Klare Worte in (welt-)politisch turbulenten Zeiten: „Wir sehen die Demokratie gefährdet“, sagt Heinz Spelthahn, Vorsitzender der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz. Nicht nur in Deutschland würden nationalistische Tendenzen wieder erstarken, Ton und Umgang rauer, die Freiheiten der Demokratie zunehmend gerade von den Menschen für ihre Zwecke ausgenutzt, die keine demokratischen Werte leben, diese sogar mit den Füßen treten. „Brandmauern werden oft zitiert, aber nicht gelebt“, ruft der Vorsitzende dazu auf, die Demokratie zu verteidigen, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu bekämpfen und nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Erstmals lobt die Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz daher für das Schuljahr 2023/24 einen Wettbewerb aus. Der Titel: „Jagdfeld-Sybilla-Schüssler-Preis“ – benannt nach dem Stifter Anno August Jagdfeld und seiner Großmutter, die sich nach bekunden des Stifters um die inhaftierten Menschen jüdischen Glaubens in der Villa Buth in Kirchberg gekümmert hat. Eingeladen sind alle Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe an den Gymnasien und Gesamtschulen im Jülicher Land, sich im Rahmen ihrer Facharbeiten mit Themen zu beschäftigen, die sich gegen Extremismus jeglicher Art, gegen Antisemitismus und für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Gegenwart sollen junge Menschen dazu ermutigt werden, Untersuchungen anzustellen und sich mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Umständen auch zu anderen Zeiten „Anderssein“ im Jülicher Land zu Ausgrenzung führte oder inwiefern Toleranz, Solidarität und Zivilcourage das „Anderssein“ möglich machten, erklärt der Wettbewerbskoordinator und stellvertretende Vereinsvorsitzende Timo Ohrndorf.
Die Idee hinter dem Wettbewerb: Eine Teilnahme geschieht durch die Einreichung der in der Oberstufe angefertigten schulischen Facharbeit als Wettbewerbsbeitrag im Fach Geschichte, Sozialwissenschaften, Politik oder Religion. Zur Auswahl stehen drei Themen, die von der Jülicher Gesellschaft in Kooperation mit dem Stadtarchiv Ende der Herbstferien offiziell vorgeschlagen werden und die immer einen Bezug zu Jülich haben. Das Stadtarchiv wird hierzu Quellenmaterial zur Verfügung stellen. „Wir stehen bereits im Austausch mit den Schulen und werben in den Lehrerkollegien für eine Unterstützung“, berichtet Timo Ohrndorf. Details zu den Themen und zu den Abgabefristen können daher noch nicht veröffentlicht werden, damit die Startbedingungen für alle Teilnehmenden gleich sind.
Nur so viel sei verraten, es wird je ein Thema zur Situation der Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs, zum Rassismus während der Besatzungszeit von 1918-1929 und zu den Jülicher Schulen in der NS-Zeit zur Auswahl stehen. Die konkreten Themenstellungen sowie Quellen- und Literaturangaben werden nach den Herbstferien auf der Seite des Stadtarchivs (www.juelich.de/stadtarchiv) und unter www.juelicher-gesellschaft.de veröffentlicht. Sobald die Arbeiten seitens der Schulen bewertet worden sind, gehen die Beiträge anonymisiert in den Wettbewerb und werden von einer Jury bewertet. Für die besten drei Beiträge gibt es Geldpreise in Höhe von 500, 300 und 200 Euro, der beste Beitrag wird veröffentlicht.
Die Verknüpfung mit den obligatorischen Facharbeiten soll die Bereitschaft bei Schülerinnen und Schüler steigern, womöglich noch etwas extra Zeit in die Nachforschungen zu investieren. Bis zu vier Wochen haben die Teilnehmenden Zeit, ihre Facharbeit für die Wettbewerbsteilnahme zu überarbeiten oder zu erweitern. „Wir erhoffen uns aufgrund zahlreicher neuer Quellen durchaus spannende Ergebnisse“, ist Timo Ohrndorf überzeugt, dass der Wettbewerb neue Impulse setzen wird. „Wir tragen keine Schuld, aber wir tragen Verantwortung. Auschwitz hat damals auch in Jülich begonnen. Es darf sich nicht wiederholen“, ist Heinz Spelthahn überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit der ganz „lokalen Geschichte“ ein viel größerer Hebel zum Verstehen und gegen das Vergessen ist.
Ein weiteres Transportmittel der Botschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz ist die Vergabe des Preises der Jülicher Gesellschaft für Zivilcourage, Solidarität und Toleranz 2024. Preisträgerin wird die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Laudator ist der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Die Übergabe des Preises findet am 25. Januar in der Schlosskapelle statt. „Für unsere Preisträgerin ist ihre Arbeit in der Staatskanzlei eine Herzensangelegenheit, ein persönliches Anliegen, keine Aufgabe, die man im Staatsapparat wahrnimmt“, betont Heinz Spelthahn. Zweite Preisträgerin ist die 89-jährige Elfriede Görtz, die aus der Villa Buth in Jülich entkam, den Holocaust überlebte und als Zeitzeugin viele Termine in Schulen wahrnimmt, um junge Menschen für dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte zu sensibilisieren.
Verjüngung des Vorstands hat begonnen
Bei der Mitgliederversammlung der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz wurde der Vorstand des Vereins neugewählt. Die Mitglieder bestätigten den Vorsitzenden Heinz Spelthahn im Amt, allerdings gab Spelthahn bekannt, dass dies seine letzte Amtszeit sei und er für eine erneute Kandidatur nicht mehr zur Verfügung stehen werde. Dr. Walter Liedgens trat nicht mehr als stellvertretender Vorsitzender an, sein Nachfolger wurde Timo Ohrndorf. Neuer Schatzmeister wurde Hans Gerd Linneweber, sein Vorgänger Dr. Paul Liedgens gehört dem Vorstand künftig als Beisitzer an. Wiedergewählt wurde Gabriele Spelthahn als Schriftführerin des Vereins.