„Meine Katze sitzt auf einem Baum. Hilfe, hier liegt eine Schlange! Mein Pferd ist in einen Graben gerutscht und kommt nicht mehr raus. Ein Rind ist in die Güllegrube gefallen.“ Jeden Tag gehen solche oder ähnliche Anrufe bei den Leitstellen der Feuerwehren irgendwo in Deutschland ein. Rettungseinsätze für Pferde, Rinder und andere große Tiere, die in eine Notlage geraten sind, nehmen dabei stark zu. Tierbesitzer vertrauen in solchen Situationen auf die Feuerwehr. Die hilft. Die große Mehrheit der Einsatzkräfte ist jedoch nicht auf die speziellen Anforderungen und Risiken solcher Einsätze vorbereitet. Das ändert sich. Immer mehr Feuerwehren lassen ihre Retter schulen – auch Rettungskräfte am FTZ im Kreis Düren. Sie hatten Deutschlands einzigen zertifizierten Großtierrettungstrainer Lutz Hauch mit seinem professionellen Rettungsdummypferd Sam zu Gast.
Einsatzkräfte, die an eine Unfallstelle mit einem großen Tier gerufen werden, bringen sich oft unwissend in Gefahr – sogar in Lebensgefahr. Tiere in Notsituationen zeigen andere Verhaltensweisen als unter normalen Umständen. Ein ruhig liegendes Pferd wird, sobald es die Freiheit spürt, vehement ums Überleben kämpfen. In großer Gefahr sind bei derartigen Einsätzen vor allem die Rettungskräfte, denn sie sind den vom Tier ausgehenden Gefahren ganz unmittelbar ausgesetzt. Ein Risiko können auch die am Einsatzort anwesenden Personen darstellen: Eine Studie der American Hospital Association macht das deutlich: Demnach würden 83 Prozent der Tierbesitzer ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren, um ihrem Tier zu helfen. Neben den von dem verunfallten Tier und anwesenden Menschen ausgehenden Gefahren können auch im Umfeld Risiken liegen, die erst nach einer entsprechenden Sensibilisierung wahrgenommen und eingeordnet werden können wie zum Beispiel eine Kuh mit ihrem Kalb oder ein Stier mit seiner Herde. Ein Faktor der Risikoanalyse ist auch, dass Großtierrettungseinsätze meist in unwegsamem Gelände oder an Orten stattfinden, die beengt und nur schwer zugänglich sind wie eine Pferdebox auf dem Reiterhof oder ein Transportanhänger. Große Enge, unwegsames Gelände und ein Tier in Panik sind ein gefährliches Gemisch. Da braucht es bewährte Strategien und Vorgehensweisen sowie einige Werkzeuge, um solche Einsätze unbeschadet zu überstehen.
Das Training der technischen Großtierrettung für die Einsatzkräfte am FTZ des Kreises Düren am Freitag, den 2. September begann mit einem zweistündigen Seminarteil, in dem Trainer Lutz Hauch das notwendige Grundlagenwissen vermittelte. Am Beispiel verschiedener Einsätze, präsentiert anhand teils haarsträubender Einsatzvideos, wurde das notwendige Know-how vermittelt: die ganzheitliche Wahrnehmung der Einsatzsituation, die Einschätzung des Verhaltens von Menschen und Tieren unter Stress, die Entwicklung passender Einsatzstrategien sowie sichere und tierschonende Vorgehensweisen.
Nach dem zweistündigen Seminarteil ging es für die Teilnehmer des Großtierrettungstrainings in die Praxis: Sie legten ihre PSA, die persönliche Schutzausrüstung an, die auch im Einsatzsatz unbedingte Pflicht ist. Dann wurde der lebensgroße Rettungsdummy des Trainers entladen. Der Hengst Sam ist ein professioneller Pferdedummy, wiegt circa 200 kg und hat bewegliche Gelenke. Sein großer Vorteil: Er lässt alle Übungen und auch Fehler, die beim Training gemacht werden dürfen, geduldig über sich ergehen. Die Teilnehmer lernten an und mit Sam, wie eine Großtierrettung ablaufen sollte. Dabei kamen Spezialwerkzeuge zum Einsatz, die der Trainer mitgebracht hatte. Die Werkzeuge wurden für die technische Großtierrettung entwickelt und sind geeignet, Tiere schonend und schmerzfrei zu befreien, ohne dass Rettungskräfte dem Tier zu nahe kommen müssen. Geübt wurden verschiedene praxisnahe Situationen wie die Rettung aus einem Graben und auch eine Rettung mittels Hebegeschirr unter Einsatz eines Krans. Der kann übrigens in den allermeisten Fällen in der Fahrzeughalle bleiben. „90 Prozent aller Rettungen lassen sich mit reiner Muskelkraft bewältigen“, bestätigt Lutz Hauch. Alle Einsatzszenarien wurden so realistisch wie möglich nachgestellt, um die Teilnehmer auf den Ernstfall vorzubereiten. Denn genau das ist das Ziel des Großtierrettungstrainings.
Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland keine qualifizierte Ausbildung zur Vorbereitung auf Großtierrettungseinsätze. 2016 begann Lutz Hauch, der übrigens aus dem benachbarten Aldenhoven kommt, das Konzept der technischen Großtierrettung in Deutschland bekannt zu machen. Das wurde in Großbritannien entwickelt und gehört dort und in vielen weiteren Ländern weltweit seit mehr als 20 Jahren zur Standardausbildung für Rettungskräfte. Heute ist Lutz Hauch Deutschlands einziger Ausbilder für die technische Großtierrettung mit Qualitätszertifizierung nach ISO 9001. Er hat zwei Co-Trainer, die Feuerwehren in Norddeutschland bzw. im Süden trainieren. Bis heute haben gut 310 Feuerwehren aus ganz Deutschland ein Training bei Lutz Hauch oder einem anderen ComCavalo-Trainer absolviert. Legt man die vom Deutschen Feuerwehrverband auf ihrer Internetseite genannte Zahl von insgesamt rund 22.300 Feuerwehren – freiwillige und Berufsfeuerwehren – zugrunde, sind das nicht mehr als gut ein Prozent mit Großtierrettungskompetenz.