Brudermeister Josef Schmitz von der Sakramentsbruderschaft Kirchberg 1626 e.V. hallten bald darauf braune Töne ans Ohr: Zum Glück nur durch das Radio. Er hatte erfahren, dass in Niedersachsen auf einem Schützenfest – ähnlich wie auf Sylt – die Feierlichkeiten im Sinne eines braunen Sumpfes ausgeartet seien.
Darüber kann Schmitz nur den Kopf schütteln. Er selbst sei weltoffen, seine Frau Svetlana Russin, die übrigens ebenfalls aktives Mitglied der Schützenbruderschaft sei, wie sie erzählt. Dieser neue braune „Klimawandel“ bei einigen Feiern sei für ihn Grund, das Tor zur Vergangenheit nochmal aufzustoßen, um an die Grundwerte des Schützenwesens zu erinnern.
„Es gibt verschiedene Schützen. Wir hier in Kirchberg gehören zur Kirche“, erklärt Schmitz ohne Umschweife. „Wie Brüder in der Not zusammenstehen“, das sei der Leitspruch der Sakramentsbruderschaft. Dieser gehören laut Chronik übrigens bereits seit über hundert Jahren auch Frauen an: 1911 hatte demnach der später in Köln tätige Kardinal Fischer die Bruderschaft für beide Geschlechter gleichberechtigt ausgerufen. Eine „Schwesternschaft“ gehört also wie selbstverständlich mit dazu – für die Kirchberger ist das nichts Neues.
Menschen in Not zu helfen, gelte außerdem nicht nur für Mitglieder, sondern für alle Bewohner. „Als Brudermeister habe ich auch Kontakt zu den ausländischen Familien. Alles nette Leute und die sind in unseren Vereinen willkommen“, betont Schmitz. Kirchberg sei in den 50er Jahren durch Gastarbeiter geprägt. „Wir haben eine gute Willkommenskultur“. Natürlich gehöre auch eine „große Liebe zu Kirchberg“ zu den Grundwerten der Schützengemeinschaft.
Gerade die historischen deutschen Schützen, wo die Sakramentsbruderschaft zugehöre, seien gegründet worden, um Not zu lindern. Heute, und eben besonders damals nach dem 30 jährigen Krieg“, erinnert Schmitz an die Gründungsumstände.
Ein Schützenverein sei Teil des Dorflebens und habe damit auch Vorbildfunktion – besonders für den Nachwuchs. In Kirchberg seien unter den etwa 140 Mitgliedern derzeit 20 Kinder, also Jungschützinnen und Schützen. Als er selbst jung war, hätte er hier früh sein Leitbild gefunden: „Josef, das Feiern, das ist nicht wichtig. Wenn geweint wird, dann musst du da sein“, habe einer seiner Vorgänger zu ihm als kleinem Jungen gesagt. Das habe ihn geprägt.
Die Chronik der Kirchberger Sakramentsbrüder belegt eine bewegte Vergangenheit: Gegründet an Fronleichnam am 20. Juni 1626, und damit zu einer Zeit, als die Einwohner unter Pfändung, Erpressung und Seuchen zu leiden hatten. Kirchberg war besetzt von kaiserlichen Truppen. Not zu lindern gehörte zu den Zielen der Schützenbrüder. Dies galt auch für spätere Hungersnöte sowie andere Plagen und Brände – die Feuerwehr sei aus Teilen der Bruderschaft hervorgegangen, ergänzt Schmitz.
„Im ersten Weltkrieg wurden Pakete verschickt ins Feld“, weiß er aus den Überlieferungen. „Wir sind so eine Art Versicherung“, scherzt der Brudermeister. Klar schießen wir auch. Aber zum Glück haben wir das nie gebraucht.“
Dann kam das Dritte Reich unter Hitler. Von 1937 bis 1945 wurde die religiöse Betätigung der Sakramentsbruderschaft verboten. Gleichzeitig habe sich diese jedoch der Gleichschaltung durch die regierende NSDAP wiedersetzt, ist Schmitz stolz über diese Art des Widerstehens.
Eine tragische Rolle in dieser Zeit spielte auch die Villa Buth in Kirchberg, um deren Erhalt und Denkmalstatus gerade eine Diskussion entbrannt ist. Da möchte Schmitz sich aber raushalten. Die Bruderschaft sei unpolitisch. Aber was die Vergangenheit als so genanntes „Judenhaus“ angehe, sei ihm eines doch wichtig zu betonen: „Wir haben uns mit den alten Kirchbergern unterhalten. Das große Unrecht hat viele bis in den Tot beschäftigt.“
„Die Kinder in Kirchberg konnten damals teilweise russisch sprechen. Einige hatten das von den Zwangsarbeitern gelernt“ – erinnert sich Schmitz, dessen Frau Russin ist und so erste Brücken der Verständigung schlagen konnte. Damit bringt Schmitz die Probleme der Gegenwart ins Gespräch.
Für viele sind die neuen Krisen- und Kriegsherde lange Zeit unvorstellbar gewesen: „Diese Bürgerkriegszustände der Vergangenheit sind in Mitteleuropa hoffentlich vorbei“, hatte der mittlerweile verstorbene Pastor und Präses Peter Jöcken noch in seinem Grußwort zum 375jährigen Jubiläum der Sakramentsbruderschaft geschrieben. Er sollte sich irren.
„Entwurzelung von der Heimat“, wie Jöcken es damals eher als neues Phänomen der Einheimischen Bevölkerung betrachtete, und wo er die Schützen in einer Art heimatvermittelnden Rolle sah, haben längst eine neue Dimension – mit umgekehrten Vorzeichen: Jetzt suchen in Deutschland viele Menschen eine neue Heimat. Auch hier seien die Aufgaben der Schützenvereine: „Heimat geben und helfen“, findet Schmitz.
Seine Frau Svetlana aus Moskau hatte Josef 2003 kennen gelernt und relativ bald darauf geheiratet. Swetlanas Vater stamme aus der Ukraine, die Mutter dagegen aus Moskau. Da bekommt „Völkerverständigung“ für die Familie nochmal eine sehr persönliche Bedeutung. Möglicherweise schafft das auch Verständnis.
Was Schmitz sich für die Zukunft wünsche: „Einen Ort, wo wir miteinander kommunizieren können. Eine Bürgerhalle, wäre toll!“