Auf der Wiese vor dem Science College liegt ein mit Blut bespritztes Blatt Papier. Drum herum stehen 16 Jugendliche, alle in weiße Schutzanzüge gekleidet und mit Schutzbrille und -maske ausgerüstet. Handelt es sich hierbei um einen Tatort? Nein, die Juniorakademie findet wieder statt. Zum 12. Mal nun finden sich 32 Schüler aus ganz NRW zusammen, um einen Blick auf die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Forensik und Nanotechnologie zu werfen. Dabei dürfen auch sportliche Aktivitäten und ein musikalisches Programm nicht fehlen.
Noch bis Freitag wohnen die Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jahre im Gästehaus und im Hotel der Schule und haben dabei einen festen Tagesablauf. Vormittags finden die Kurse über Nanotechnologie oder Forensik statt, nach dem Mittagessen geht es mit dem Chor weiter.
Jennifer Weil ist die neue Akademieleiterin und ist zum ersten Mal dabei. „Unser Motto ist: Die Akademie ist das, was du daraus machst. Die Teilnehmer sollen sich integriert fühlen und auch Mitsprache haben. Darum können sie das Abendprogramm selbst gestalten.“ Die Schüler können beispielsweise ihr Hobby präsentieren und dann einen Tanz- oder Origami-Kurs anbieten. So lernen sie sich gegenseitig besser kennen und zeigen den anderen Teilnehmern auch neue Freizeitbeschäftigungen. Es findet auch ein sogenannter „Tag der Rotation“ statt: bei diesem werden die Forensiker von den Nanotechnologen über Fachspezifisches aus ihrem Kurs informiert und umgekehrt. „So kann man über den Tellerrand hinausblicken, damit man sich umfassend weiterbildet“, erläutert Weil. Sie betont, dass sie den offenen Umgang miteinander und das Gemeinschaftsgefühl gleich am ersten Tag ganz besonders fand.
Doch wie genau kann man sich so einen Forensik Kurs eigentlich vorstellen? Neben Analysen und selbst entwickelten Experimenten fertigen die jungen Forensiker eine Blutspritzer-Analyse an. Dabei wird (Kunst-)Blut mit einer Pipette aufgenommen und aus unterschiedlicher Höhe, gemessen mit einem Zollstock, auf ein Blatt Papier getropft. Die Schüler protokollieren dann, wie sich der Fleck aus den verschiedenen Höhen verändert hat.
Regina Lützenkirchen und Jasmin Asfour leiten die Forensik Kurse seit einigen Jahren schon. Beide sind begeistert von Forensik und kriminalistischen Themen. Doch am meisten Spaß mache es Asfour, den Zusammenhalt unter den Teilnehmern zu spüren und zu sehen, dass Freundschaften fürs Leben entstehen. „Die Jugendlichen merken, dass man hier nicht nervös sein muss und dass man nicht für seine Interessen ausgelacht wird. Es entstehen auch viele interessante Konversationen.“ Die Leiterinnen sind selbst ehemalige Teilnehmerinnen und berichten, dass sie bis heute den Kontakt mit ihren Bekanntschaften pflegen. Lützenkirchen betont, dass es für viele die Möglichkeit ist, aus dem Schubladendenken in der Schule mal auszubrechen. „Man merkt einfach, dass die Jugendlichen hier frei sein können und sich auch gegenseitig unterstützen.“
Die Juniorakademie bietet die Chance, neues auszuprobieren und so seinen Horizont zu erweitern. Man kann Themen, welche die Schüler im Unterricht interessieren, weiter vertiefen und so die Teilnehmer individuell fördern. Die Kinder sollen auch Vorträge vorbereiten und können dabei selbst Schwerpunkte setzen. Dabei werden sie auch methodisch unterstütz: „Bei uns haben sie diesen geschützten Rahmen, denn sie bekommen keine Noten für den Vortrag. Gleichzeitig erhalten sie Verbesserungsvorschläge und bekommen auch mitgeteilt, worin sie schon gut sind. Dieses Feedback wird automatisch aufgenommen und verfestigt sich“, macht Lützenkirchen deutlich.
Anschließend bilden die unter die Forensiker gegangenen Jugendlichen einen großen Kreis, in dessen Mitte eine Folie ausgebreitet wird. Verschiedene Werkzeuge, wie Hammer, Zangen oder Schraubenzieher werden in Kunstblut getunkt und anschließend über ein Blatt gespritzt. Somit lässt sich feststellen, wie weit das Blut spritzt. Die Jugendlichen sind begeistert und berichten aufgeregt von den bisherigen Erlebnissen. „Am meisten Spaß hat mir bisher der Chor gemacht. Wir haben Lieder gesungen wie ,I want it that way‘ und ,Country Roads‘, mega cool! “, so der 15-jährige Theo.
Ein auf den ersten Blick unschöner Versuch ist die Bestimmung des Verwesungsprozesses von Ratten. Ela, 14 Jahre alt, erzählt, dass man zu unterschiedlichen Tageszeiten die Ratten inspiziert und schaut, inwiefern das Wetter und andere Umstände den Prozess beeinflussen. Klingt aber ziemlich ekelhaft, oder? „Anfangs ja, aber es wird interessanter, sobald man sich damit beschäftigt“, machen Defne und Charlotte, ebenfalls 14, klar.
Auch Lukas Schumacher ist zum ersten Mal dabei. Er ist Dirigent und leitet den Chor bei der Juniorakademie. Es überraschte ihn, dass die Jugendlichen mit so viel Energie bei den Proben dabei waren. Eine Besonderheit sei, dass die Teilnehmer die Möglichkeit hatten, ihre eigenen Instrumente mitzubringen. Dadurch ist eine kleine Band entstanden und abends wird unter der Leitung des Dirigenten geprobt. Am letzten Tag wird neben der Urkundenverleihung also auch ein musikalischer Beitrag stattfinden. „Es gibt einem selbst so viel Energie zu sehen, wie sich die Schüler einbringen und beispielsweise ein Solo singen möchte“. Trotz anfänglicher Skepsis bei der ersten Chorprobe, da sich noch niemand kannte, wurden die Jugendlichen lockerer und direkt am nächsten Tag schon waren alle viel offener. „Was besonders schön ist, dass man auf einer Augenhöhe kommuniziert. Auch die Schüler untereinander gehen respektvoll miteinander um. Es ist toll zu sehen, dass die Teilnehmer abends selbst die Kurse gestalten können“, berichtet Schumacher. Auch wenn der Chor in den ersten drei Tagen Pflicht war, haben sich trotz anfänglicher Ablehnungshaltung fast alle Teilnehmer wieder für den Chor eingetragen.
Der Kurs der Nanotechnologie hält ebenfalls viel Spannendes bereit: die beiden Kursleiter Martin Theuermann und Martin Sigot sind extra aus Österreich von der Universität Graz angereist. Theuermann berichtet, dass Nanomaterialien völlig neue physikalische und chemische Eigenschaften bereithalten. „Wir versuchen im Hinblick auf Biologie, Chemie und Physik darzustellen, welche Besonderheiten es da gibt. Mit Experimenten und Anwendungsbeispielen wollen wir es den Kindern näherbringen. Dabei tauchen wir sowohl in die Quantenmechanik ein, als auch in die Bionik, also quasi die Verschmelzung von Biologie mit Technologie. Es finden aber auch Diskussionsrunden statt.“
Der fünfzehnjährige Timo erklärt, dass ihm trotz des relativ strikten Zeitplans die Abende immer besonders Spaß machen, da man neue Hobbys kennenlernen und sich untereinander austauschen kann. „Weil man das hier freiwillig macht und die gleichen Interessen teilt, macht es echt Spaß, mit Gleichgesinnten hier zu sein und auch zu reden. Man erhält viele Fun Facts und kann an coolen Experimenten teilnehmen.“
Laura, 14 Jahre, erzählt, dass man auch in Gruppenarbeit arbeitet und beispielsweise ein Produkt entwickeln soll. Beide sind sich jetzt schon sicher, Freundschaften fürs Leben geschlossen zu haben. „Die Gemeinschaft ist hier wirklich unglaublich“, sind sie sich einig. Beworben haben sie sich gemeinsam mit 400 anderen Schülern.
Neben den vielen wissenschaftlichen Themen werden aber auch Spiele gespielt. Es entstehen auch viele Insider, die dann auf den sogenannten „Munkelbäumen“ festgehalten werden.
Der Leiter des Science Colleges, Philipp Mühlheims, welcher 2009 selbst an der Juniorakademie teilgenommen hat, betont, dass die Kursangebote der Akademie jedes Jahr wechseln. Für das nächste Jahr seien neben den diesjährigen Angeboten auch Medienwissenschaften und Psychologiekurse geplant. Die Juniorakademie NRW wird vom Schulministerium angeboten. Mühlheims erklärt die Aufgaben des Science Colleges und des Haus Overbachs. „Wir sind Förderpartner und unterstützen bei der Organisation, den Räumlichkeiten und der Ausstattung. Auch sind wir im dauerhaften Austausch mit Dozenten, um zum Beispiel herauszufinden, wie man das Angebot verbessern kann. Dabei sollen die Dozenten mitgenommen werden und sehen, was bei uns alles machbar ist und welche Geräte zur Verfügung stehen.“ Der Leiter erläutert auch, dass für das 15-jährige Jubiläum in zwei Jahren eine große Feier geplant wird. „Wenn man sich für Naturwissenschaften interessiert, besteht die Möglichkeit, sich auch außerhalb der Schule zu engagieren und weiterzubilden. Andere gehen zum Fußballcamp, wir haben das Forensik- und Nanotechnologie Camp“, zieht Mühlheim lachend den Vergleich.