Eins wird ziemlich schnell deutlich, wenn man Ökonom, Autor und Blogger Dr. Daniel Stelter zuhört: Die Probleme, die Deutschland, seine Gesellschaft, aber eben auch seine Wirtschaft im Augenblick zu bewältigen haben, sind keine Folgen von Corona-Pandemie oder Ukraine-Krise. „Unsere Probleme“, betonte Stelter, „gibt es nicht erst seit gestern. Die Zeitenwende, von der Olaf Scholz spricht, mussten wir schon viel länger erwarten.“
Dr. Daniel Stelter war der Festredner der traditionellen Jahreshauptversammlung der Vereinigten Industrieverbände von Düren, Jülich, Euskirchen und Umgebung (VIV), einem Zusammenschluss von fünf Arbeitgeberverbänden mit rund 150 Mitgliedsunternehmen, mehr als 25.000 Mitarbeiterinnen und einem Jahresumsatz von etwa fünf Milliarden Euro. Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause konnte die Veranstaltung wieder in Präsenz in „Dürens guter Stube“ Schloss Burgau stattfinden. Neben den Vertretern der Mitgliedsunternehmen waren auch zahlreiche Gäste aus Politik und Verwaltung der Einladung der VIV gefolgt.
VIV-Vorsitzender und Unternehmer Hans-Helmuth Schmidt, der im Rahmen der Mitgliederversammlung in seinem Amt bestätigt wurde und somit in seine dritte Amtszeit als Hauptrepräsentant der Industrieverbände startet, betonte bei seiner Begrüßung, dass die Pandemie, das Lieferkettengesetz, immer höhere Transportkosten, Fachkräftemangel, Energiepreise und die Inflation die Wirtschaft vor immense Herausforderungen stellen würden. „Mit der Einführung des Mindestlohns von der neuen Bundesregierung hat die Politik in Deutschland zum ersten Mal einen Eingriff in die Tarifautonomie vorgenommen. Mit Folgen, die wir heute kaum absehen können. Was bedeuten zwölf Euro Mindestlohn für die anderen Lohngruppen?“ Zum Schluss seiner Rede wies Schmidt auf die hohe Gewerbesteuer in NRW hin und wandte sich direkt an die anwesenden Politiker: „Nordrhein-Westfalen hat mit Abstand die höchste Gewerbesteuer in Deutschland. Bitte denken Sie auch nicht ansatzweise über eine Erhöhung nach.“
Mit Daniel Stelter hatten die VIV einen Festredner verpflichtet, der regelmäßig für renommierte Wirtschaftszeitungen schreibt und bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. Hinzu kommt, dass der 57-Jährige gerne provoziert, den Finger in die Wunde legt, um so sein Publikum zum Nachdenken zu bringen. Die Menschen sollen animiert werden, auch einmal eine andere Perspektive zuzulassen. Das Bild, das Stelter in seinem Vortrag „Deutsch- lands Zukunft in Europa und der Welt“ zeichnete, war nicht gerade rosig. Demografischer Wandel, sinkende Produktivität und ein Rückstau an Investitionen in unserem Land trotz steigender Staatseinnahmen waren nur einige der Probleme, die der Referent sehr pointiert ansprach. „Unser Land wird leider nicht professionell gemanagt.“
Klar, dass Stelter auch über die Energiewende gesprochen hat. „Die Energiewende war schon lange vor dem Krieg in der Ukraine ein großes Thema.“ Deutschland verfüge lediglich über die drittniedrigsten Solar- und Windressourcen auf der Welt – bezogen zu seinem Gesamtenergiebedarf. „Viele Dinge, zum Beispiel die Speicherfrage, sind vollkommen ungeklärt. Wir brauchen einen Neustart unserer Klimapolitik.“ Aber welches Fazit zieht der Ökonom? Kein wirklich Positives. „Wir haben die guten Jahre nicht genutzt, haben nicht ausreichend in unseren Staat investiert.“ Stelters dringender Rat: Die Menschen müssten sich viel mehr mit dem Thema Wirtschaft beschäftigen, Zusammenhänge erkennen. „Ich möchte ein Stück weit wachrütteln, Bewusstsein schaffen. Wir können das Feld nicht alleine der Politik überlassen.“