Unter Applaus und Jubel der eingeladenen Gäste werden die letzten Unterschriften unter die Verträge gesetzt, um die Kooperation der Sekundarschule und der Jugendhilfe-Schule endgültig zu beschließen. Die Jugendhilfe-Schule benennt sich dementsprechend um: Ihr neuer Name ist die Jugendhilfe „extraKlasse“ Jülich. Die Kinder und Jugendlichen der Schule haben bei der Namensfindung geholfen.
Durch den Kooperationsvertrag werden künftig Schüler, die durch ihre Verweigerungshaltung in der Maßnahme aufgenommen werden, offiziell Schüler der Sekundarschule – anders als in der vorherigen Situation, in der sie unterschiedlichen Schulen im Kreis zugewiesen wurden. Der Unterricht findet in den Räumen der Jugendhilfe statt, deshalb entstand der neue Name. Sie soll, im wahrsten Sinne des Wortes, eine „extraKlasse“ der Sekundarschule für förderbedürftige Schüler sein. Das Ziel ist immer die Rückführung in das reguläre Schulsystem.
Eine „Allianz der Willigen“ nennt Stefan Grothe, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums beim Träger St. Marien-Hospital Düren, die Vorbereitungen des Kooperationsvertrags. In allen Bereichen und Gremien habe man das Gefühl gehabt, offene Türen einzurennen. Und das, obwohl bis Ende des Schuljahres 2020/2021 noch nicht feststand, ob die Schule weiter besteht. „Lehrkräftemangel“ hieß das Problem und wo keine Lehrkräfte, da kein Unterricht. Die neue Kooperation, bei der schon seit Beginn der Erarbeitung Lehrkräfte der Sekundarschule in der Praxis eingebunden wurden, soll unter anderem einen solchen Sachstand in Zukunft verhindern. Für den Erhalt der Einrichtung hatte sich damals unter anderem die Landtagsabgeordnete Patricia Peill des Wahlkreises 11, zu dem auch Jülich gehört, eingesetzt.
Wenn Eltern bemerken, dass ihre Kinder starke Schwierigkeiten haben und sich deshalb weigern zum Unterricht an der Regelschule zu erscheinen – die Gründe können dabei von Lernschwächen und traumatischen Erfahrungen über Mobbing bis hin zu gesundheitlichen Problemen reichen – kann ein Antrag beim Jugendamt gestellt werden. Dieses besucht die Familie dann und überlegt, welche Maßnahmen und Optionen möglich sind. Falls das Jugendamt entscheidet, dass das Mündel ein Kandidat für die Jugendhilfe „extraKlasse“ sein könnte, kann es durch Besuche die Pädagogen und anderen Kinder kennenlernen und schlussendlich selbst dazu gehören. Momentan gibt es allerdings eine Warteliste, sagt die Leiterin der Tagesgruppe Judith Plum.
Die zwei Klassenzimmer der Jugendhilfe bieten Platz für jeweils fünf Kinder und Jugendliche. Die Lerngruppen werden nach den Lernständen bestimmt, aber auch danach, wie sich die Jugendlichen untereinander verstehen. „Nur eine Schule“ ist es dennoch nicht: In einer Küche, einzelnen Werkstätten und kreativen Räumen lernen Kinder nicht nur von Haus aus die schulischen Fächer Werken, Mathematik, Deutsch, Englisch und Hauswirtschaft – für andere Fächer werden Honorarkräfte engagiert – sondern leben sich auch kreativ aus und können ganz individuell ihre Stärken fördern sowie an ihren Schwächen arbeiten.
Laut einer im März veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung verließen im Jahr 2021 – neuere Daten lagen nicht vor – rund 6,2 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Hauptschulabschluss. Zahlen, die die Relevanz einer solchen Einrichtung unterstreichen.
Eltern und Erziehungsberechtigte in die Maßnahme zu involvieren ist für die „extraKlasse“ von großer Bedeutung. Alle paar Wochen werden sie zu Beratungsgesprächen, teilweise zusammen mit den Kindern, eingeladen. Auch an Ausflügen können die Familien als Ganzes teilnehmen und die Eltern können Räumlichkeiten etwa zwischendurch auf einen Kaffee besuchen. Zwei Mal im Jahr gibt es dann zusätzlich noch ein sogenanntes Elterntraining im Rahmen des Angebots „Starke Eltern – Starke Kinder“, bei dem die Erziehungsberechtigten sich zum Thema Erziehung auch unter einander austauschen können. „Wir erleben, dass das für Eltern ganz wichtig ist“, erzählt Judith Plum, „weil sie dann merken, dass sie nicht die Einzigen sind.“
Für die Pädagogen der Jugendhilfe „extraKlasse“ gilt es nun weiterhin im Unterricht „den Lehrplan parallel zu den Regelschulen einzuhalten“, erklärt die Leiterin der Tagesgruppe. Um sich ganz wohlfühlen zu können dürfen die Jugendlichen übrigens auch an der Gestaltung der Freizeiträume mitwirken. Ein Raum ist beispielsweise lebhaft mit Farben und Bildern dekoriert, Dafür zählte beispielsweise dank Upcyclings im Werkunterricht mehr die Kreativität als das finanzielle Budget. „Es zeigt: Man muss nicht immer ganz viel Geld in die Hand nehmen“, erklärt Plum.