Start Magazin Zukunft & Wirtschaft ‚Blackout‘ im Blick

‚Blackout‘ im Blick

Kaskadierende Ausfälle, also Kettenreaktionen von Ausfällen verschiedener Infrastrukturen, sind Ursache vieler Ausfälle ganzer Netzwerke wie etwa großer Teile der europäischen Stromverbundnetze. In einem nun bei Nature Communications veröffentlichten Artikel wird am Beispiel von elektrischen Leitungsnetzen ein Analyseschema vorgestellt, das sowohl den ereignisbasierten Charakter der Kettenreaktion berücksichtigt, als auch die spezifischen netzwerkdynamischen Einflüsse in die Berechnung einbezieht. Das internationale Team von Wissenschaftlern des Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) an der TU Dresden und dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen (Prof. Marc Timme, Dr. Benjamin Schäfer), des Forschungszentrums Jülich (Jun.-Prof. Dr. Dirk Witthaut) und der Queen Mary University of London (Prof. Vito Latora) konnte so herausfinden, dass einige Übergangsprozesse zwischen verschiedenen Zuständen des Stromnetzes auf einer Zeitskala von einigen Sekunden ablaufen. „Diese können eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von kollektiven Reaktionen spielen, was schließlich bis zu einem ‚Blackout‘ führen kann. Wir schlagen in unserer Studie eine Vorhersagemethode vor, um potenziell gefährdete Leitungen und Netzwerk-Komponenten bereits bei der Planung und wenn sinnvoll auch während des Betriebs von Leitungsnetzen zu identifizieren."

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Power Grids Dynamical Cascades. Copyright: TU Dresden / Timme
Power Grids Dynamical Cascades. Copyright: TU Dresden / Timme
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Besonders große Stromausfälle, die oft Millionen von Menschen betreffen, treten durch komplexes und oft nicht-lokales Zusammenspiel vieler Komponenten auf. In Europa hat zum Beispiel 2006 das gezielte Abschalten einer Leitung zum Ausfall großer Teile des europäischen Netzes geführt und bis zu 120 Millionen Menschen betroffen. Solche ungünstigen Kettenreaktionen können sich bereits durch das Abschalten einer einzigen Leitung im Netz aufbauen. In einem fortgeschrittenen Stadium entsteht dann eine schnelle Dynamik, die u.a. auf den automatischen Abschaltvorrichtungen basiert, welche eigentlich der Sicherheit des Netzes dienen sollen. Diese schnelle Dynamik war im Fokus der Untersuchung des Wissenschaftlerteams. Jun.-Prof. Dirk Witthaut vom Forschungszentrum Jülich erklärt die Gründe: „In den letzten Jahren geht der Trend im Stromsektor immer weiter hin zu starker Vernetzung, die Länder sind sehr eng in das europäische Verbundnetz eigebunden. Da so Ausfälle irgendwo in diesem Netz jederzeit auch uns betreffen könnten, müssen wir die Ursachen verstehen. Deshalb beschäftigten uns diese Fragen: Können wir verstehen, wie diese schnellen Prozesse ablaufen? Können wir vorhersagen, welche Leitungen einen großflächigen Stromausfall provozieren können?“

„Der Grundgedanke für die Sicherheitsarchitektur der Stromnetze ist folgender: Fällt irgendein Teil des Netzes aus, dann soll das Stromnetz weiterhin in der Lage sein zu funktionieren. Das Netz nimmt dann einen neuen stationären Zustand ein, um die ‚Fehlstelle‘ auszugleichen. Die Fragestellung, wie dieser stationäre Zustand aussieht, wenn das Netz genug Zeit hat, einen neuen stabilen Zustand zu finden, ist schon vielfach untersucht worden. Für die vergleichsweise kurze Zeitskala der Fehlerkaskaden in Stromnetzen jedoch leistet unsere aktuelle Untersuchung quasi Pionierarbeit“, so Vito Latora, Professor für Komplexe Systeme an der Queen Mary Universität in London.

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Die Wissenschaftler untersuchten die Fehlerkaskaden mittels einer Kombination aus Computer-Simulationen und mathematischen Analysen einfacher Netzmodelle. Anhand eines simulierten Netzes, bei dem gezielt Verbindungen unterbrochen werden, wurde der statische Ansatz mit dem neuen dynamischen Ansatz verglichen. Oft zeigt die umfassendere dynamische Sichtweise, dass das Netz komplett instabil werden kann, auch wenn der statische Ansatz noch Stabilität vorhersagt. Insgesamt werden so mehr mögliche Ausfälle entdeckt und der potentielle Umfang eines Ausfalls genauer vorhergesagt. Um die am Modell gefundenen Prozesse mit der Wirklichkeit abzugleichen, wurden Stromleitungs-Netzwerke mit realer Verknüpfungsstruktur untersucht, konkret die spanische, britische und französische Topologie. Dabei wurde das neue Analyseverfahren erfolgreich auf komplexe und realistischere Netze angewendet.

Zudem wurden statistische Untersuchungen zu Ausfällen mittels des dynamischen Ansatzes durchgeführt. Wie viele Leitungen fallen aus, wenn eine zufällige Leitung betroffen ist? „In vielen Fällen sind die Auswirkungen gering, d­­­as heißt, es fallen kaum weitere Leitungen aus. Gleichzeitig gibt es einige wenige kritische Leitungen, die zu größeren Ausfällen führen. Insbesondere vor dem Hintergrund möglicher Anschläge (physisch oder auch virtuell, z.B. durch Hacker) ist es extrem wichtig, solche kritischen Leitungen zu identifizieren und zu entlasten. Daher haben wir, mithilfe des dynamischen Ansatzes, ein Werkzeug entwickelt, das vorhersagt, welche Leitungen kritisch sind.“ beschreibt Dr. Benjamin Schäfer vom cfaed an der TU Dresden.

Schließlich wurden auch erste Untersuchungen zur Ausbreitung von Kaskaden im Netz durchgeführt. „Statt rein geographischer Abstände zwischen verschieden Orten betrachten wir die sogenannte ‚effektive Distanz‘, welche berücksichtigt, wie stark sich unterschiedliche Teile des Stromnetzes gegenseitig beeinflussen können. Hier ist jedoch für ein besseres Verständnis noch weitere Forschung nötig, um schließlich auch Möglichkeiten zu finden, solche Kaskaden zu stoppen“ erklärt Schäfer.


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