Die Jülicher Atmosphärenforscherin Prof. Astrid Kiendler-Scharr ist Leitautorin des Kapitels „Short-lived Climate Forcers“, auf Deutsch „kurzlebige Klimaschadstoffe“ in dem mittlerweile sechsten Sachstandsbericht des IPCC. In einem Interview gibt Kiendler-Scharr, die auch Vorstandsvorsitzende des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) ist, einen Einblick in die Bedeutung kurzlebiger Klimaschadstoffe.
Der erste Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 war ein einschneidendes gesellschaftliches Ereignis – was bedeutete der für die Atmosphärenforschung?
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben die Welt für uns in ein Real-Labor verwandelt. Wir konnten live verfolgen, wie sich die Chemie der Atmosphäre ändert, wenn tatsächlich weniger Luftschadstoffe ausgestoßen werden. Für die Jülicher Messkampagne nutzten wir einen einzigartigen Träger für die Instrumente: einen Zeppelin. Das Luftschiff ist sehr flexibel einsetzbar und erlaubt eine Vielzahl von Messungen, gerade in den unteren Schichten der Atmosphäre.
Was wurde bei der Kampagne gemessen?
Wir haben kurzlebige Klimaschadstoffe wie Aerosole, Kohlenwasserstoffe, Ozon und Methan gemessen. Das Gros stammt aus menschengemachten Quellen.
Wie sehen die ersten Ergebnisse aus?
Zum einen – und wenig überraschend – reduzierte der Lockdown weltweit die Belastung der Atmosphäre mit Stickstoffdioxid und Feinstaub. In einer Meta-Studie die über 200 Veröffentlichungen zusammenfasst, konnten wir zeigen, je strikter die einschränkenden Maßnahmen waren, desto stärker war die Wirkung. Das Weniger an Stickoxiden hatte aber die Folge, dass die bodennahen Ozon-Werte stiegen – ab einer gewissen Konzentration ist Ozon gesundheitsschädlich.
Auch in anderen Teilen der Welt wurde der Lockdown für Messungen genutzt. Was passiert mit diesen Daten?
Ein internationales Team unter Jülicher Leitung stellte im April 2021 eine umfangreiche Übersichtsstudie der Ergebnisse bis September 2020 vor. Weitere Studien folgen seither. Damit der Wissenstransfer schneller geht, haben wir eine Website eingerichtet. Dort können Forscherteams Messergebnisse fortlaufend hinzufügen, um die bisherigen Forschungsergebnisse zu ergänzen und zu verfeinern.
Welche Rolle spielen diese Ergebnisse für neue Erkenntnisse zur Atmosphärenchemie und zum Klimawandel?
Die Daten sind die Basis, um noch besser berechnen zu können, wie sich die vom Menschen emittierten Luftschadstoffe auf die Atmosphärenchemie und den Strahlungshaushalt der Erde auswirken. Wenn wir den Ausstoß von kurzlebigen Klimaschadstoffen vermindern, halten wir eine enorm wichtige Stellschraube in Händen, um Klimaziele zu erreichen. Denn schnelle Einsparungen dieser Schadstoffe wirken sich in kurzer Zeit aus und können so einen wesentlichen Beitrag leisten, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.