Kreuz- oder Marienaltar am Kopf des südlichen Seitenschiffes, Hoch- und Katharinenaltar – jedem dieser Altäre wird durch seine Fülle an Szenen, Figuren und Details eine faszinierende Ausstrahlung zugesprochen. Pfarrer Stefan Bäuerle und Karl-Leo Gerards, als Leiter des Festausschusses, erläutern, warum sie auch heute noch diese Anziehungskraft ausüben. Zunächst werde die Neugier der Menschen geweckt, auch bei denjenen, die nicht kirchlich sozialisiert oder praktizierend seien. Das Kunstobjekte steht hierbei im Vordergrund. „Man kann nicht immer gleich mit dem Theologenhammer kommen“, gibt Pastor Bäuerle zu bedenken. „Es kann ein Einstieg sein in ein weitergehendes Interesse. Ich weiß aus anderen kirchlichen Projekten, dass Kräfte mobilisiert werden und sie dann auch bei Menschen bindet, bei denen man es so nicht ohne weiteres erwartet hätte.“ Ein besonderer Reiz sei die Dreidimensionalität. Sie führt den Betrachter tiefer ins Geschehen und bietet neben dem Sehen auch Erkennen. „Dieser Altar, wenn man ihn sich in Ruhe anschaut, spricht immer auch das eigene Leben an.“ Das gelänge unter anderem durch die Vielfalt der dargestellten Menschen. „Jede Figur ist individuell“, erläutert Karl-Leo Gerards. „Man findet aus allen Bevölkerungsschichten Personen: den derben Bauern. Landsknechte, feine Damen, gebildete Herren …“ Somit findet jeder Betrachter sein Gegenüber.
Pfarrer Bäuerle: „Hier zeigt sich, was derzeit durch die Amazonas-Synode theologisch-Kirchlich en vogue ist: Inkulturation. Das gab es immer schon: Die Vermischung von Kult und Kunst.“ Allerdings, betont der Pastor: „Die Kirche ist kein Museum. Der Altar ist kein ,ausrangiertes Möbelstück‘. Er wird in die Liturgie hin und wieder einbezogen.“ Apropos: Ehe es die Schnitzaltäre gab, hätten die Gläubigen Bibelgeschichten und vom Evangelium vor allem über das gesprochene Wort oder über Bilder erfahren. Zeitgleich zur Entstehungszeit der Altäre kam der Buchdruck. Gerards: „Seither hat man sich an Texten orientiert.“ Bildung fußt seitdem auf Schrift. Aber: „Heute kehrt sich das wieder um. In Zeiten der Handys arbeitet man wieder mehr über Bilder, Kinder lernen über Bilder. Von daher liegen die Altäre wieder im Trend. Was man hört oder darauf hingewiesen wird, kann man sich als Bild betrachten und findet darüber wieder einen Zugang.“
Das führt zum Bildprogramm der Altäre. Wer sich in den Szenen oder Figuren verliere und über das Dargestellte nachdenke, kämer zu dem, was diese Altäre bezwecken sollten: Sie erzählen die Heilsgeschichte Christi. „Wenn der Altar aufgeklappt ist wird von der Geburt und noch davor die Heilsgeschichte bis zum Kreuzestod und das Pfingstereignis in Bildern dargestellt. Man kann sich da ein Bild machen von dem was man im Evangelium gehört hat – auch heute noch“, betont Gerards. „Es also die in Szene gesetzte Botschaft“, vervollständigt Pfarrer Bäuerle.
Derzeit sind die Altarflügel geschlossen. Das ist üblich zur Fastenzeit. So bleiben die schmucken Schnitzereien verborgen, aber den qualitätvollen Tafelmalereien kann die Aufmerksamkeit gelten. „Mir bewusst geworden“, so Gerards, „das die Heilige Messe auf der Außenseite dargestellt ist.“ Die beiden Bilder oben entsprächen der Eröffnung des Gottesdienstes: Jesus spricht mit der Samariterin. Er lädt sie ein. Jeder ist eingeladen. Und die Ehebrecherin: Man muss seine Sünden erkennen und nicht die der anderen. „Dann kommt die große Fläche mit den Wundern. Das hören wir in der Lesung. Zum Schluss unten die Darstellung, da sind wir bei der Eucharistie. Abraham und Melchisedek, die Gregorsmesse, der Mannaregen und das Abendmahl.“ „Das ist wie Bildkatechese, wie man sie zum Teil im Kommunionunterricht noch macht“, erklärt Pastor Bäuerle.
Der Altar als verkürzte Botschaft? „Er ist sicher kein Bibelersatz“, sagt der Theologe. Damals sei es nicht nur darum gegangen, Bibelszenen darzustellen, sondern sie in die Zeit zu übersetzen, etwa durch die Kleidung. „Sie sind ja nicht antik gekleidet, sondern wie im Spätmittelalter, der Renaissance. Ich glaube, das macht Leute heute noch neugierig. Was damals heutig war, ist heute nicht Vergangen, aber ein bisschen befremdlich, so das man genauer hinguckt. Da hat man die Chance anzupacken, einzusteigen.“