Der beschleunigte Ausstieg aus der Kohle bei steigendem Energiebedarf stellt Deutschland vor enorme Herausforderungen. Allein im Rheinischen Revier sind derzeit 93.000 Menschen direkt bei energieintensiven Unternehmen beschäftigt. Weitere 32.000 Arbeitsplätze hängen unmittelbar von ihnen ab. „Wir wollen, dass diese Menschen auch in Zukunft im Rheinischen Revier arbeiten können“, bekräftigt die IHK-Präsidentin.
Den Strukturwandel mit regionalen Stärken meistern
Damit der Strukturwandel gelingt, sollten erneuerbare Energiequellen so schnell wie möglich ausgebaut werden. Ob Batterieforschung, Wasserstofftechnologie oder Elektromobilität – Kohl-Vogel verweist darauf, dass Unternehmen aus Aachen, Düren, Euskirchen und Heinsberg in diesen Bereichen schon heute erfolgreich forschen, entwickeln und produzieren: „Kaum eine Region in Deutschland hat so viel Lösungskompetenz wie unsere.“
Um die Potenziale der Region effizienter zu nutzen, will die IHK Aachen die gesellschaftlichen Akteure enger miteinander vernetzen. So soll zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Unternehmern und Start-up-Gründern intensiviert werden, um noch mehr zukunftssichere Arbeitsplätze in der Region entstehen zu lassen. Nachhaltige Antworten auf den Strukturwandel soll unter anderem ein Treffen der Bürgermeister des Kreises Düren mit Hochschulvertretern und Forschern im Mai liefern, zu dem die IHK Aachen einlädt. „Wenn durch solche Projekte neue Arbeitsplätze entstehen, dann wird der Struktur- und Klimawandel für uns zur Chance“, ist Kohl-Vogel überzeugt. „Gemeinsam können wir aus unserer Chancenregion eine Zukunftsregion machen.“
Doch Neugründungen von Unternehmern benötigen Platz. Und der wird im Kammerbezirk der IHK Aachen immer knapper. „Ein Drittel aller Kommunen hat entweder keine sofort verfügbaren Gewerbeflächen oder weniger als einen Hektar“, bilanziert Kohl-Vogel. Ihr Vorschlag: „Durch die Nachfolgenutzung des Tagebaus könnten zusätzliche Gewerbeflächen entstehen, sofern als solche ausgewiesen und nutzbar.“ Die IHK Aachen möchte diese Optionen so schnell wie möglich mit dem Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Bezirksregierung Köln sowie den Bürgermeistern und Planern der betroffenen Kommunen klären.
Digitalisierung und nachhaltige Mobilität vorantreiben
In puncto Digitalisierung gibt es erste vielversprechende Ansätze im Großraum Aachen – aber auch noch viele Baustellen. „Der neue Mobilfunk-Standard 5G ist die Grundvoraussetzung für viele unserer Industrie-4.0-Vorhaben oder für autonomes Fahren“, sagt Kohl-Vogel. „Doch noch ist nicht einmal 4G eine Selbstverständlichkeit. Es fehlt an der notwendigen digitalen Infrastruktur. Hier ist Anpacken überfällig.“
Digitalisierung ist auch für stationäre Händler eine Chance. Zugleich appelliert die IHK-Präsidentin, Anbieter aus der Region zu unterstützen: „Vor Ort einzukaufen ist nachhaltig. Dann nämlich, wenn der stationäre Handel regionale Produkte anbietet, Verpackungsmüll reduziert oder den Rücksendewahnsinn durch kompetente Beratung vermeidet.“ Darüber hinaus fördern florierende Unternehmen die Attraktivität der Region – was wiederum der Tourismusbranche zugutekommt. Deshalb fordert Kohl-Vogel: „Wir brauchen Impulse für unsere Innenstädte. Davon profitieren Händler, Anwohner und Besucher.“
Ein Schlüsselthema für die nachhaltige Entwicklung der gesamten Region ist Mobilität. „Das fängt bei Park-and-Ride-Plätzen vor den Toren der Stadt an und hört bei nachhaltigen Mobilitätsangeboten der Betriebe für ihre Mitarbeiter auf“, betont Kohl-Vogel. „Denken wir Mobilität neu.“ Die IHK Aachen hat das getan: im Rahmen zweier Workshops, in denen Unternehmer und Händler zahlreiche Ideen und Vorschläge erarbeitet haben, um die Verkehrssituation in der Region und in der Aachener Innenstadt zu verbessern. Diese Empfehlungen werden derzeit zusammengefasst und sollen in die künftige Verkehrsplanung eingebracht werden.
Eine weitere zentrale Herausforderung, die es anzupacken gilt, ist der Fachkräftemangel. „Mit rund 4.300 bei der IHK eingetragenen Ausbildungsverhältnissen haben wir nahezu gleich viele junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen können wie im Vorjahr. Eine Bilanz, die angesichts der demografischen Entwicklung besser ist als erwartet“, sagt Kohl-Vogel. „Dennoch suchen viele Betriebe händeringend Nachwuchs.“ Um künftig mehr Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen, bietet die IHK Aachen die Möglichkeit der Teilqualifizierung an: Wer noch keine Ausbildung hat, kann mit dieser Maßnahme einen Beruf schrittweise erlernen. Ziel der Teilqualifizierung ist, die Teilnehmer zur Prüfung eines staatlich anerkannten Berufs zuzulassen. Die IHK-Präsidentin appelliert an alle Unternehmer: „Wenn Sie in Ihren Betrieben Mitarbeiter ohne Ausbildung beschäftigen, die Sie weiterentwickeln möchten, melden Sie sich gerne bei uns.“
Handelsbeziehungen innerhalb der EU intensivieren
Angesichts zunehmender internationaler Handelsbeschränkungen rät Kohl-Vogel den Unternehmern in der Region, ihren Fokus weiterhin auf europäische Märkte zu richten: „Stark sind unsere Beziehungen vor allem innerhalb der Europäischen Union. Die nordrhein-westfälische Wirtschaft erzielt den größten Teil ihres Exportumsatzes – rund zwei Drittel – in der EU. Die EU-Länder bieten uns somit Chancen.“ Die IHK Aachen unterstützt künftig ihre Mitgliedsunternehmen noch intensiver, Handelsbeziehungen etwa zu den benachbarten Niederlanden auf- und auszubauen.
Um die Fülle an regionalen, bundesweiten und globalen Herausforderungen zu meistern, lautet das Gebot der Stunde: Gemeinsam anpacken! Mit diesem Appell will die Präsidentin der IHK Aachen in den kommenden Monaten alle gesellschaftlichen Entscheidungsträger aus der Region zu einem konstruktiven Miteinander motivieren: „Legen wir los – und berichten uns in einem Jahr, welche Fortschritte wir vorzuweisen haben. Da baue ich auf jeden Einzelnen von Ihnen!“
Die komplette Jahresrede findet man hier: www.aachen.ihk.de/jvv_2020