Eigentlich hätte alles ganz schnell gehen sollen: Die Variante 5 der Markt-Umgestaltung, entwickelt vom Planungsbüro MWM auf Grundlage der Bürgerbeteiligung der letzten 18 Monate, sollte im jüngsten Stadtenwicklungs-Ausschuss auf den Weg zur Entscheidung in den Stadtrat gebracht werden. Dazu sollte Bernd Niedermeier den aktuellen Sachstand vortragen. In der zweiten Märzwoche entwickelten die Vereine Werbegemeinschaft, Straßengemeinschaft Kleine Rurstraße, Förderverein Festung Zitadelle und der Stadtmarketing e.V. eine Variante „V“ wie „Vereine“. Sie waren eingeladen, ihre alternativen Vorstellungen dem Ausschuss vorzustellen. Große Anerkennung für das Engagement und die Präsentation sowie für einzelne Komponenten des Vorschlages ernteten die Vereine. Charmant etwa fanden die Ausschussmitglieder den stilisierten Zitadellengrundriss, der auf dem Marktplatzboden wie eine Intarsie verlegt und im Dunklen durch LEDs zum Leuchten gebracht werden sollte als optisches Bindeglied zu „Jülich als Forschungsstadt“. Auch die Berücksichtigung der alternativen Marktstandaufstellung sowie die „Festungsfarbe“ rot statt grau zu verwenden, fand Anklang.
Letztlich blieben – anderthalb Stunden später – die politischen Vertreter im Ausschuss aber bei ihrem Bekenntnis für die Variante 5 – mit der Entscheidung, dass das Planungsbüro MWM einzelne Aspekte des Vereinsvorschlags einarbeiten solle. Vorausgegangen war eine zum Teil auch sehr emotionale Diskussion.
„Ein Platz, den wir uns denken, der eine andere Struktur hat, eine neue Struktur hat, hat eine hohe Flexibilität, eine hohe Funktionalität, mit großen Abständen, die alles ermöglichen was wir machen können und wollen. Es gibt belebende Elemente. Für den Wochenmarkt gibt es ein gutes Miteinander der Stände und Geschäfte – ein vis-a-vis – und einen freien Blick auf die geschützten Fassaden.“ So resümierte Wolfgang Hommel als Vortragender des Vereins-Quartetts die Ziele ihrer Variante. Soweit herrschte sicher Einigkeit. Bernd Niedermeier von MWM sagte: „Wir liegen von den Intentionen nicht auseinander. Der Markt soll als Ort der Märkte funktionieren, der im Alltag funktioniert und die Historie nicht verleugnet.“
Kritikpunkte, die die Vereine vortrugen wurden dagegen mit weniger Wohlwollen aufgenommen. Unberechtigt fanden die Ausschussmitglieder, dass es dem Entwurf an der Individualität mangele, die der Einzigartigkeit Jülichs Rechnung trüge. Es sei „ein Plan, den es auch so in Heinsberg oder Erkelenz geben könnte“. Marco Johnen (CDU) unterstrich, dass seiner Meinung nach die Variante 5 die Vorgabe der Individualität schon „sehr gut erfüllt“. Die Vereine nahmen für sich in Anspruch eine Idee entwickelt zu haben, die nicht in den Lehrbüchern der Stadtplaner stünde. Martin Schulz, erster Beigeordneter der Stadt und von Hause aus Architekt, erklärte, dass ein solcher Entwurf aus gutem Grund in keinem Lehrbuch stünde. Wörtlich sagte er, dass er sich nicht getraut hätte, seinem Professor einen solchen Entwurf vorzulegen.
In seinem vorausgehenden Vortrag hatte Bernd Niedermeier klar gelegt, dass es nicht nur um ein Raumkonzept bei der Marktumgestaltung gehe, sondern um ein Stadtkonzept. Er sprach von einer „Perlenkette“, die vom Schlossplatz über Kirch- und Marktplatz, über den Walramplatz zum Brückenkopf führe.
Ebenfalls bemängelt worden war in der Variante „V“ die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit der Historie. Ihr Entwurf dagegen greife die Gradlinigkeit und Architektur Pasqualinis auf. Das entscheidende Merkmal ist hierbei eine Säulenhainbuchen-Allee, die auf der Achse Markstraße-Düsseldorferstraße platziert werden soll. Gerade daran gab es reichlich Kritik, da dies nach Ansicht der Diskutanten genau dem Gedanken der Flexibilität und der freien Sicht auf das alte Rathaus widersprechen würde.
Den größten Widerspruch erzeugte, dass der Eindruck im Vortrag erweckt worden wäre, dass es keine Bürgerbeteiligung gegeben hätte. Ausgesprochen deutlich war Felix Brandt (CDU), der den Diskurs eröffnete: „Ich muss mich doch sehr wundern, wie hier diskutiert wird. Wir tun so, als hätte es die Bürgerbeteiligung nicht gegeben.“ Aus seiner Sicht gefährde diese Diskussion darüber hinaus den Zeitplan des InHK und stelle grundsätzlich den Anspruch in Frage, „einen von der Seite eingebrachten Entwurf einer einzelnen Interessensgruppe gleichberechtigt mit einem vom Lenkungskreis abgesegneten Entwurf“ zu behandeln. Dem widersprach Harald Garding (SPD), der zwar grundsätzlich die Variante 5 der „V“-Variante vorziehen würde, aber sich auch dafür aussprach, dass Bürger auch weitere Varianten einbringen könnten und sie nicht nur die Farbe des Pflasters mit aussuchen sollten. Auch Christopher Wolf stimmte seinem Parteikollegen zu und forderte keine Beschränkung, vielmehr „die Kreativität ganz Jülichs“. Dem konnte Bernd Niedermeyer nur zustimmen und betonte, dass die weiteren Planungen noch völlig offen seien, „aber es wäre wichtig, in die nächste Stufe zu kommen“.
Peter Plantikow (CDU) dagegen äußerte sein Unverständnis für das Vorgehen der vier Vereine, die ebenfalls Teil des Entscheidungsgremiums gewesen seien: „Das konterkariert den Lenkungskreis. Es gab von Anfang an einen Zeitplan des InHK, das wussten alle Beteiligten schon seit November – ich verstehe das Vorgehen nicht, wenn man mit abstimmt und mehrheitlich begründet. Wenn man einen solchen Vorschlag präsentiert muss man doch zwischen November und März darauf aufmerksam machen, dass man mit der Entscheidung des Lenkungskreises nicht einverstanden ist und etwas ganz anderes vorhat.“
Lange hätte man im Lenkungskreis diskutiert, erklärte Bürgermeister Axel Fuchs, und sich aus guten Gründen für die Variante 5 entschieden. „Weil wir einen Kontrapunkt setzen wollten und keine Variante, bei der Bürger am Ende sagt: Wo ist denn meine Meinung geblieben? Wo ist die Veränderung?“ Die Multifunktionalität habe im Vordergrund gestanden, betonte Fuchs und stellte dann sehr emotional gestimmt die Frage „Und jetzt sollen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir in die Mitte des Platzes eine Baumallee setzen? Und das sind auch keine Bäume, die vor dem Klimaschutzgedanken Sinn ergeben, weil sie ja klein bleiben sollen und keinen Schatten spenden. Sie sollen nur dahingesetzt werden, um möglicherweise dem Denkmalschutzgedanken gerecht zu werden. Das kann doch nicht unser Ziel sein. Hier muss sehr deutlich gesagt werden: Die Varianten 1 bis 5 sind die Bürgerbeteiligung.“
Konrad Schlüter (UWG JÜL) stimmte Axel Fuchs zu, der sich ebenfalls zur Variante 5 aussprach und für die Bürgerbeteiligung im Mai. Wenn jetzt eine neue Variante diskutiert würde, „dann werden wir überhaupt nicht mehr fertig.“ Felix Brandt (CDU) mahnte an, dass sich die Ratsvertreter nicht ihrer politischen Verantwortung entziehen könnten: „Wir müssen den Mut haben zu einer mutigen Entscheidung“ und fand Unterstützung bei Martin Schulz, der sagte: „Bitte seien Sie konsequent, das sind wir auch den Bürgern schuldig.“
„Es ist alles gesagt, und wir sind uns in vielen Punkten einig und ich würde bitten, die Diskussion in die Finale zu bringen“, regte Jan Schayen (CDU) nach anderthalb Stunden an. Nach Schlussworten von Heinz Frey (UWG JÜL) – „Ich sehe das Ganze positiv, wie wir es tun und vorgehen“ – nahm der Ausschuss wie im Beschlussvorschlag vorgesehen die Berichte zur Kenntnis.
Ein Blick in die Marktplatzgeschichte: Mit Autos – ohne Maske
und Überlegungen zu der Frage: Wer ist eigentlich „der Bürger“?
INHK Chronologie
2019, 20. März „Wir erfinden die Stadt neu“
2019, 22. März Auftaktveranstaltung InHK Jülich
2019, 23. Juni Stadtspaziergänge zum InHK
2019, 9. Sept. Mehr Mut erwünscht
2019, 11. Sept. InHK: Jülicher Ideen sind gefragt
2019 , 29. Okt. Erste Ergebnisse der InHK-Bürgerbeteiligung
2020, 1. Febr. Maßnahmenplanung zum INHK nimmt Fahrt auf
2020, 11. Febr. Integriertes Handlungskonzept: Ergebnisse der Bürgerbeteiligung
2020, 27. Febr. Dritte Online-Beteiligung zum InHK
2020, 6. März Fontänenfeld für den Schlossplatz?
2020, 23. Juli Bürgerbeteiligung beendet
2020, 10. Okt. 15 Millionen für den Stadtumbau
2021, 1. April Bürgerbeteiligung auf der Kippe: Letzter Versuch
2021, 3. April Marktplatzpool