Manchmal ist das ja so eine Sache mit Warten. Also mit dem auf etwas, dem von etwas und denen für etwas. Aber der Reihe nach. Da ist zum einen das Warten, das per Definition meint, „an einem Ort, in einem Zustand, in einer Situation kürzere oder längere Zeit zu bleiben in der Annahme oder im Hinblick darauf, dass etwas eintreten wird, was diese Situation ändert oder beendet.“ Kennt jeder, kann jeder, so richtig mag es aber keiner: Warten darauf, dass der Bus kommt, dass die Ampel grün wird, auf den nächsten Urlaub, auf das Essen im Restaurant, den Gehaltsscheck, den Nachwuchs, die richtigen Lottozahlen, besseres Wetter, das Ende der Nacht, die große Liebe.
Dabei ist Warten eigentlich eine nicht sichtbare Tätigkeit. Also wenn ich mich beispielsweise mit einem Buch auf eine Bank setze, erschließt sich den anderen nicht, ob ich einfach nur lese oder lesend auf etwas warte. Oder auf mich warten lasse. Das weiß nur ich ganz allein. Schön ist also, dass man das Warten so ganz nebenbei erledigen kann oder umgekehrt, also Warten und dabei noch was anderes tun: Im Wartezimmer beim Arzt die „Bunte“ lesen, in der Wartehalle die Reisepässe suchen, in der Wartezone mit dem Smartphone spielen, in der Warteschleife Schimpfwörter sammeln. Oder tatsächlich etwas warten beim Warten. Also Apparate pflegen, in Schuss halten, eventuell reparieren. Oder in die Sternwarte gehen. Warten lässt sich tatsächlich zurückführen auf das mittelhochdeutsche Wort für „spähen, (aus)schauen (nach)“: also nicht nur gucken, dass tote Zeit überbrückt wird, sondern ebenso mit umfassender Sicht das All betrachten oder nachschauen, ob alles funktioniert. Dafür gibt es Gerätewarte, Platzwarte und Bahnwärter, deren Warterei einerseits sichtbar ist – derweil sie jedoch andererseits zusätzlich noch unsichtbar auf etwas anderes warten können: das Ende der Schicht, den Abpfiff des Spiels, die Ankunft des Zuges.
Es gibt große Erwartungen und überraschende Aufwartungen. Es gibt Ereignisse, für die sich das Warten lohnt und auch solche, auf die man gerade noch gewartet hat. Auf den richtigen Moment muss man manchmal lange warten – auf manchen sein ganzes Leben lang. Manchmal trinkt man dabei Tee und manchmal wird man dabei schwarz. Warten ist immer zielgerichtet und hat keinen Selbstzweck. Also man wartet ja nicht um des Wartens willen, sondern auf etwas ganz Bestimmtes. Wobei ich als Kind des Ostens durchaus auch schon in Warteschlangen gestanden habe, bei denen das Ziel nicht klar war.
Beispielsweise stand ich mittwochs nach Schulschluss immer beim Metzger an und wenn meine Mutter mich zwei Stunden später nach ihrem Feierabend ablöste, war weder klar, ob das Ziel erreicht wird noch welches dieses konkret war, ob es heute Koteletts, Schnitzel oder Rouladen zu kaufen gab. Bei keiner anderen Tätigkeit ist einem die Zeit so bewusst wie beim Warten. Das ausbremsende „Warte mal!“ oder das mit geballter Faust drohende „Na warte!“ sind die Aufforderung zu einer Tätigkeit, die man nicht sieht – bis sie durch irgendein tatsächliches Tun beendet wird. Beendet wird heute auch mein Tun für die Kolumne „Was ich noch sagen wollte…“ mit meinem Lieblingsfilmzitat aus der für mich schönsten Abschiedsszene der Kinogeschichte, in der dank radikaler deutscher Synchronisation gleich zwei Mal gewartet wird. Im Westernklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“ gibt Claudia Cardinale am Ende Charles Bronson den Satz „Sweetwater wartet auf dich!“ mit auf den Weg. Er geht trotzdem – denn „Irgendeiner wartet immer…“