Der 1,90 Mann nahm auf dem Tisch Platz und ließ die Beine baumeln, während er von seiner Jugend als Diplomatensohn erzählte, von den Abhöraktionen der Sowjets in Moskau und den Diskriminierungen in Paris, denen er als Schüler der Verlierermacht Deutschland ausgesetzt war. Solche Begebenheiten und Widersprüche in Systemen, die er selbst erlebt habe, so sagte Ulrich Sahm, hätten ihn früh geprägt und ihn Toleranz gelehrt. Soweit nachvollziehbar.
Der Preisträger wollte keine Laudation, er wolle den Dialog, eine Diskussion, hieß es in der Einladung zur Verleihung des Preises für Zivilcourage und Toleranz. Gabriele Spelthahn, Vereinsvorsitzende, hatte sich gewünscht, so Sahm, dass er über Toleranz und das Vergessen sprechen solle. Im Verlauf der über 30-minütigen Ansprache und darum nur sehr kurzem anschließenden Wortwechsel mit dem Publikum, gab sich Ulrich Sahm jovial, gut gelaunt und als Freund klarer Worte. „Mein Grundsatz ist es, möglichst neutral zu bleiben“ sagte er. Im Nachklang eine fragwürdige Aussage.
Hörbar positionierte sich der Korrespondent, der seit 50 Jahren im heiligen Land lebt, für Israel. Wenn die Israelis mit einem Bombenangriff reagierten, weil es zuvor einen Raketenangriff der Palästinenser gegeben hätte, würden die Medien einseitig berichten – israelfeindlich nämlich. Zwar gäbe es keine bekennenden Antisemiten mehr, dafür aber viele Antizionisten, die mit denselben Argumenten wie im dritten Reich agierten.
Eine Zweistaatenlösung, also die Trennung in einen Staat Israel und einen Staat Palästina, lehnt er deutlich ab. Sahm suggerierte dabei, dass sie den Deutschen so gut gefalle, weil sie Unordnung nicht leiden könnten. Wörtlich sagte er, sie bräuchten eine „Lösung“, und dabei war die Missbilligung in dem langgestreckten, mehrfach artikulierten Wort deutlich zu hören. Mit einem Seitenhieb verwies Sahm darauf, dass er gar nicht verstehen könne, dass es derzeit keine Ordnung und Lösung in Deutschland selbst gäbe – durch die fehlende Regierung.
Dem Frieden in Nahost erteilt er ebenfalls eine klare Absage. Ironisch-sarkastisch formulierte Sahm die, wie er offenbar meint, vorherrschende Ansicht in der Welt: „Die Juden da unten, die machen ja ständig Krieg, die verstoßen ja regelmäßig gegen Menschenrechte, nur deswegen gibt es Unfrieden in der Welt, nur deswegen gibt es Terror in der Welt.“
Mit Kritik sparte er auch nicht an Menschen, die sich seinen Worten folgend ohne Kenntnis des Kommunismus unter das Zeichen der „roten Fahne“ stellten. Sahm setzt die Fahne gleich mit dem – so wörtlich – „faschistischen Regime“, das er in Moskau erlebt hat, und da machte seine Kritik keinen Unterschied, ob sie die 68er Studentenbewegung in Deutschland traf oder Menschen in den USA der End-1960er Jahre, die ihren Friedensforderungen im Vietnamkrieg Ausdruck gegeben hatten. Zur Make-Peace-not-War-Bewegung sagte Sahm wörtlich: „Die meinten nicht Frieden! Die meinten in Wirklichkeit einen Rauswurf der Amerikaner, einen Sieg für die Kommunisten, also die Vietkongs, und ein Schlucken von Südvietnam. Das heißt, das Wort Frieden hatte in dem Zusammenhang eine ganz konkrete Bedeutung.“
Demokratie sei, den zu akzeptieren, der gewählt sei – das gelte auch für Donald Trump. Das wirft Fragen auf nach dem Ausgang der Reichstagswahl im März 1933, die auch mit einem eindeutigen Votum des deutschen Volkes ausging und bis heute weitreichende Folgen hat. Folgen, die zu diesem Preis führten, der alljährlich zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vergeben wird.
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