Bei der Preisverleihung ging der chinesische 131-Minuten-Wettbewerbsbeitrag leider leer aus. Aber ich hoffe sehr, dass er es unter der englischen „Flagge“: „Return to Dust“ irgendwann, irgendwie, irgendwo in die Kinos schafft. Es ist der sechste Spielfilm des 39 Jahre jungen „Independent-Regisseurs“ Li Ruijun, der in dem Dorf Huaqiangzi in Luocheng (Gaotai) im Nordwesten Chinas seine Wurzeln hat (Zur allgemeinen Verwirrung: In China gibt es mindestens acht Ortsbezeichnungen namens „Gaotai“). Genau in dieser „eins aus acht“ ländlichen Gegend Nordwest-Chinas spielt auch „Return to Dust“. Der Regisseur hat an seinem eher kargen Geburtsort gedreht, seine Herkunft im Herzen bewahrt und erweist ihr seine liebevolle Reverenz, auch wenn er heute als einer der rund 22 Millionen Einwohner in Peking lebt und arbeitet. In dem Drama, ja, es ist ein Drama, aber es ist so wunderbar voller Hoffnung und positiver Energie, agieren vor allem zwei Personen: ein Paar, „der Mann“ und „die Frau“. Sie wurden von ihren Familien verstoßen und zu einer arrangierten Ehe gezwungen. Im Film heißen sie Ma und Guiying. Der schweigsam schüchterne Bauer Ma und die behinderte Guiying stehen ganz unten auf der Sozial-Leiter. Um zu überleben, müssen sich die zwei Fremden aufeinander einlassen und ein gemeinsames Zuhause aufbauen. Die Lehmziegel „matschen“ sie selbst. Harte Feldarbeit ernährt sie. Aus dem symbiotischen Überlebenstraining wächst allen Widrigkeiten zum Trotz eine Liebe fürs Leben. Wir begleiten das Paar durch die Jahreszeiten, gehen mit säen und ernten, machen einen Grundkurs in Bescheidenheit und lernen, dass Glück auch in Armut zwar beschwerlich, aber möglich ist. Wir erleben eine Art Freilichtmuseum, aber ohne Netz und doppelten Boden. Wenn es nass und kalt wird, spielen wir das nicht, sondern wir frieren wirklich.
„Die Frau“, der am Kölner Bahnhof sitzend niemand einen Euro in den Becher werfen würde, wird dargestellt von einer der bekanntesten Persönlichkeiten Chinas. Die inzwischen 44-jährige Hai Qing trat schon mit 14 in einer Fernsehserie auf und genießt in China längst Kultstatus. Die zu den weltweit erfolgreichsten Wirtschaftsmagazinen zählende Zeitschrift Forbes kürt jährlich die Top 100 Berühmtheiten des mit 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes der Erde. Hai Qing rangierte in mehreren Jahren hintereinander unter den ersten 50 Plätzen. Im Jahr 2015 wurde Hai Qing zudem die erste UN-Frauen-Botschafterin für China. Sie setzt sich ein für die Gleichbehandlung der Geschlechter. Der Gewalt gegen Frauen bietet sie Paroli.
„Der Mann“ wird dargestellt von Renlin Wu oder sollte ich sagen von Wu Renlin? Tja, anders als wir es in Deutschland gewohnt sind, nennt man im Chinesischen den Nachnamen vor dem Vornamen. Die Realität im Internet ist ein hübsches Durcheinander. Jedenfalls arbeitet Wu mal als Produktionsleiter und Schauspieler wie in „Fly with the Crane“ (2012, vom gleichen Regisseur) und mal nur als Schauspieler wie in dem Film, dem er hier sein Gesicht und optimistischen Überlebensdrang verleiht. Jetzt frag‘ mich bitte nicht, ob er etwas mit der Wu-Dynastie zu tun hat.
Fazit: In diesem Film schmelzen zwei menschliche Seelen zu einem großen Ganzen zusammen und potenzieren ihre Kraft im Stillen, aber unbändig wie bei einer Kernfusion, ganz ohne Freisetzung von Radioaktivität, aber mit einer immensen der Schöpfung zugewandten Strahlung von innen heraus, die auch diese treue Seele von Esel als Traktor-Ersatz positiv zu spüren bekommt. Für mich ist er ganz klar der dritte Hauptdarsteller. Diese 131 Filmminuten lassen Saiten schwingen, die in mir eine große Resonanz auslösen und die den Sinn des Lebens erahnen lassen, obwohl die beiden, der Mann und die Frau, stellvertretend für die ganze Welt im Schatten einer immer näher rückenden bedrohlichen Hydra aus Profitgier, Unachtsamkeit, Lieblosigkeit und Vergewaltigung der Natur stehen.