Ganz plakativ kann man sagen:“ Zeigen Sie der KI Ihren Hirnscan und sie zeigt Ihnen, wer Sie sind.“ Die erfahrbaren Dinge gehen weit über einfache biologische Merkmale wie Alter und Geschlecht hinaus. „Wir sind heute in der Lage, mit einer selbstlernenden Software komplexe Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit, Gewissenhaftigkeit oder Geselligkeit zu bestimmen und auf Basis von MRT-Aufnahmen vorherzusagen, wie jemand bei einem Persönlichkeitstest abschneiden wird“, erklärt Prof. Simon Eickhoff, Institutsleiter am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7).
Für Personalabteilungen, Versicherungen und strafrechtliche Entscheidungen ist eine softwaregestützte Analyse naturgemäß interessant, weil sie eine deutlich genauere Diagnose oder Prognose versprechen. Menschliche Gutachter können bis jetzt nur vom äußeren Erscheinen und den getätigten Aussagen auf die inneren Gegebenheiten schließen – und fällen ihre Urteile subjektiv. Eine maschinelle Auswertung von MRT-Daten erscheint dagegen fairer, und wäre auch deutlich schwieriger zu täuschen. Kommt also bald die Persönlichkeitsanalyse mit KI?
Unterschiede in Theorie und Praxis
Den Jülicher Forschern zufolge ist eine Anwendung in der Breite in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Das liege zum einen an der Präzision. „Man muss unterscheiden zwischen statistisch signifikant und praktisch relevant“, konstatiert Dr. Robert Langner, Mitarbeiter am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7). „Wir können heute bestimmte psychische Eigenschaften mit einer Genauigkeit von 70 Prozent aus den MRT-Daten vorhersagen. Für die Forschung ist das ein hoher Wert, auf dessen Basis sich gut generalisierbare Aussagen treffen lassen.“
Für die Praxis wäre dagegen selbst eine Genauigkeit von 90 Prozent, die perspektivisch nicht unrealistisch ist, manchmal noch zu gering. „Eine solche Treffsicherheit reicht vielleicht aus, um jemanden einzustellen, aber möglicherweise nicht, wenn es darum geht zu entscheiden, ob ein vermutlich rehabilitierter Sexualstraftäter aus der Verwahrung entlassen werden kann. Denn eine Genauigkeit von 90 Prozent produziert bei 1000 Fällen 100 Fehler“, so Langner.
Begrenzte Aussagekraft
Zu beachten ist auch: Selbst die genauste Prognose mit KI hat nur eine begrenzte Aussagekraft. Letztlich ist sie immer verbunden mit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. Doch unser Gehirn ist ein äußerst plastisches Organ. Bewusste Entscheidungen und äußere Einflüsse wirken sich nicht nur auf unser Verhalten aus, sondern verändern auch unser Gehirn.
„Das ist vor allem bei langfristigen Vorhersagen ein Problem. Zum Beispiel kann eine Person, die vom KI-Algorithmus als ungeeignet bewertet wird, doch gut in den Job passen, wenn sie Willensstärke aufweist und sich den Problemen und Anforderungen des Jobs stellt. Oder ein Straftäter, der gut auf eine Therapie reagiert und daraufhin als ungefährlich eingestuft wird, kann wieder rückfällig werden, wenn er in seine ursprüngliche Umgebung zurückkehrt,“ erklärt Langner.
Technisch machbar, praktisch schwierig
Nicht zu unterschätzen sind auch die praktischen Hürden, die der Einsatz der Magnetresonanztomografie (MRT) mit sich bringt. Man benötigte ungeheure Ressourcen, um die Präzision auf ein praxisgerechtes Level zu heben. Mehrere hundert oder tausend Probanden müssten mittels MRT untersucht und dann über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Diese Probanden müssten sehr geduldig und bereit sein, umfangreiche Untersuchungen über sich ergehen zu lassen.
Da MRT-Aufnahmen sehr teuer sind, müssten sie einen wesentlich größeren Nutzen erbringen als andere Messinstrumente wie Smartphones oder EEGs, die ebenfalls zur Vorhersage genutzt werden könnten. Damit die bildgebungsbasierte Persönlichkeitsanalyse mit KI Realität wird, braucht es also einen entsprechend finanzstarken Akteur mit starken wirtschaftlichen oder politischen Interessen, der bereit ist, diese großen Investitionen aufzubringen.
Mehr Datenschutz für Bildgebungsdaten!
Im Vordergrund der Analyse von Neuro-Bildgebungsdaten mit KI steht für Eickhoff und Langner aber ohnehin eher der medizinische Nutzen. Verfahren der KI könnten es künftig möglich machen, den Verlauf von psychischen oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz, Depression oder Morbus Parkinson individuell vorherzusagen, noch bevor die Symptome für den Arzt erkennbar sind. Im besten Fall ließe sich mit diesem Wissen die Behandlung frühzeitig anpassen.
„Dabei könnten allerdings auch erhebliche Interessenkonflikte entstehen. Versicherungen könnten das Wissen nicht zur Prävention nutzen, sondern dazu, die Gebühren zu erhöhen oder sogar den Versicherungsschutz zu kündigen“, warnt Simon Eickhoff, „wir brauchen einen ernsthaften Diskurs über die richtiger Nutzung dieser Daten! Nur so lässt sich verhindern, dass es zu einem unkontrollierbaren Missbrauch von Hirnbildgebungsdaten kommt.“ Das beträfe etwa die Frage des Dateneigentums, einschließlich des Rechts auf Löschung der Daten, der Grenzen der Einwilligung nach Aufklärung sowie der Gewichtung persönlicher und öffentlicher Interessen.