Aufgrund seiner sehr persönlichen Erfahrung als „gemobbter Schüler“, genießt er einen besonders guten Zugang zu Betroffenen. Die Jugendlichen fühlen sich verstanden und lassen sich durch „einen von Ihnen“ intensiv auf das Thema ein. Bemerkenswert an der Jülicher Veranstaltung war, dass Carsten Stahl von einem generationsübergreifenden Publikum erwartet wurde: Grundschulkinder in Begleitung ihrer Eltern, Jugendliche aus allen weiterführenden Jülicher Schulen, sowie Lehrer, Schulsozialarbeiter und aufmerksame Eltern.
Insgesamt wurden 250 Gäste gezählt. Carsten Stahl beeindruckte das Bild des vielfältigen Publikums, zumal das Thema Mobbing, wie er sagt „wirklich Jeden betrifft. Deshalb ist ein offener und ehrlicher Umgang mit diesem Thema so extrem wichtig in unserer Gesellschaft. Das der Bürgermeister ihrer Stadt als Schirmherr des Antimobbing-Seminars mir sein Vertrauen entgegenbringt, ist ein Signal an die Jülicher Gesellschaft“. Der erste Mann der Stadt, Bürgermeister Fuchs, bekräftigt: „Wir brauchen engagierte Lehrer, Eltern und Jugendliche, deren gemeinsames Ziel es ist, aus diesem Seminar eine einrichtungsübergreifende Stadtkampagne zu machen, die nachhaltig nachdenklich stimmt und Sensibilität lehrt – für ein respektvolles und tolerantes Miteinander. Ich werde alles dafür tun, das Thema an den richtigen Stellen anpacken zu lassen“.
Carsten Stahls pädagogische Aufklärungsmethode ist – und war auch bei dem einen oder anderen Besucher der Jülicher Veranstaltung – durchaus umstritten. Dies ist ihm auch sehr bewusst: „Ihr müsst mich oder meine Art der Aufklärungsarbeit nicht mögen – aber ihr müsst das Thema „Mobbing“ ernst nehmen!“, brüllt er ins Publikum.
Seine direkte Art kommt bei den Jugendlichen gut an, er ist kein Mann der seine Worte lange abwägt.
Er ist ein Aufklärer, der sich (heute) nicht schämt seine Lebensgeschichte gerade heraus und bewusst emotional zu erzählen. Er kennt beide Seiten: Die des Opfers und die des Täters. Zu Beginn seines Programms umreißt er sein sehr erfolgreiches und schnell „zu Ruhm“ gelangtes Leben: Das des Kriminellen. Und stellte fest, dass es sich deutlich besser anfühlt auf der Seite der Starken zu stehen, als auf der gegenüberliegenden Seite der Schwachen. Dabei verdrängte er das Wissen um den Schmerz des Opfers, das er als gehänselter, rothaariger, pummeliger 10jähriger mit Sommersprossen über monatelanges Malträtieren, bis hin zur Lebensgefahr, erfuhr. Bis ihn die schmerzliche Erinnerung kalt erwischte, als sein fünfeinhalbjähriger Sohn blutverschmiert vom ersten Schultag nach Hause kehrte. Das Verhalten seines Jungen hielt ihm einen Spiegel vors Gesicht – sein Leidensweg wurde ihm in Echtzeit vor Augen abgespult. Das was er erkannte, erkannten auch die meisten Zuschauer in der Jülicher Aula des Schulzentrums: „Wenn ich ’se auf die Fresse kriege – halte ich den Mund, verpetze Niemanden, aus Angst, es könnte schlimmere Konsequenzen für mich und meine Lieben nach sich ziehen“. Spätestens an diesem Punkt der Veranstaltung platzte bei einigen Jugendlichen der emotionale Knoten und Tränen flossen. Auch Bürgermeister Fuchs bekannte: “Es war wirklich sehr bewegend für mich – wir müssen unseren Kindern helfen sich von der Angst des Redens frei zu machen und müssen sie darin bestärken, dass es richtig ist zu reden und sich Hilfe zu holen!“
Genau das taten die Jugendlichen des Jugendtreffs Roncallihaus. Sie sprachen ihren Jugendtreffleiter und Vertrauten Sascha Römer an und trugen den Wunsch vor, den stählernen Carsten, den sie aus dem Fernsehen kennen, der sie durch seine Größe, seine Kraft, seine erarbeitete Stellung in der Gesellschaft beeindruckt, nach Jülich einzuladen. Denn ganz prägnant manifestiert hat sich bei den jungen Menschen Stahls Authentizität im unermüdlichen Kampf gegen Ausgrenzung, Psychoterror, seelische und körperliche Qualen. Überall! Nicht ausschließlich an Schulen – sondern auch auf der Straße, im Berufsleben, im Familienleben. Es bedurfte nicht sehr viel Überzeugungsarbeit.
Das Thema ist auch im Alltag der Jugendarbeit sehr präsent. So ergriff Sascha Römer Partei, die Jugendlichen bei der Umsetzung des Anliegens zur Durchsetzung eines wichtigen Zeichens gegen Gewalt und Mobbing zu unterstützen. Römer suchte den Kontakt zuerst zu Carsten Stahl und dann zu Bürgermeister Fuchs. „Auch bei Bürgermeister Fuchs haben die jugendlichen Initiatoren höchste Achtung hervorgerufen. So kam es, dass Herr Fuchs sich für eine rasche Umsetzung des Seminars aussprach“, freut sich der Roncalli-Jugendtreffleiter.
Den respektlosen Umgang miteinander, der sich bei sehr vielen Kindern bereits durch Begrüßung mit Schimpfwörtern aufzeigt, hat Carsten Stahl dem Publikum aufgezeigt, indem er die Jüngsten zuerst aufforderte, die extremsten Schimpfwörter zu benennen, die sie tagtäglich begleiten. Sehr erschreckend war das Ergebnis. Die 19jährige Besucherin Aylin bewegte die Offenbarung der Kleinsten im Raume, dass sie schon mal Selbstmordgedanken hatten. Aylin:“ Es ist so krass, das Menschen, die quasi noch nicht im Leben angekommen sind, bereits über das Ende des Lebens nachdenken“. „Mobbing ist kein Zanken, sondern ein Zerstören, das Menschen den Lebensmut nimmt“, so Aylin weiter. Ebenso berührte sie die Anwesenheit der Eltern des an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule ermordeten Leon aus Lünen: „Das die Eltern, die quasi schon alles verloren haben, aber dennoch im Namen ihres Sohnes die Aufklärungsarbeit gegen Mobbing von Herrn Stahl unterstützen, finde ich unglaublich heftig“. Das Paar, das einen Verein gegen Gewalt gegründet hat, ist der Einladung des Herrn Stahl gefolgt und hat mit ihrer Präsenz während der Veranstaltung das ungeahnte Ausmaß von Gewalt vergegenwärtigt.
Fuchs und Stahl nahmen in einem gemeinsamen Abschlussplädoyer alle Menschen und Einrichtungen in die Pflicht, dem Thema Mobbing den Kampf anzusagen. Wohlwissend, dass es immer wieder Hürden zu überwinden gibt. Ob es private schwierige Lebensumstände sind oder Gesetze und Richtlinien im Wege stehen: Mit der Ansage „Wir setzen ein Zeichen gegen Mobbing“ haben die Jugendlichen des Jugendtreffs Roncallihaus einen Stein ins Rollen gebracht, der in den kommenden Monaten in der Jülicher Präventionsarbeit gegen Ausgrenzung – für Respekt und Toleranz – mit eindrucksvollem Tempo voranrollen soll.
Herr Stahl hinterlässt der Stadt einen symbolischen Vertrag, den die Besucher und er im Zeichen gegen Mobbing unterzeichnen und eingehen – auf einem Plakat mit dem Anti-Mobbing-Logo. Als stetige Erinnerung daran, woran es zu arbeiten gilt.