Ohne moralinsauren Zeigefinger Bewusstsein zu schaffen, das gelingt dem Ensemble Opus 45 und seinem Rezitator Roman Knižka auch bei ihrem elften Gastspiel in der Schlosskapelle. Sie schaffen mit ihrem ureigenen Format eine Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur, die an die Gegenwart in bewegender und bedrückender Weise anknüpft. „Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.“ Dieses Zitat von Primo Levi steht über dem aktuellen Programm, das als Neuauflage in Jülich Premiere feierte.
In 80 Minuten war am Sonntagabend niederschwellig ein Schnelldurchlauf durch die Geschichte des Rechtsextremismus’ in Deutschland nach Kriegsende zu erleben. Argumentations- und Erkenntnisgrundlagen wurden dem Publikum in ertragbaren Sequenzen angeboten. Der musikalische und darstellerische Kulturgenuss wurde mit Texten gepaart, die aufrüttelten.
Man möchte meinen, dass gerade dieses Programm seit den jüngsten Wahlen im Februar für politisch Aktive Pflicht sein müsste. Die Schlosskapelle war dicht besetzt. Der Bürgermeister und die Verwaltungsspitzen der Stadt Jülich waren vertreten. Allerdings waren nur wenige Mandatsträger und -trägerinnen aus dem Stadtrat zu sehen. Haben sie nichts davon gewusst? Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich im positiven Sinne von der Aktualität erschüttern zu lassen. Aus dem Wissen Konsequenzen zu ziehen, hätte eine Erkenntnis des Abends sein können.
Auch in Jülich braucht es den politischen Schulterschluss gegen Rechtspopulismus. Die Betroffenheit nach der Bundestagswahl, dass im Schnitt 17 Prozent aller Wahlberechtigten in der Herzogstadt der AfD ihre Stimme gaben, hätte längst zu Konsequenzen führen müssen. Im September sind Kommunalwahlen. Die Zeit läuft. Es ist nicht möglich, dieses Wählerverhalten auszusitzen. In 26 von 32 Wahlbezirken lag der Stimmanteil der AfD über 20 Prozent.
Ich kann und will nicht glauben, dass es in der Mehrheit Bekenntniswähler sind, die eine menschenverachtende Politik für wünschenswert halten. Gerade darum ist es aber wichtig, ins Gespräch zu kommen. Haustürwahlkampf ist das Stichwort. Das Ziel: Punkten mit den eigenen Konzepten, Vorstellungen und Ideen für Jülich. Überzeugungsarbeit leisten. Das ist anstrengend, sicher, aber in dieser fragilen Situation eine Frage der Notwendigkeit und des Überlebens der Demokratie.
Da Demokratie kein Zuschauersport ist, ist natürlich jeder Einzelne gefragt. Alle sind in der Verantwortung, das Wort zu erheben: Im Verein, am Stammtisch, in Diskussionen, auf dass nicht das „blaue Wunder“ geschieht, sondern sich „die Blauen wundern“.
Zum Artikel: Von „Lümmeln“ bis „blaue Wunder“