Wie wichtig Selbsthilfe und erst recht junge Selbsthilfe ist, zeigte der „Arbeitskreis für ein inklusives Jülich“ (AKI) bei seiner Festveranstaltung zum 40-jährigen Bestehen. Unter der Überschrift „Nicht allein sein“ gab es nicht nur eine Filmvorführung, sondern auch eine Vorstellung der lokalen Angebote, ehe das aktuelle Signet an Unternehmen und Institutionen verliehen wurde. Auch die Ehrung der jüngst aus dem Amt geschiedenen ehemaligen Sozialdezernentin Doris Vogel stand auf der Tagesordnung.
Für die Veranstaltenden ungewohnt viele Menschen hatten sich in der ehemaligen Schalterhalle des Kulturbahnhofs Jülich eingefunden. Die Stimmung war gelassen, es wurde bei Gelegenheit mit dem Publikum gescherzt und gelacht und ansonsten interessiert zugehört. Gebärdensprachendolmetscherinnen sorgten für die Möglichkeit der Teilhabe, die im Alltag noch nicht immer zum Zuge kommt. „Die Vision dieser inklusiven Gesellschaft haben wir alle“, sagte Beatrix Lenzen als Sozialplanerin der Stadt Jülich und Geschäftsführerin des Inklusionsbeirates in ihrer Begrüßung, „und es bedarf weiterhin großer Anstrengung diese Vision zur umfassenden Realität werden zu lassen.“
„Wir“, das sind im Inklusionsbeirat etwa 24 Mitgliedsorganisationen, die, so Lenzen, daran arbeiteten, eine Atmosphäre in der Stadt zu entwickeln, die alle Menschen gleichermaßen willkommen heißt. Sprecherin des AKI, Nina Czeczatka, betonte, dass Inklusion hieße, dass jeder Mensch an allem teilnehme, ohne eine Sonderrolle zu erhalten. Man „würde nicht nur mit reingenommen, sondern ist Teil einer Gesellschaft.“
Auch in Zukunft würde man sich, etwa bei Bauvorhaben, für Aspekte einsetzen, die zu beachten seien, damit alle Menschen zusammenleben können. „Denn gemeinsam bedeutet nicht einsam“, fasste Czeczatka zusammen und stellte fest, dass die nicht die Hauptamtlichen, sondern die Selbsthilfevertreter und Selbstvertreter den AKI und die Arbeit ausmachten.
Unterstrichen wurde die besondere Arbeit der Selbsthilfe in einer filmischen Dokumentation des Medienprojektes Wuppertal. Junge Erwachsene erzählen von ihrer Geschichte mit Behinderung oder chronischer Erkrankung und Depression sowie ihrem Einsatz für andere Betroffene. Gerade junge Selbsthilfe – im Film besonders beleuchtet nicht nur als Therapieort, sondern auch als Möglichkeit zum Kontakte knüpfen und für gemeinsame Erlebnisse – habe großes Potenzial. Deutlich wurde, dass Ansprechpartner im ähnlichen Alter und mit ähnlichen Erfahrungen heilsam sein können. Es helfe, sich verstanden zu fühlen oder um die Gewissheit zu erlangen, dass jeder seinen Weg finden kann.
Anschließend wurde der Bogen zurück zum Lokalen geschlagen. In einer Gesprächsrunde stellten Czeczatka, neben ihrer Tätigkeit im AKI auch Vertreterin des Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsangebots für Menschen mit geistiger Behinderung (KoKoBe) im Kreis Düren, im Gespräch mit Anja Jahn vom Paritätischen Düren und Christoph Beckers als stellvertretendem Sprecher des AKI und Vertreter des Stammhauses die Lage in Jülich und dem Kreis Düren. Das aktuelle Angebot reicht von Suchterkrankungen, chronischen Erkrankungen und psychischen Erkrankungen über Einsamkeit. Letztere ist die jüngste Anfragen. Es gebe über 80 Gruppen im Kreis Düren – und sollte es keine passende geben, so helfe die Selbsthilfe-Kontaktstelle bei der Gründung, Öffentlichkeitsarbeit und den ersten Treffen, so Jahn. Insbesondere hob sie außerdem die Möglichkeit der Mitgestaltung und Mitentscheidung in der jungen Selbsthilfe hervor und nahm somit wieder Bezug auf die Dokumentation.
Beckers, selbst bereits als junger Mensch Teil einer Selbsthilfegruppe gewesen, stellte die besondere Bedeutung einer solchen Gemeinschaft heraus. Hilfereich sei das gemeinsame Arbeiten und ein Ziel, auf das man zusammen hinarbeite. Es laufe auf ein gegenseitiges Helfen hinaus. Er berichtete, dass aus einer von ihm und dem jüngst verstorbenen Klaus Ahlert gegründeten Selbsthilfegruppe für Menschen mit Handicap in Jülich verschiedene Projekte entstanden seien. Aus den Reihen der Mitglieder hätten sich etwa eine Basketballmannschaft oder ein Computerkurs gefunden. Letztendlich gehe auch das Stammhaus Jülich aus der Selbshilfegruppe hervor.
Eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Beeinträchtigungen, ergänzte Czeczatka, die keine spezielle Behinderung in den Vordergrund stellt sei als Impuls des AKI, insbesondere Beckers, gegründet worden. Sie ruhe allerdings aktuell aufgrund einer zu geringen Anzahl regelmäßiger Teilnehmer. Sollte ein entsprechender Bedarf bestehen, sei sie aber wieder aufnehmbar. Wer Interesse habe könne sich gerne melden.
Das Signet „Menschen mit Handicap Willkommen!“ des AKI zeichnet seit 2010 Unternehmen und Institutionen aus, die nicht nur mit Baumaßnahmen, sondern auch auf andere, kreative Art und Weise Menschen mit Beeinträchtigungen möglich machen an ihrem Angebot teilzunehmen. Das kann unter anderem die Bereitschaft sein, einen Rollstuhl über eine Schwelle zu heben. Mittlerweile gibt es über 100 Signetsträger. Beim diesjährigen Festakt war nur ein kleinerer Teil derer anwesend, die das Signet erneut „aufgefrischt“ oder erstmalig erhielten. Darunter waren unter anderem das Technologiezentrum Jülich, die Schirmerschule, Bürotechnik Backhausen, die Schlossplatz-Apotheke und der Kulturbahnhof Jülich.
Im Anschluss an die Signetsverleihung wurde die ehemalige Sozialdezernentin Doris Vogel von der Sprecherin des AKI besonders verabschiedet. Es sei dem Inklusionsbeirat wichtig, dies trotz der vielen bereits vergangenen Ehrungen und Verabschiedungen noch einmal persönlich zu tun. Sie sei ein Mensch mit einem „offenen Ohr, einem guten Blick und mit einem großen Herzen für die Menschen“, der sich stets für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzte und das „verwaltungstechnische Know-How“ mit dem Blick auf Inklusion und Teilhabemöglichkeiten verbunden habe. Auch die zügige und unkomplizierte Zusammenarbeit wurde besonders gelobt. Es habe „gemenschelt“. Vogel drückte ihre Freude aus, aber der Beirat habe es ihr auch „sehr einfach gemacht“. Sie habe „unheimlich viel mitnehmen“ können und „unheimlich nette Menschen“ kennengelernt, erzählte eine Anekdote von einem Dartspiel, das sie in letzter Sekunde verloren habe, obwohl sie zuvor in Führung lag und lobte die Möglichkeiten des Stammhauses – eigentlich müsse letzteres ein Projekt für ganz Deutschland werden. Insgesamt lautete ihr Urteil: „Die Stadt Jülich ist schon lange auf einem guten Weg was die Inklusion betrifft.“