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Ein lichter Blick auf das Ende

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Vor etwas über einem Jahr, im Dezember 2019, stand ich am Busbahnhof, um eine Freundin zu verabschieden. Wir hatten uns im zweiten Jahr in Folge in Person getroffen, um den Charity-Stream „Friendly Fire“ gemeinsam zu verfolgen – und das trotz etwa 700km Entfernung zwischen unseren Wohnorten. „Nächstes Jahr wird es nach rheinischem Gesetz Tradition“, witzelte ich. Nun, dass es nicht dazu kommen sollte war ja zum damaligen Zeitpunkt nicht abzusehen.
Knapp drei Monate später saßen wir alle mehr oder weniger zu Hause fest. „Was sollen wir nun tun und wie können wir die alljährlichen Ereignisse in dieser Situation stattfinden lassen?“, fragte man sich privat wie unternehmerisch.

Sagen wir es wie es ist: Die zunehmende und bald allumfassende Digitalisierung ist ein zweischneidiges Schwert. Sicher ist ein ernstzunehmender Faktor, dass sich gefährliche Gruppierungen leichter vernetzen können und schneller neue Anhänger akquirieren können. Das sieht man ja schon an den „Corona-Gegner“-Protesten, die, mit Verlaub, nicht lange von Rechtsextremen unterwandert werden mussten. Schnell ist ein Feindbild aufgebaut, schnell die eigene (und für alle) missliche Lage ausgenutzt.
Aber: Die Digitalisierung bietet auch viele Möglichkeiten für die Überbrückung räumlicher Entfernungen und Kreativität, um eine nicht veränderbar scheinende Situation zu ändern. Wo wären viele während der Pandemie ohne das Internet geblieben, mit dem die meisten Streamingdienste und Videoplattformen aufrufen sowie Nachrichten empfangen können – ob von Medienhäusern oder nahestehenden Personen?

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Es ist beachtlich, dass verschiedene Veranstaltungen eben trotz Abstandsregelungen und Gesundheitsrisiken stattfinden konnten. Nicht zuletzt seien hier etwa Stream-Konzerte oder -Gottesdienste genannt, die dank Sicherheitskonzepten vor Ort beinah risikofrei auch Menschen zu Hause abholen konnten – zumindest diejenigen, die mit der Technik umzugehen wussten oder jemanden hatten, der oder die es konnte. Die meist zu wenig beachteten Tätigen in der Veranstaltungsbranche konnten zumindest dort ein wenig Arbeit finden. Auch große Events wie etwa die Videospiel- und weiteren Ankündigungen der „E3“ oder erst kürzlich die Verleihung des Nobelpreises wurden ins Internet verlegt, sie konnten ins Internet verlegt werden. Natürlich, es ist anders als sonst. Vieles musste umkonzeptioniert werden. Aber es geht. Wenn man will.

Ich persönlich kann sagen, dass ich noch viele Freunde aus Schulzeiten habe. Mein engster Freundeskreis besteht hauptsächlich daraus. Nun hat aber ein abgeschlossenes Abitur meistens den „Nachteil“, dass die bisherigen Freunde sich wenigstens über das Bundesgebiet verteilen. Social Distancing durch Weiterbildung. Seitdem nutzen wir, die wir uns noch sehr nahestehen, ohnehin das Internet, um Treffen zu planen, zu telefonieren, mal was von einander zu sehen oder was einem sonst noch so einfällt. Sich zu sehen und dann umarmen zu können ist natürlich noch einmal etwas anderes, aber es geht auch so. Zumindest über einen gewissen Zeitraum.

Während der Pandemie, in der wir nicht so viel draußen und mit anderen Menschen erleben konnten, haben sich daraus dann noch weitere Gewohnheiten gebildet. Wenn wir zu weit weg leben oder uns nicht sehen können, aber gerne zusammen eine neue Sprache lernen wollen, dann nutzen wir eben eine Plattform für Internettelefonie, kaufen uns dasselbe Buch oder holen dieselbe App und üben zusammen. Wenn wir keine persönlichen gemeinsamen Filmabende machen können, dann treffen wir uns eben per Videotelefonie und machen gleichzeitig denselben Film auf unserem Netflix-Account an. Oder wir schauen uns per Bildschirmübertragung Videos oder Fotos an, die wir dereinst zusammen gemacht haben. So einfach kann es sein, wenn man etwas kreativ ist.

Sicherlich ist nicht zu leugnen, dass viele Menschen dennoch an der sozialen und physischen Isolation leiden. Selbst für Menschen mit vielem virtuellem Kontakt und solche die sonst nicht zum Gefühl der Einsamkeit neigen sind die Zeiten schwer. Der Mensch ist eben nicht als Einzelkämpfer entworfen worden. Aber ignoriert man alle Möglichkeiten und will krampfhaft weiterleben „wie sonst auch“, dann verschlimmert man die Lage ja nur, da man sie verlängert. Den Begriff „exponentielles Wachstum“ sollten selbst jene nun mittlerweile gehört haben, die ihn vielleicht seit dem Mathematikunterricht vergessen haben.

Wie neulich eine Zeitung schrieb, können wir uns gerade in der Weihnachtsdebatte vorstellen, wie es hierzulande vielen Menschen an jedem Weihnachten geht, die ganz alleine sind, während alle anderen mit Freunden und Familie feiern. Nicht ohne Grund heißt es jedes Jahr, die Selbstmordrate sei um diese Zeit besonders hoch. Vielleicht wäre das mal ein Anlass, in den kommenden Jahren auch an diese Menschen zu denken. Und natürlich ist es schwer, sich ein Jahr ohne Weihnachten in dieser sehr christlich geprägten Gesellschaft vorzustellen, gerade weil es gefeiert und wahrgenommen wird als wäre es das höchste Fest im Jahr (welches, nebenbei bemerkt, im Christentum eigentlich das Osterfest wäre). Ich selbst liebe Weihnachten, aber ganz ehrlich: Wenn ich entscheiden kann, ob ich im großen Stil feiere und damit mich und andere gefährde oder ob ich die „großen“ Traditionen auf das nächste Jahr verschiebe und dieses nur die „kleinen“ Dinge mit den passenden Filmen und entsprechender Musik erlebe, dafür aber potenziell Leben rette, dann ist für mich klar, welche Entscheidung zu treffen ist. Für mich ist das noch einfach, aber ich kann gut verstehen, dass es für ältere Menschen eine sehr viel schwerere Entscheidung ist. Doch auch hier kann ich wieder darauf verweisen, wie hilfreich die moderne Kommunikation sein kann: viele Menschen älteren Semesters in meinem Verwandtenkreis sind gut in der Lage ihre Smartphones zu bedienen, sodass wenigstens ein Videoanruf möglich ist. Oder wenn man etwas technisch affiner ist: Per Zoom könnte man sogar eine ganze Weihnachtsveranstaltung machen, in der vorher aufgenommene Videos, ob eigene musikalische Darbietungen, das Vortragen von Gedichten oder etwas anderes, abgespielt werden können.

Durch die ganzen Strapazen, Einschränkungen und Risiken diesen Jahres sind meine Freundin vom Anfang und ich dieses Jahr übrigens zu der Übereinstimmung gekommen, dieses Jahr wieder jede von zu Hause aus zu schauen und „nur“ zusammen zu telefonieren. Wie im zweiten Jahr, in dem wir den Stream zusammen verfolgten, nur mit stabilerer Internetleitung. So brach die Wohltätigkeitsveranstaltung – die übrigens natürlich auch entsprechenden Auflagen Folge leisten musste – zumindest nicht an unserem Ende ab. Sicher – anders ist schöner. Aber um zu diesem Zustand zurückzukehren müssen wir uns nur noch ein paar Monate zusammenreißen. Das Ende ist in Sicht, auch dank der mittlerweile bereitstehenden Impfstoffe. Und wenn wir schon so lange durchgehalten haben, dann schaffen wir das auch noch für die restliche Zeit. Alles ist leichter, wenn man das Ende absehen kann, und im Vergleich zu dem was wir schon durchlebt haben wirkt der Rest gar nicht mehr so lang.


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