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Beim Wort nehmen

Glaubwürdigkeit ist stets eine wichtige Messlatte für Politik und Politiker.

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Irritierend – das ist es, was in den vergangenen vier Wochen in der politischen Meinungsbildung passiert ist. Damit ist nicht der Blick in die Bundespolitik gemeint, in der sich Mensch und Medien ja so trefflich an Meinungsfindungen bezüglich der K-Frage beteiligen. Es geht viel lokaler.

Wenn demokratische Entscheidungen getroffen werden, müssen sie nicht allen Beteiligten, die zur Stimmabgabe aufgefordert sind, gefallen. Durch eine Ablehnung, ein „Nein“ oder eine Enthaltung kann die eigene Haltung im Protokoll dokumentiert werden. Eine Ja-Stimme sollte aber ebenfalls durchdacht sein und eine Halbwertzeit haben, die verlässlich ist.

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Wie ist es zu verstehen, wenn über Nacht eine komplette Kehrtwende eintritt? Wenn zu einer gemeinsamen Pressekonferenz aller Parteien zur Umgehungsstraße geladen wird, um Schulterschluss in der Sache, wenn auch nicht im Detail zu demonstrieren, dann aber per Internetseite ein Dementi folgt und in der Sitzung am Folgetag die Einigkeit durch einen Gegenantrag und Nein-Stimmen zum eigentlich abgestimmten Antrag konterkariert wird? Wie kann es sein, dass einhellig einem Verfahren zur Weiterentwicklung einer Marktumgestaltung zugestimmt wird, und dies nicht einmal einen Sitzungsdurchgang vom Ausschuss bis zum Stadtrat überdauert? Immerhin ist es im zweiten Fall „nur“ die Forderung nach einer Erweiterung einer Beschlussvorlage.

Fatal ist, dass letztlich demokratische Abstimmungsverfahren in ihrer Grundidee ad absurdum geführt werden: Über Monate sind Bürgerbeteiligungen erfolgt, aus denen fünf Vorschläge entstanden, von denen zuletzt einer mit einem mehrheitlichen Votum ausgewählt wurde in einem Gremium, das sich aus Politik, Ehrenamt und Verwaltung zusammensetzt. Diese Entscheidung war Grundlage der städtischen Vorlagen. Es handelt sich nicht um Willkür „der Verwaltung“. Es ist das Ergebnis eines demokratischen – sogar basisdemokratischen – Prozesses, der endlich zu einem Ziel führen soll. Warum sollten Menschen überhaupt noch Zeit einbringen für ausgiebige Sitzungen mit dem Ringen um eine Entscheidungsfindung, wenn diese nichts mehr wert ist? Und ganz persönlich: Wie soll eine sinnvolle Berichterstattung erfolgen, wenn die Beteiligten und Sprecher nicht mehr beim Wort zu nehmen sind?

Natürlich kann man den Erst- und Altbundeskanzler Adenauer bemühen: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Ja, in einer Demokratie darf man seine Meinung auch ändern. Je kürzer die Spanne einer Umentscheidung ist, desto mehr Begründung braucht sie. Der zitierte Adenauer-Ausspruch wird schließlich aus gutem Grund seit Jahrzehnten verlacht.

Wahlberechtigte delegieren per Urnengang die Verantwortung an politisch Engagierte, denen sie zutrauen, sich mit Ernsthaftigkeit und Fantasie der Gestaltung ihres – in dem Fall städtischen – Lebens anzunehmen. Das erfordert Abwägung im Vorfeld, Sachkenntnis und nicht zuletzt Entschlossenheit.
Wer gewählt ist, ist aufgerufen, Entscheidungen zu fällen.


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