Wenn ich an Melone denke, dann denke ich an den Apfel, der kein Apfel ist und folglich ist auch die Melone keine Melone und Herr Magritte kommt aus Belgien. Da haben wir den Salat. Wie soll aus diesen Gedanken eine Titelgeschichte werden, dachte ich mir, da muss Hilfe her. Rechner an, Mailprogramm starten und die Nachbarn einladen. Und zwar wie folgt:
Hallo,
Klaus hat mich dazu überredet, euch am kommenden Freitag, dem 15.04., ab 20 Uhr zu einem belgischen Kulturabend in die Normannenstraße 10 einzuladen.
Er hat sich das folgendermaßen vorgestellt:
Ablauf wie bei einer Whiskey Verkostung – allerdings wird belgisches Bier verkostet. Der Sommelier des Abends, wer wäre besser geeignet als Michael, wird jeweils ein bis fünf Sätze zu dem jeweiligen Bier sagen. Während der ca. halbstündigen Pause kommt es zu kurzen lehrreichen Vorträgen, schwarzhumorigen Anekdoten und hanebüchenen Erlebnisberichten.
Klaus hat sich bereit erklärt den Abend zu koordinieren und auch etwas zur aktuellen belgischen Kunst, also zu Melonen und Äpfeln zu sagen, Steffi möchte einige Sätze zum aufregenden Liebesleben des Herrn Simenon vortragen, Matthes wird den belgischen Film „Mann beißt Hund“ in einer zweiminütigen Version zum Besten geben. Ralph stellt uns die Architektur Brügges unter dem Motto „sehen, verstehen und sterben vor“… und Ulla singt einen belgischen Chanson, Stefan refereirt über die
belgischen Autobahnen, und Helmut berichtet von der Erfindung der Fritte, Bärbel über die Erfindung der Praline und Pascale malt die roten Teufel an die Wand und erklärt, warum sie Europameister
werden.
Weitere Beiträge bitte bei Klaus anmelden oder am Abend spontan zum Besten geben…
Der beste Beitrag des Abends wird mit einer Flasche West Vleteren prämiert. Ich sorge für la bière trappista et le potage des lentilles…
Ein guter Plan, die erste Antwort kam zwei Stunden später von Klaus: Ich weiß ja nicht, welcher Klaus dich überredet hat. Ich war es jedenfalls nicht … So‘ne Idee kann nur von dir kommen, ist aber in der Tat echt reizvoll und
herausfordernd. Das mit den Äpfeln und Melonen geht klar – wenn du schwarze Melonen meinst.
Und dann geschah etwas überaus Merkwürdiges. Mir sprangen die Protagonisten ab, einer nach dem anderen entschuldigte sich, Volker und Hilde beim Chorwochendende, Steffi beim
Mädelsabend, Pascale in der Eifel, Ralph im
Sauerland, Helmut beim Volleyball, eine Kata-
strophe bahnte sich an. Alles schien am
seidenen Faden zu hängen. Ich war kurz davor abzusagen und mir alle Infos über Google zu
besorgen und dann kam diese Mail:
Hallo Christoph,
zu welchen Bieren soll ich denn ein bis fünf Sätze sagen? Gib mir mal einen Tipp…
Liebe Grüße
Michael
Das war das Signal das Experiment durchzuziehen. Ich antwortete Michael: Untergäriges – Spontangäriges – Obergäriges – Trappisten – Dubble – Triple – Quadruple und Fruchtbier, exakte Angaben folgen nach Einkauf.
Und so fuhr ich am nächsten Tag, nebenbei
bemerkt an meinem Geburtstag, nach Kelmis zum Einkaufen. Im Carrefour gibt es eine brauchbare Getränkeabteilung (hat man mir gesagt) und nun stand ich vor dieser Regalwand und war leicht überfordert. Ich brauchte
Hilfe und sie kam in Person des Marktleiters und Bierkenners Jean-Patrick Manchette um die Ecke. Ich erklärte ihm mein Vorhaben. Er schaute in meinen Einkaufswagen und sagte, dass die drei Sorten, die dort drin stehen, nicht geeignet sind. Alles raus und 40 Minuten später hatte ich eine perfekte Auswahl mit exakter Reihenfolge. Als Starter empfahl er ein belgisches Pils, ein Jupiler Pils. Als Geschenk gab es 10 Rote-Teufel-Jupiler Biergläser und eine belgische Fahne. Danach ein Lambic, Mort Subite, dann ein Val Dieux Blond, dann ein Leffe Brun, dann ein Belle Vue Kriek, dann ein Houblon chouffe und zum Abschluss ein St. Bernardus Abt 12. Als Absackerersatz ein Delirium tremens. Als ich kurz vor Schluss die Frage stellte, zu welchem Bier denn Pralinen
passen, schaute er mich an und sagte: „Zu
keinem!“ Er würde mir Käse- und Salamiwürfel empfehlen und zack lag neben dem Trappistenbier der passende Trappistenkäse.
Der Abend konnte beginnen und ich war gespannt auf die Show und die spontanen Nachbarn. Um 20 Uhr stand Klaus in der Tür, ich schmeckte die Suppe mit Essig ab, wir warteten und starteten mit einem deutschen Bier.
Ab 21 Uhr kam der nächste Schwung, viele hatten ja abgesagt, deshalb sollte es übersichtlich bleiben. Michael kam kurz später und das war der Startpunkt für die Bierverkostung und den erste Vortrag des Belgien-Slam.
Belgien ist etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen, doch der Mix aus belgischer, französischer, niederländischer und deutscher Kultur entfaltet sich in manigfaltigen Spezialitäten im Gourmet-Bereich, wie Schokolade, Pralinen, Käsesorten und vor allem Bier.
Mit 400 Spezialbieren bietet es eine Vielfalt, die
jedem Biertrinker neue geschmackliche Horizonte eröffnet. Die Vielfalt der Biere und die
Geschmackvariationen machen das belgische Bier mindestens so interessant wie Wein. Ein einziges Bier kann sich in Farbe, Duft, Vorgeschmack, dem Gefühlserlebnis auf Zunge und Gaumen, Hauptgeschmack und im Abgang unterscheiden und so eine komplexe Sinneswahrnehmung erreichen. So sind belgische Biere getrunkene Delikatessen, die in
ihrem Geschmackseindruck anspruchsvoll sind. Manche dieser Geschmacksnoten wollen erst
gelernt sein.
Auf den Geschmack gebracht, schmeckte das Pils köstlich. In keinster Weise nach Apfel oder
Melone, mein geschickter Übergang zum Kunsträtsel. Klaus hatte sich, ganz der Künstler, gegen den Vortrag und für die Exhibition
entschieden. Er zeigte zunächst ein Portrait des Mannes mit Melone. Nach der Auflösung des
Rätsels reichte er einige seiner berühmtesten Werke zur Betrachtung und Verblüffung. Wir
beschließen abschließend eine Fahrt zum
Museum und wenden uns dem Mort Subite zu. Das Mort Subite ist das älteste Lambic Bier. Ein Bier, das durch spontane Vergärung mit wilder Hefe in Belgien gewonnen wird. Die Luft enthält die
feinen Hefesporen, die sich mit der Zeit im Bier
festsetzen und so eine natürliche Gärung in Gang setzen. Dieser spontane Gärprozess kann bis zu drei Jahre dauern, bringt dann einen unverwechselbaren urwüchsigen Geschmack säuerlich-fruchtig, würzig und leicht rauchig hervor.
Dem Mort Subite folgt „Mann beißt Hund“ von 1992, ein Film über den Serienmörder Ben, eine bitterböse Satire, ein derb-geschmackloser Hieb, eine extrem zynisch und tiefschwarze
Anklage gegen die ganzen Reality-TV-Programme – nochmal, von 1992. Die Beschissenheit mancher Dinge hat sich nicht verändert. Matthes verzichtet auf weitere Ausführungen und überreicht mir die DVD.
Das Val Dieux Blond wird ausgeschenkt, währenddessen eine weitere Gruppe von Gästen auftaucht. So langsam werden Stühle und Gläser knapp. Michaels Bemerkungen zum Blond gehen beim Stühlerücken und Käseeckenreichen
etwas unter. Nachdem wieder etwas Ruhe eingekehrt, jeder mit einem Glas versorgt und Krenne unermüdlich Salami und Schinken würfelt, wird es Zeit für Geschichte der Fritte. Jahrzehnte lang stritten Belgier und Pariser über die Erfindung, und nach neuesten Erkenntnisesen dürfen sich die Belgier als die Erfinder fühlen. „Die
Einwohner von Namur, Huy und Dinant haben die Gewohnheit, in der Maas zu fischen, diesen Fang dann zu frittieren, um ihren Speisezettel zu erweitern“, schrieb ein gewisser Joseph Gérard bereits 1781. „Wenn die Gewässer zugefroren sind und das
Angeln nur schwer möglich ist, schneiden die
Einwohner Kartoffeln in Fischform und frittieren diese dann. Diese Vorgehensweise ist mehr als
hundert Jahre alt.“
Mit einem Leffe Brun leiteten wir den Vortrag über die belgischen Autobahnen ein. Seit mehr als einem halben Jahrhundert leistet sich Belgien eine einzigartige Sicherheitsmaßnahme: Abend für Abend springen rund 300.000 Lampen an, um Autobahnen und Schnellwege zu beleuchten. Die belgische Autobahnbeleuchtung ist einzigartig in Europa, wie ein Blick aus dem Weltall zeigt, wo sie dafür sorgt, dass ausgerechnet das kleine Belgien nachts hell erstrahlt. Flandern folgt neuerdings dem deutschen Verkehrsminister Georg Leber, der 1968 entschied, die deutschen Autobahnen nicht zu
beleuchten. Kaum vorstellbar, alle deutschen Autobahnen beleuchtet…
Das Belle Vue Kriek lässt Michael erneut zur Hochform auflaufen: In belgischen Bieren findet man Orangen, Ginseng, Ingwer, Safran, einheimischen Holunder und Wacholderbeeren und sogar Chili. Ältere Sorten schmecken auch nach Kakao, Kuchen oder Sherry. Die innovativsten Brauer der Welt stammen aus Belgien. Beim Kriek (Kirschbier) wurden vor der zweiten Gärung Kirschen dem Brauprozess beigefügt. So entstehen natürliche Fruchtaromen, die natürliche und echte Geschmacknuancen im Bier abgeben. Die Auswahl an Fruchtbieren reicht von Apfel, Pfirsich, Mango, Himbeere und Kirsche bis zur Grapefruit.
Kurz nach 23 Uhr kommen weitere Gäste, Rainer und Klaus besorgen Stühle und Ulla singt
„Amsterdam“ von Jacques Brel, in der Übersetzung von Klaus Hoffmann. Das Houblon
chouffe wird bei der abschließenden Bewertung die wenigsten Stimmen erhalten und verdient deshalb keine weitere Erwähnung. Widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit dem St. Bernardus Abt 12. Ein belgisches Abtei Starkbier (Quadrupel ) mit 10,5% Alkohol, das von vielen Kennern mit zu den besten Bieren der Welt gezählt wird. Ein Quadrupel ist die logische Fortsetzung der Bierstile Dubbel und Tripel. Das Abt 12 hat eine dunkle, kirschrote Farbe mit einem cremigen beigen Schaum. Aromen von Dörrobst, eingelegten Früchten, Karamell und Honig dringen in die Nase. Im Mund zeigt sich das Starkbier sehr vollmundig mit angenehmer Rezenz. Ein intensiver Malzkörper hebt Aromen von Karamell und Honig hervor. Feine fruchtige Noten, die an in Rumtopf eingelegte Früchte erinnern,
kommen zum Vorschein. Die alkoholische Stärke ist gut versteckt hinter allen Flavours, zeigt sich aber mit einem leicht wärmenden Gefühl am Ende in der Rachen- und Magengegend. Im Abgang bleibt Karamell erhalten, dazu wird es würzig intensiv mit feinem Gewürz- und Muskathauch. Das alles haben wir geschmeckt und weil bekanntlich
immer noch einer geht, beschlossen wir, den Abend mit einem Delirium tremens als Absackerersatz zu beenden.