Warum sollte ich mich hier und jetzt als Frau in die Lokalpolitik trauen? Wie mache ich das am besten? Und warum ist es so wichtig, dass wir Frauen unseren eigenen Weg dabei gehen, und uns nicht abschrecken lassen von dem männlich geprägten Parkett? Als Teilnehmerin des Aktionsprogramms Kommune „Frauen in die Politik“, habe ich im Pädagogischen Zentrums der Zitadelle an einer spannenden Demokratiewerkstatt für Frauen teilgenommen, wo all diese Fragen besprochen wurden. Zusammen mit gleichgesinnten, politisch interessierten Frauen, und auch ein paar Männern, erfuhren wir, warum die Zeit für Politikerinnen im Lokalen mehr als reif ist.
Der Titel der Veranstaltung „Sichtbarkeit von Frauen erhöhen“ legte aus meiner Sicht gleich den Finger in die Wunde, denn gemeint ist wohl eher: Wir sollen bitte nicht nur da sitzen und den Rednern lauschen, sondern auch aktiv das Wort ergreifen, wenn wir uns erfolgreich um ein solches Amt beworben haben. Beides scheint immer noch nicht selbstverständlich zu sein, sowohl das Mitmachen, als auch, die weibliche Stimme zu erheben: Mit 55.000 Einwohnern in der Region und zwanzig Prozent Frauen im Rat sei der Anteil an Frauen einfach zu gering um unseren Anteil in der Bevölkerung wirksam zu vertreten, eröffnete die Gleichstellungsbeauftragte von Jülich, Jessica Fischer, mit ein paar Zahlen den Tag und zeigt das Ausmaß der Misere.
Organisiert und eingeladen zu der Werkstatt hatte der Deutsche LandFrauenverband e.V. zusammen mit der EAF Berlin, der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft. Die Region Jülich, Linnich und Titz war als eine von zehn Regionen in Deutschland für das Aktions-Programm „Frauen in die Politik“ ausgewählt worden und wird entsprechend gefördert. „Das ist nicht selbstverständlich“ betonte Fischer. Auch ihre Kolleginnen aus Linnich, Jennifer Dohm sowie Lisa Mühlheims aus der Landgemeinde Titz, waren bei der Veranstaltung dabei.
Um überhaupt zu verstehen, warum wir Frauen als Zielgruppe jetzt so konsequent gefördert werden, lernten wir also erstmal Fakten kennen und richtig einordnen: Von allen besetzten Bürgermeisterämtern in Deutschland seien nur zehn Prozent Frauen. Dabei sollte uns klar werden, dass wir Frauen gut die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und nicht nur eine andere politische Diskussionskultur, sondern auch ureigene Bedürfnisse und Themen zu vertreten haben. Und schließlich sollte uns bewusst werden, dass es auch unsere Aufgabe ist, das zu tun, denn die Gleichberechtigung sei schließlich im Grundgesetz verankert. Allerdings war nach der Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen schon klar, dass unsere Sinne für die aktuelle Schieflage bereits geschärft sind.
Im Vordergrund stand für uns also eher: Wie machen wir das, welche Hürden gilt es zu überwinden und wo stehen wir uns vielleicht selbst im Weg in die Politik. Um es vorweg zu nehmen: ich selber bin oft genug in die „Fleißiges Bienchen Pose“ gefallen – Frauen glauben oft mit 120 Prozent Wissen in eine Diskussion gehen zu müssen, wo Männer mit deutlich weniger Inhaltskenntnissen selbstbewusster bei Redebeiträgen punkten können. Dies erklärte uns Frauen Coach Sarah Sorge, die selbst lange Jahre in der Politik und Wirtschaft Erfahrungen sammeln konnte und diese nun an Frauen weitergibt.
Welche Rahmenbedingungen sind es denn, die uns Frauen vielleicht den Weg in die Politik versperren? Diese Frage stellte ich Laura Reiter schon gleich zu Beginn. Als stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen LandFrauen Verbandes e.V in Berlin begrüßte sie uns Teilnehmerinnen ebenfalls mit ihren Erfahrungen und Fakten. Sie kennt besonders die Probleme in den ländlicheren Gebieten, wo noch weniger Frauen vertreten seien als in den Städten. Schwierige Rahmenbedingungen wie Sitzungszeiten, fehlende Kinderbetreuung oder Pflege der Eltern stünden hier an erster Stelle bei den Hürden. Diese Aufgaben übernähmen immer noch hauptsächlich die Frauen. Zweitens sei die Kultur der Lokalpolitik noch sehr männlich geprägt und Frauen hätten oft schlicht und ergreifend keine Lust auf diese männlichen Attituden, weiß sie aus ihrer Arbeit. „Die Kommunalpolitik ist zu männlich“, lautete ihr Fazit.
Die Gründe unserer geringen Präsenz in den lokalen Räten seien aber vielfältig, lerne ich an diesem Nachmittag. Sie lägen nur teilweise im „Außen“ begründet: bei den genannten Rahmenbedingen, aber auch tradierten Rollenbildern und Festhalten an männlicher Dominanz. So wählten Männer selbst wieder Männer, weil sie ihnen ähnlicher seien, und damit für fähiger gehalten werden – ein Schneeball-Effekt, der sich „Thomas-Kreislauf“ nennt (ein Begriff der Albright Stiftung, um die Männer-Dominanz in Aufsichtsräten zu erklären und interessanterweise dort auch die Namen Michael und Thomas). Aber nicht nur im „Außen“ gebe es Hürden, sondern auch in uns selbst: Frauen hätten ein unangenehmes Gefühl beim Thema „Macht“, erläuterte Sorge. Das alles seien natürlich Klischees, die nicht auf jede Frau zuträfen, aber dennoch ernst genommen werden müssten. Auf die Frage in die Runde, was sich nach der Kommunalwahl in 2025 verändert haben könnte, waren die Erwartungen sehr gemischt, was eine deutlich stärkere weibliche Repräsentanz im Rat in so kurzer Zeit betrifft. Coach Sorge rät daher zu einer klaren Zielbestimmung, was den Frauenanteil betrifft.
In diesem Zusammenhang war der so genannte SOLO-Status eine völlig neue Erkenntnis für mich und scheint mir noch viel zu wenig bekannt: Bis zu einer Präsenz von einem Drittel in einem Gremium, wirkt die Anwesenheit einer Minderheit – in dem Fall der weiblichen – als großer psychologischer Druck: Macht eine Frau einen Fehler, wird das dann darauf geschoben, dass sie eine Frau ist. Diese Bewertung ändert sich erst ab einer Präsenz von einem Drittel Frauen in einem Gremium. Dieser Effekt spricht eine machtvolle Sprache, finde ich und könnte auch Argument für eine Quotierung sein, die auch unter meinen eigenen Geschlechtsgenossinnen immer noch heiß diskutiert wird – wir Frauen möchten doch immer wegen unserer Leistungen anerkannt werden.
Aber wie bekommt man nun mehr Frauen in die Politik? Auch hier gab es Anregungen: Ganz oben stehen natürlich familienfreundlichere Sitzungszeiten, hybride Möglichkeiten, um auch online teil zu nehmen, Babysitter-Infrastrukturen etc.. Die Frage – „brauchen Sie eine Kinderbetreuung“ – dürfe nirgendwo mehr als Fangfrage auftauchen, um Mütter gezielt auszuschließen, im Gegenteil sollte auch über eine Elternzeit in der Politik nachgedacht werden, findet Sorge. Außerdem könne ein Einstieg über spezifische Themen geschehen, die Frauen bewegen, aber auch über niederschwellige Angebote, die eine weitere Hintertüre in die Kommunalpolitik seien. Das kann auch Vereinsarbeit sein. Politisches Verhalten in diesem Rahmen schon einzuüben – zum Beispiel indem ich mir mit einer Vorstandskollegin die Bälle zuspiele – kann sinnvoll sein.
Demokratie lebe von Mitmachen und von Transparenz, weiß Sorge. Eine, die das ganz konkret im politischen Alltag vorlebt, ist die Linnicher Bürgermeisterin Marion Schunck-Zenker, die bereits in zweiter Amtszeit tätig ist und sogar Live-Sprechstunden auf Facebook anbietet, um so Bürgernähe zu schaffen. Ihr habe man das Amt angetragen, und in weiblicher Manier habe sie erst einmal darüber nachgedacht, erinnerte sie sich. Was sie am Ende dazu bewogen hat „Ja“ zu sagen? Sie habe gemerkt, dass man ganz konkret etwas bewegen könne, und nannte einige Beispiele, wo sie Bürgern konkret den Alltag erleichtert hatte. Bei Frustration von Bürgern sei es wichtig, immer wieder geduldig zu erklären, zuhören, die Menschen mitzunehmen. Schunck-Zenker nehme sich Zeit. Wenn sie im Ort einkaufen gehe, dauere das oft doppelt so lange, wie bei ihrem Mann. Und auch im Rathaus habe man einen anderen Stil entwickelt. Aber das Ganze sei kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, erzählte sie uns Zuhörerinnen. Dass sie dabei als Diplom-Verwaltungswirtin auch die nötige Sachkompetenz für ihr Amt mitbringt, macht es für sie natürlich leichter, sich hier den nötigen breiten Respekt zu verschaffen.
Wir erfahren noch einige Tricks und lernen typische Fallen kennen für den Weg, der vor uns liegt. Ich finde es nach all den Informationen und Erkenntnissen des Tages noch wichtiger, dass viele von uns ihn zu Ende gehen. Gefallen hat mir das Zitat der Trainerin Sorge zum Abschluss: „Das kalte Wasser fühlt sich nicht wärmer an, wenn man später springt.“ Aber je mehr Frauen es im Wasser – sprich in der Lokalpolitik – werden, desto leichter und vor allem selbstverständlicher wird der Sprung ja dann doch.