„Dat kannste in die Tonne kloppen, Jung!“, war die von Gelächter begleitete Unisono-Bemerkung der beiden Mitarbeiter in dem Jülicher Elektro(nik)laden in der Marktstraße. Der Laden ist genauso Geschichte wie mein allererstes Handy, um das es damals ging. Ich hielt das Teil vom Charme eines Ziegelsteins voller Erwartung auf Wiederbelebung den Herren vor die Nase und erkundigte mich so höflich wie schüchtern nach einer etwaigen Reparatur.
Tja, also „Tonne kloppen“ geht schon mal gar nicht. Das schadet der Umwelt und ist zudem Verschwendung. Alte PCs zum Beispiel sind kleine Goldgrübchen. Gold ist einfach super, was die Leitfähigkeit für elektrischen Strom angeht. Und Kontakte aus Gold korrodieren nicht. Es ist wohl weniger lukrativ als Zahngold, aber beim PC gibt es weniger Bedenken in Sachen Pietät. Der Aspekt der Wiederverwertung setzt der Pietätlosigkeit allerdings keine Grenzen. In dem Science Fiction Film „Soilent Green“…
Ich denke, ich kann Euch die weitere Ausführung ersparen. Ihr kennt den Film, oder? Bei dem Wort Seife in Verbindung mit den Naziverbrechen läuft es mir immer kalt den Rücken herunter. Irgendwie kann ich verstehen, dass aus Tieren gewonnenes Glycerin als nicht koscher gilt, obwohl es rein chemisch von dem aus Pflanzen oder von dem rein petrochemisch aus Propen gewonnenen Glycerin nicht zu unterscheiden ist. Gehen wir lieber zurück in die Mechatronik-Abteilung.
Reparieren geht vor Recycling. Ich habe noch kein elektro- oder mechanisches Gerät gesehen, das „unkaputtbar“ ist, aber die Reparaturmöglichkeiten wurden per Gesetz erhöht. Reparieren statt wegwerfen, heißt die Devise. Zu viele technische Geräte landen im Müll, obwohl man sie noch reparieren könnte. Die EU hat deshalb Teile der „Ökodesign-Richtlinie“ erneuert. Hier, bitteschön: www.ce-richtlinien.eu/ce-richtlinien/oekodesign-richtlinie, aber vielleicht studierst Du vor dem Lesen lieber erst einmal Jura. Die Kernpunkte sind: eine bessere Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Reparaturanleitungen für Verbraucher und für Fachbetriebe, keine zusammengeschweißte, sondern nur noch ohne Spezialwerkzeug aufschraubbare Gehäuse.
In dem Buch „Kaufen für die Müllhalde“ erzählen die Autoren Jürgen Reuß und Cosima Dannoritzer die Geschichte absichtlicher Sollbruchstellen, die die Lebensdauer von Dingen mutwillig begrenzen. Das bis dahin geltende ehrenvolle Prinzip, das Beste und Haltbarste aus Material und Technik herauszuholen, wurde geopfert. Die Maxime „Gute Ware verspricht ein gutes Geschäft“ wurde gekippt.
Ein bekanntes Beispiel ist die bewusste Begrenzung der Lebensdauer von Glühbirnen. Ich besitze eine Sammlung von Glühbirnen-Bildern und, ja, zugegeben, auch eine kleine Glühbirnen-Sammlung. Zum einen bewundere ich diese die Welt verändernde Erfindung von Edison, zum anderen gibt es viele metaphorische Anwendungen wie etwa die Glühbirne als Illustration für einen Gedankenblitz oder ein helles Köpfchen.
Jedenfalls fehlte den verantwortlichen Herrschaften in dunklen Anzügen eine gewisse Helligkeit im Hirn, als sie sich im Winter 1924 in Genf zu einem geheimen Treffen versammelten mit dem Ziel, ein Kartell zu gründen, dem sie ausgerechnet den Namen Phoebus, „der Leuchtende“, gaben. Der weltweite Glühbirnenmarkt wurde untereinander aufgeteilt, die Lebenszeit von Glühbirnen auf 1000 Stunden verkürzt. Das entspricht etwa einer Halbierung der damaligen Brenndauer. Ein Hersteller, der Birnen produzierte, die länger brennen, musste harte Strafen an das Kartell zahlen.
Und wir Verbraucher hielten somit doppelt so oft wie nötig kaputte Glühbirnen in der Hand und stellen uns auch heute noch die Frage: „Welcher Müll?“ Die offizielle Antwort: in den Restmüll, denn Glühbirnen enthalten keine umweltrelevanten Stoffe. Aber Verschwendung ist es dennoch. Das Glas, das Alu-Gewinde, der Wolfram-Draht wären als Rohstoffe wiederverwendbar.
Als eine Art „Gegendemo” gegen die kurze Lebensdauer der Glühbirnen brennt in einer Feuerwache im kalifornischen Ort Livermore die sogenannte „Centennial Bulb“, die Jahrhundertbirne. Seit 1901 leuchtet sie durchgehend. Sie hat sich den Spitznamen „Ewiges Licht“ verdient. Per Webcam kannst Du live verfolgen, ob das immer noch so ist. Die moderne Technik ist der Birne aber nicht gewachsen. Die Kameras geben der Reihe nach schneller den Geist auf als die Birne. In den 1980ern und 1990ern boykottierten Verbraucher Glühbirnen von General Electric, aber aus anderem Grund. Es war der Protest gegen die Rolle von General Electric in der Produktion von Kernwaffen. Wie man die ganze Erde wiederherstellt, steht nun mal nicht im Recycling-Lehrbuch.
So, hiermit ziehe ich mich mehr zurück ins private Reich des Recyclings: Vor rund drei Jahrzehnten brachten mein Onkel und ich einen defekten gusseisernen Heizkörper zum Recyclinghof. Damals hieß das noch Schrottplatz. Meine schwedische Verwandtschaft nennt es, wörtlich übersetzt, Wiedergewinnungszentrale. Diese Dinger sind sau, eh, sehr schwer. Wir mussten das Schwergewicht auf einen Haufen werfen. Dabei ist wichtig, dass beide gleichzeitig loslassen, sonst Krankenhaus.
Also muss es nach Kommando gehen, und das war paradoxerweise „Schmeiß weg!“. Es hätte ja eigentlich Recycling heißen müssen. Beim Ausholen rufst Du die Silbe „schmeiß“ und dann nach der Gegenbewegung in Richtung Haufen „weg“, und dabei lässt Du los. Dieses „Schmeiß weg!“ bekam ich dann immer wieder von meinem Onkel zu hören. Zum Beispiel hatte ich zwei Kadett B vor dem gemieteten Haus in Aldenhoven stehen. Das sei meiner nicht würdig. Ich habe die Autos dann meiner Frau zu einem runden Geburtstag geschenkt, also die Entsorgung, versteht sich. Das waren damals so 300 DM.
Die nahe Verwandte des Recyclings ist ja die Restauration. Da geht es meist um höherwertige Objekte, Antiquitäten, auch Möbel aus den Fünfzigern, Bücher und eben auch Autos. Immer wenn ich einen Kadett B sehe, blutet mir das Herz.
Wenn ich reich wäre, ich meine so richtig reich, dann würde ich ein Auto konstruieren (lassen), das länger lebt als ein Menschenleben. Es soll schlicht und einfach sein, auseinanderschraubbar und leicht zu warten. Die Besitzer sollen in der Lage sein, alles zu zerlegen, bis die Fläche mit allen Einzelteilen aussähe wie auf einer Explosions-Zeichnung. Es gäbe nur eine Variante mit einem Allerwelt-Standard-Motor. Alles wäre verschraubt, nichts genietet oder verschweißt. An die Verschleißteile käme man gut dran.
Es gäbe keine Kontaktkorrosion von Aluminium mit Eisen, weil ich diese Metalle nicht mischen würde. Alles, was kaputt gehen kann, geht auch irgendwann einmal kaputt. Und was nicht da ist, kann auch nicht kaputt gehen. Also keine elektrischen Fensterheber. So lange ich noch Auto fahren kann, habe ich auch die Kraft, ein Fenster hochzukurbeln. Ich habe den Film Taxi Lisboa vor Augen und seinen fast 100-jährigen Fahrer. www.biograph.de/film/taxi-lisboa
Ok, wir brauchen Luft zum Leben. Man kann nicht alles aufheben. Aber dann finde mal einen 50 Jahre alten Neckermann-Katalog. Du fragst: „Was, zum Teufel, soll ich denn bloß damit?“ Ja, schon, aber er war dringend notwendig für eine Filmproduktion. War das bei „Good Bye, Lenin!“? Die Produzenten haben einen solchen aufgetrieben, aber das hat sehr viel Mühe gekostet. Na, ja, vielleicht hätte ich ja noch einen gehabt, aber wo? „Ein Griff, und die Sucherei geht los“, ist ein oft zitierter Satz meines Vetters, dem Sohn des „Schmeiß-weg“-Onkels.
Auch für Bücher gilt: Weiterverwenden als Lesestoff rangiert vor Wiederverwenden als Altpapier. Der Verein Offener Bücherschrank leistet gute Arbeit. Die Idee, ein Buch wegzuwerfen, löst bei vielen Menschen doch noch eine gewisse Hemmung aus. Sie machen sich lieber die Vermittlungsarbeit, statt einfach den Deckel der blauen Tonne zu lüpfen. Die elf St(r)and-Orte für kostenlose Buchangebote in Jülich sind hier zu finden: www.offenerbuecherschrankev.de/standorte. Bei Wikipedia gibt es Standortlisten für ganz Deutschland nach Bundesländern geordnet. Dann mal los, Ihr Bücherwürmer.
Lebensmittel wegwerfen hat bei mir eine sehr hohe Hemmschwelle. Alles, was nicht verdorben ist, wird gegessen, versorgt oder weitergereicht, so dass es gar nicht erst ins Verderben gerät. Mit Bedacht einkaufen hilft auch. Ich bin zehn Jahre und drei Tage nach Kriegsende geboren und habe eindeutig noch eine „Kriegsmeise“ mitbekommen.
Der Slogan „Containern ist keine Sünde“ wurde zwar von den Gerichten nicht bestätigt, Containern ist also leider tatsächlich eine Straftat, aber viele Anbieter von Lebensmitteln geben die nicht mehr für den Verkauf vorgesehenen Lebensmittel freiwillig weiter. Eigentlich ist es eine Win-Win-Situation, denn die Entsorgung von Lebensmitteln kostet Geld.
In die Schweinetröge darf in der Regel nichts mehr. Aspekte der Hygiene, eine artgerechte Haltung und die Prävention vor Krankheiten sind hier die Stichworte. Mein Respekt gilt der Tafel in Jülich und auch den Initiativen Fairteiler Stetternich und Foodsharing Jülich. Via WhatsApp werden bald verderbliche Lebensmittel vom rohen Salat bis zur fertig gekochten warmen Mahlzeit vermittelt.
Mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel landet im Müll! Das meiste schon auf dem Weg vom Acker in den Laden, bevor es überhaupt unseren Esstisch erreicht: jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel und jedes fünfte Brot. In Deutschland werden jährlich 15 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Der Film von Valentin Thurn mit dem Titel „Taste The Waste – Die globale Lebensmittelverschwendung“ lief seinerzeit im Kuba-Kino und ist auf DVD erhältlich.
zum Trailer
www.youtube.com/watch?v=0WYi_mWrLic
zur Info
www.tastethewaste.de
Vom gleichen Regisseur stammt der Film „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“ Die Menschheit hätte die Fähigkeit, eine Welt ohne Hunger zu schaffen. Auch Kleidung gehört nicht in den Müll.
Die Kleiderkammer „fairKauf“
www.caritasverband-dueren.de/angebote-beratung/kleiderkammern/fairkauf-in-juelich/fairkauf-in-juelich
und das SPD-Kleiderlädchen
spd-juelich.de/kleiderlaedchen-der-arbeitsgemeinschaft-sozialdemokratischer-frauen-e-v
leisten gute Arbeit und werden gut besucht. Auch wenn das aufgedruckte rote Kreuz anderes suggeriert, so stehen hinter den Ankündigungszetteln für Altkleidersammlungen, die wir in unseren Briefkästen vorfinden, in der Regel kommerzielle Firmen. Anders ist dies bei den Sammlungen für Bethel. Aktuell wird engagiert für die Ukraine gesammelt und gespendet.
Das Internet und die über Smartphones genutzten sozialen Netzwerke machen einen Austausch gebrauchter Waren so viel einfacher als früher. Ich kann Dinge günstig bekommen, die ich mir neu wohl eher nicht kaufen würde. Aber über einen Flohmarkt schlendern ist und bleibt eine der schönsten Versuchungen.
Vielleicht löst die Explosion der Benzin- und sonstigen Energiepreise ein Umdenken in unserer Überflussgesellschaft aus. Was ich nicht kaufe, brauche ich auch später nicht wegwerfen oder recyclen. Mein Freund Martin kauft bei Werkzeugen nur noch Qualität. „Eine Zange für den Rest meines Lebens, und dann bekommt sie mein Sohn.“ Das habe ich oft falsch gemacht, indem ich mich durch Billigangebote habe täuschen lassen. Wer billig kauft, zahlt doppelt.
Für diesen Artikel habe ich Textteile aus folgenden Webseiten „recycelt“: www.deutsche-handwerks-zeitung.de/reparieren-statt-wegwerfen-142803 | www.diepresse.com/1382381/gluehbirnen-kartell-der-geplante-defekt | www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplanter-verschleiss-von-produkten-ploetzlicher-tod-der-gluehbirne-1.1660236