstag um 19 Uhr statt. Dort kann auch jeder einfach dazukommen. Es gibt nach Aussage von Kilian Haunschild immer eine kurze freiwillige Vorstellungsrunde. Wer Angst hat alleine zu gehen, dem wird eine Begleitung angeboten. Das Angebot kann auch von Angehörigen oder Fragenden genutzt werden. . Nähere Informationen unter www.tx-aachen.de