92 Bewohner und Mitarbeiter der Seniorenwohnanlage „An der Zitadelle“ sind in Jülich die ersten Impfkandidaten für das Serum BNT162b2, kurz: den Corona-Impfstoff. Gut vier Stunden war das Ärzte-Ehepaar Elisabeth und Achim Dohr im Einsatz: „Wir haben zwar Urlaub“, sagt grinsend der offensichtlich gut gelaunte Arzt, aber man habe ja eh nichts vor. Zügig geht es voran im hauseigenen Café Pasqualini, das an diesem Tag das Impfzentrum ist: Begrüßung, kleines Willkommen, der „Patient“ setzt sich, Ärmel hochgekrempelt, der vielzitierte kleine „Pieks“ und schon kommt der nächste. „Es ist ganz gut angelaufen. Wir sind heilfroh, dass es jetzt vorwärts geht“, sagt Dr. Achim Dohr.
Wie viel Vorarbeit in dieser Impfung steckt, erfährt nur, wer nachfragt. Im „Hinterzimmer“ sitzen Arzthelferin Verena Dransfeld und Arztsohn Johannes Dohr, die sich um die Impfdosen kümmern. Das Serum lagert im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad, wird dann „portionsweise“ entnommen, eine halbe Stunde bei Zimmertemperatur aufgetaut und dann schließen sich noch einmal sechs bis sieben Minuten konzentrierter Arbeit an: „Wir sind jetzt einmal im Flow, dann klappt es auch“, sagt Verena Dransfeld. Ein Fläschchen reicht für sechs Impfungen, dazu muss der Inhalt behutsam eingefüllt, mit einer Kochsalzlösung vermischt und noch einmal geschwenkt werden, ehe es auf die Spritzen gezogen wird. „Diese Vorgänge, die zeitintensiv und wichtig sind, sind neu. Der Impfstoff muss dann innerhalb von 5 bis 20 Minuten geimpft werden“, erklärt Elisabeth Dohr und greift sich das nächste „Sechserpack“.
Derweil steht die Leiterin der Seniorenwohnanlage, Heike Poullie, vor dem Tisch, der dichtgefüllt mit Stapeln von Papieren ist. Sie zählt auf: „Da ist ein Aufklärungsbogen, der muss durchgelesen werden, wenn Fragen auftauchen, können die Ärzte direkt gefragt werden. Es muss ein Anamnesebogen ausgefüllt werden, beispielsweise ob eine Gerinnungsstörung vorliegt. Dazu gibt es ein Medikamentenblatt und ein Diagnosenblatt. Das alles in doppelter Ausführung sortiert nach den einzelnen Wohnbereichen.“ Natürlich gibt es reichlich Unterstützung vom Personal bei der Bewältigung dieser Papierflut. Vorab sind viele Gespräche mit den Bewohnern und deren Angehörigen geführt worden, um festzustellen, wer sich impfen lassen wollte: 54 der 80 Bewohner waren dazu bereit, zehn Bewohner haben bereits ein Covid-Infektion überstanden und müssen nicht geimpft werden.
Insgesamt ist die Stimmung aber gut, was auch Bürgermeister Axel Fuchs erfreut zur Kenntnis nimmt, der eigens zu diesem Anlass in die Wohnanlage gekommen und gleich die Gelegenheit nutzt, um einen „guten Rutsch“ zu wünschen. „Man merkt den Menschen an, die geimpft werden, wie dankbar sie sind. Es gibt keine negativen Reaktionen: Die Bewohner und Menschen, die hier arbeiten, freuen sich darauf. Und ich freue mich mit ihnen“, sagte Fuchs und verweist auf die enorme medizische Leistung. Nur neun Monate seien vom ersten Corona-Fall im Kreis Düren bis zur Entwicklung des Impfstoffes vergangen. „Es ist wirklich ein Hoffnungsschimmer!“ Großes Lob hat der erste Bürger Jülichs auch für die Mitarbeiter des Kreises Düren und allen voran des Gesundheitsamtes, „das Tag und Nacht tolle Arbeit leistet “ und viel Kritik für „Trolle“, die alles in unangemessenem Ton nur in Frage stellen und ablehnen würden: „Warum kann man in einer solchen Pandemie-Lage nicht einfach mal zusammenhalten?“
„Warum muss es unbedingt Silvester sein?“ Wer Dr. Achim Dohr diese Frage stellt, erhält die prompte Antwort: „Jeder Tag zählt jetzt.“ Besonders eindrücklich präsent empfindet das Arztehepaar Dohr die Dringlichkeit angesichts des erschütternden Todes ihres Kollegen Dr. Gerald Wilmsmann in der vergangenen Woche. Dr. Elisabeth Dohr: „Das hat uns alle tief getroffen. Als der Anruf kam, ob wir helfen, haben wir sofort zugesagt. Wir müssen so schnell wie möglich das Virus bekämpfen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ „Wir müssen uns ganz konsequent diesen Menschen entgegenstellen, die Corona immer noch leugnen oder verharmlosen“, ergänzt Bürgermeister Axel Fuchs.
Einige „Überdosen“ standen Ehepaar Dohr zur Verfügung, die natürlich nicht verfallen sollten. Daher wurden über die 92 Probanden „An der Zitadelle“ hinaus gezielt Patienten zu Impfungen einbestellt, die hochgefährdet, schwerst erkrankt und betagt sind. „Wir müssen die Impfstoffe heute verwenden, weil sie sonst unbrauchbar werden.“
Wie es weitergeht ist noch nicht ganz klar. Am 6. Januar, so Dr. Achim Dohr, werde es voraussichtlich eine neue Zulassung geben, die dann auch für Deutschland gelte. „Dann haben wir entsprechend mehr Impfstoffe.“ Vor Mitte Januar ist aber mit weiteren Impfungen nicht zu rechnen. Derzeit werde für die notwendige Zweitimpfung in drei bis vier Wochen der Impfstoff für bereits Geimpfte zurückgestellt.