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Künstliche Intelligenz und Stromnetze

In unserem Stromsystem verursachen alltägliche Schwankungen hohe Kosten für die Verbraucher und Risiken für die Betreiber. Doch was verursacht diese alltäglichen Schwankungen? Drei Jülicher, Kölner und Norweger Wissenschaftler sind dieser Frage mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Grund gegangen – und fanden dabei große Unterschiede zwischen den Stromnetzen. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind nun in der Fachzeitschrift "Patterns" des Cell Press Verlages erschienen.

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Foto: pixabay
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Wer im Frühjahr 2018 morgens den Zug erwischen musste, konnte eine böse Überraschung erleben: Viele digitale Uhren zeigten die Zeit über Wochen hinweg mit einer Verspätung von bis zu sechs Minuten an. Grund dafür war eine extreme Abweichung der Netzfrequenz im Europäischen Stromnetz. “Viele digitale Uhren nutzen die Netzfrequenz als Taktgeber. Weicht die Netzfrequenz zu sehr von ihrem Richtwert ab, so kann das zu Verspätungen führen”, erklärt Johannes Kruse vom Forschungszentrum Jülich, Erstautor der Studie.

Im Stromnetz drehen sich die Generatoren mit zirka 50 Umdrehungen pro Sekunde, also mit einer Netzfrequenz von ungefähr 50 Hertz. Ein ausgefeiltes System von Messungen und Regelkraftwerken sorgt dafür, dass dieser Richtwert eingehalten wird. Langfristige Abweichungen wie im Frühjahr 2018 bringen Uhren durcheinander und belasten das Regelsystem. Kurzfristige extreme Abweichungen, etwa durch den Ausfall von Kraftwerken, können zu weitreichenden Stromausfällen führen.

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Doch solche extremen Abweichungen der Netzfrequenz sind selten. Kleinere Abweichungen hingegen lassen sich alltäglich beobachten und sie sind ebenfalls risikoreich. Denn sie verbrauchen die Reserven im Regelsystem, die eigentlich für die seltenen Fälle benötigt werden, wenn beispielsweise unerwartet Kraftwerke ausfallen. Außerdem verursacht der Verbrauch von Reserven durchgehend Kosten für Betreiber und damit auch für Stromkunden. “Deshalb müssen wir nicht nur die extremen, sondern die alltäglichen Abweichungen verstehen”, führt Johannes Kruse weiter aus. “Was sind die Risiken und Treiber, die zu hohen alltäglichen Abweichungen der Netzfrequenz führen?”

Um dieser Frage nachzugehen, haben die Wissenschaftler aus Jülich, Köln und Norwegen Methoden der Künstlichen Intelligenz eingesetzt. “In den letzten Jahren ist die Menge an öffentlich zugänglichen Daten über das Stromsystem enorm gewachsen. Um diesen Datenschatz zu heben, bietet sich KI regelrecht an”, kommentiert Dirk Witthaut vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung und dem Institut für Theoretische Physik der Universität Köln.

Doch die Analyse der Netzfrequenz mithilfe von KI birgt einen Nachteil. Moderne Methoden der Künstlichen Intelligenz sind meistens “Black-Boxen”: Wie die KI zu Entscheidungen und Vorhersagen kommt bleibt im Verborgenen. Daher können die Wissenschaftler die Netzfrequenz zwar vorhersagen und modellieren, aber daraus keine neuen Erkenntnisse ziehen. “Um die Black-Box zu öffnen werden überall auf der Welt Methoden entwickelt, um KI-Modelle transparenter zu machen. Mit diesen Methoden konnten wir drohende Frequenzabweichungen nicht nur vorhersagen, sondern die grundsätzlichen Risikofaktoren identifizieren, weil wir verstehen, was die KI bei ihren Diagnosen als relevant erachtet”, ergänzt Dirk Witthaut.

„Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass falsche Vorhersagen der Stromnachfrage und -erzeugung ein großes Risiko darstellen, vor allem in Skandinavien ”, beschreibt Benjamin Schäfer von der Norwegischen Universität für Umwelt- und Biowissenschaften. „In Zentraleuropa sind hingegen die Fahrpläne der konventionellen Kraftwerke extrem relevant, also wie sie ihre Leistung hoch- oder herunterfahren, während im Britischen Netz vor allem die Windstromerzeugung und hohe Strompreise mit erhöhtem Risiko einhergehen. Solche Ergebnisse können wir benutzen, um gezielt Schwachstellen im jeweiligen Stromsystem zu identifizieren und Lösungen vorzuschlagen, um Kosten zu senken und die Stabilität weiter zu verbessern.“

Im Gegensatz zu etablierten Modellen, funktioniert das transparente KI Modell der Autoren nur auf Basis von historischen Daten – ohne zusätzliche Annahmen über technische Details des Stromnetzes. Die Autoren erhoffen sich deshalb, dass ihre Studie die Anwendung solch transparenter KI Methoden im Energiesektor weiter beschleunigt. Damit wäre das Stromsystem besser vorbereitet, wenn die Uhren wieder einmal falsch gehen oder extreme Ereignisse die Stabilität der Stromversorgung bedrohen.


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