StadtRäume schlägt einen weiten Bogen: Von Bracknell im Vereinigten Königreich über Oulo im finnischen Norden der Europäischen Union, durch Ljbuljana, Radcibórz, Schwedt an der Oder und Villeneuve d’Ascq bis hin nach Leverkusen und schließlich Jülich bringt das multinationale Projekt ganz unterschiedliche Städte zusammen. Und nicht nur das, auch unterschiedlichste Menschen arbeiten in dem gemeinsamen Projekt, das verschiedenste „Produkte“ hervorbrachte, wie es Michael Gutbier formulierte, Hand in Hand.
Eines dieser Produkte ist die Ausstellung „StadtRäume zwischen den Kriegen“, die am Freitagabend in Jülich eröffnet wurde. In der gut besetzten Schlosskapelle begrüßten die Vorsitzenden der beiden Geschichtsvereine aus Jülich und dem Leverkusener Stadtteil Opladen ihre Gäste. Dabei hatten Guido von Büren und Michael Gutbier eine lange Dankeschön-Liste mitgebracht. Dass die Veranstaltung dennoch nicht zu einer langweiligen Aneinanderreihung gegenseitiger Danksagungen und Lobreden wurde, lag nicht nur an den kurzweiligen Redebeiträgen. Kurze Videoclips zwischen den einleitenden, grüßenden und beglückwünschenden Worten – der Jülicher Geschichtsverein beging gleichzeitig seinen 100. Geburtstag – boten einen interessanten Einblick in die frisch eröffnete Ausstellung.
Junge Leute schlüpften dort in die Rolle historischer Personen und erzählten aus ihrer Perspektive aus dem Jülicher Leben vor rund hundert Jahren. Von der jungen Mutter aus dem Elsass, die mit ihrer Familie vor Hunger und Arbeitslosigkeit floh und hier eine neue Heimat fand, bis hin zum Arbeiter einer Papierfabrik, der über die dreckige, stinkende Rur sprach und gleichzeitig staunend verkündete, hier sei ein „echtes Schwimmbad“ geplant, beleuchteten die Filme den Alltag der Menschen aus verschiedensten Blickwinkeln. Gleichzeitig werden Ausschnitte alter Stadtpläne eingeblendet, auf denen die angesprochenen Straßen und Plätze Jülichs farblich hervorgehoben werden. So wird etwa die Entstehung ganzer Häuserzeilen im Heckfeld nachgezeichnet.
Junge Menschen einzubinden, Geschichte greif- und erlebbar zu machen und generationenübergreifend zusammenzuarbeiten, ist eines der herausragenden Kennzeichen des Projektes „StadtRäume“. Nicht umsonst betonten die Bürgermeister beiden Städte, Axel Fuchs und Bernhard Marewski, diesen ganz anderen neuen Zugang besonders. Augenzwinkernd bemerkte Fuchs, diese Zusammenarbeit sei sicherlich besonders herausfordernd gewesen, wofür es noch einen Extra-Dank gab. Die filmische Umsetzung bewies denn auch gleich den bisherigen Erfolg der generationenübergreifenden Arbeit. Die entstandenen Clips werden Bestandteil eines „multilingualen, variablen und digitalen Filmbaukastens“ sein, der unter anderem in der Schule oder der Jugendarbeit eingesetzt werden kann – ein weiteres „Produkt“ des offenbar ausgesprochen vielseitigen Projektes.
Drei Jahre lang haben sich sowohl die beiden Geschichtsvereine als auch ihre Mitstreiter aus den sechs europäischen Partnerstädten Leverkusens intensiv mit der Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen aus kommunaler Perspektive beschäftigt. Der Blick auf den Einzelfall soll ein vertieftes Verständnis für das Leben vor rund hundert Jahren ermöglichen. Fallbeispiele und persönliche Schicksale sprechen eine andere Sprache und sind dabei gleichzeitig unterhaltsamer als bloße Zahlen in Geschichtsbüchern. Auch die eigentliche Ausstellung ist weit mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Ausstellungsstücken in Vitrinen. So begleitet etwa ein eigenes „Entdeckerbuch“ die Ausstellungsbesucher, die dazugehörigen YouTube-Kanäle versprechen einen noch anderen Blick und sogenannte „Info-Punkte“ innerhalb der Ausstellung sorgen für eine Verknüpfung mit dem jeweiligen StadtRaum. Man würde sich in beiden Ausstellungen gleichermaßen zurechtfinden, verspricht Michael Gutbier, die Struktur sei gleich, die Schwerpunkte selbstredend lokal unterschiedlich.
Hyperinflation, Besetzung, Modernisierung aber auch Wohnungsnot und Industrialisierung sind dabei wichtige Eckpunkte der Doppelausstellung, die ihre Besucher mit auf einen Ausflug in das Jahr 1923 und die Jahre zwischen den Weltkriegen nehmen möchte. Zwei Jahre lang haben die Jülicher und ihre Besucher nun Zeit, einen Rundgang durch die Ausstellung im Pulvermagazin des Museums Zitadelle zu unternehmen. Bis zum 6. April 2025 wird die Ausstellung dort geöffnet sein. In der Leverkusener Villa Römer haben Interessierte bis zum 25. Februar des kommenden Jahres Zeit für einen Ausflug in die Vergangenheit.
Unter https://star-urbs.eu, auf YouTube, Facebook und Instagram gibt es weitere Informationen und Einblicke in das multinationale Projekt und das umfangreiche Begleitprogramm.
Fotos: Volker Goebels