Kindererziehung ist eine stete Herausforderung und eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Dies gilt umso mehr bei jemandem, der als Herrscher geboren wird: Auch der Herzog war einmal ein Herzoglein. Einer der bedeutendsten Jülicher Herzöge war Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg (1516-1592), den man auch „Den Reichen“ nannte. Ihm verdanken wir, dass Jülich eine „Herzogstadt“ wurde, ließ er doch die Stadt nach einem verheerenden Brand im Jahr 1547 als ideale Stadt- und Festungsanlage wiedererrichten. Noch heute legt die Zitadelle mit den beeindruckenden Resten des ehemaligen Residenzschlosses Zeugnis vom Gestaltungswillen Herzog Wilhelms V. ab. Er zeigt sich hier als moderner Fürst, der unterstützt von einem humanistisch geprägten Beraterkreis, nichts weniger als die umfassende Reform von Staat und Gesellschaft anstrebte. Viele der wegweisenden Ideen ließen sich jedoch vorerst nicht umsetzen, was aber nicht dem Herzog anzulasten ist, sondern den damaligen schwierigen Rahmenbedingungen.
Der Weitblick des Herzogs gründete auf seine versierten Berater und auf einer guten Bildung. Diese verdankte Wilhelm V. seinem Erzieher Konrad Heresbach (1496-1576), der ihn im Jahr 1523 als Siebenjährigen unter seine Fittiche nahm. Heresbach kam aus Mettmann, war also ein Landeskind des Herzogs. Zur Zeit seiner Berufung lehrte er Griechisch an der Universität in Freiburg. Wilhelms Vater, Herzog Johann III., hätte gerne den großen Humanisten Erasmus von Rotterdam als Erzieher an den jülich-klevischen Hof geholt, dieser lehnte das Angebot jedoch ab und empfahl Konrad Heresbach für diese wichtige Aufgabe. Aus dem Erzieher Heresbach wurde ein lebenslanger enger Vertrauter und Berater Wilhelms V., der ihn mit zahlreichen heiklen Missionen betraute. Die Grundzüge seines Erziehungsprogramms legte Heresbach 1570 in gedruckter Form vor: „De educandis erudiendisque principum libris“ – „Über die Erziehung und Bildung der Fürstenkinder“. Eine spannende, wenn auch nicht ganz leichte Lektüre, strotzt das Werk doch nur so von Anspielungen auf antike Autoren, aber auch auf christliche Literatur. Heresbachs Ausführungen beginnen noch vor der Zeugung des Fürsten, denn ein tadelloser Lebenswandel der Eltern ist schon wichtige Voraussetzung dafür, dass der Sohn mit allerbesten Veranlagungen gezeugt wird und anschließend auf die Welt kommt.
Während der Schwangerschaft habe die Fürstenmutter alles zu vermeiden, das dem Kind schaden könne, so zum Beispiel der Anblick monströser Bilder. Nach der Geburt empfiehlt Heresbach, dass der junge Fürst von seiner Mutter gestillt wird. Die Muttermilch vermittle „die körperliche wie die geistige Ähnlichkeit zwischen Mutter und Kind.“ Zudem ist sie „gut temperiert (lauwarm), schmackhaft und bekömmlich, riecht angenehm, ist ansehnlich und schön weiß, gleichmäßig gut, in der richtigen Mitte zwischen flüssig und dick.“ (Übersetzung von Erwin Fuchs). Dennoch solle das Kind möglichst frühzeitig aus der Obhut der Frauen bei Hofe in die Hände eines fähigen Erziehers gegeben werden. (Wen Heresbach da wohl meint?) Dieser müsse für eine umfassende Bildung des künftigen Fürsten sorgen und darauf achten, dass er nicht zu sehr in die intrigante und wenig tugendhafte Welt der Höflinge gerate. So lehnt es Heresbach auch ab, dass der junge Fürst eine Kavalierstour an die europäischen Fürstenhöfe macht. Hier sei die Gefahr viel zu groß, dass der Jungherzog negativ beeinflusst würde oder sich sogar eine (Geschlechts-)Krankheit zuzieht. Tatsächlich konnte Heresbach verhindern, dass Wilhelm V. eine Auslandsreise unternahm, was jedoch dazu führte, dass ihm eine gewisse Weltläufigkeit fehlte, als er dann 1539 seine Regentschaft antrat.
Als Heresbach seine Schrift in den Druck gab, ging es bei Hofe gerade um die Frage, wer die Erziehung des Erbprinzen Karl Friedrich (1555-1575) fortführen sollte. Wilhelm V. entschied sich, wohl gegen den Rat von Heresbach, für Stephan Winandus Pighius (1520-1604). Dieser katholische Geistliche, der zeitweilig für die Antikenverwaltung in Rom verantwortlich gewesen war, plante umgehend eine mehrjährige Kavalierstour für Karl Friedrich, die über einen nahezu dreijährigen Aufenthalt am Kaiserhof in Wien schließlich 1574 nach Rom führte. Wie von Heresbach in seinem Buch befürchtet, endete die Reise tragisch. Der Jungherzog erkrankte in Rom an den Blattern und verstarb dort Anfang 1575. Pighius hat dieser Schicksalsschlag hart getroffen und er arbeitete die tragischen Geschehnisse in seinem Werk „Hercules Prodicius“ auf, das 1587 erstmals im Druck erschien. Darin beschreibt er die gemeinsame Reise nach Rom als großes Bildungserlebnis, was es wohl auch tatsächlich war. So gehörte die Reisegesellschaft zu den ersten Besuchern der Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands von Tirol auf Schloss Ambras oberhalb von Innsbruck sowie der beeindruckenden Terrassengärten der Villa d’Este in Tivoli. Der auf den ersten Blick etwas sperrige Titel „Hercules Prodicius“ verweist auf den Philosophen Prodikos, auf den die Geschichte von Herkules am Scheideweg zurückgeht. Gemeint ist hiermit, dass der Jungherzog Karl Friedrich sich wie die mythische Gestalt Herkules für den Weg der Tugend entschieden hatte. Die Schrift von Pighius, die vor allem als Reisebericht gelesen wurde, ist eher als ein Fürstenspiegel zu verstehen und damit dem Buch von Heresbach sehr ähnlich.
Der niederrheinische Humanist Heresbach hatte aber, ganz im Geiste seines Vorbilds Erasmus von Rotterdam, bei der Erziehung des Fürsten ein Maßhalten in allen Belangen gefordert. Der Fürst sollte eine auf Ausgleich bedachte Persönlichkeit sein, die zwischen widerstreitenden Interessen vermitteln konnte – eine wichtige Voraussetzung für die Bewahrung des Friedens inner- und außerhalb des eigenen Territoriums. Diese Haltung bezog sich insbesondere auf die konfessionellen Fragestellungen der Zeit. Anders dagegen Pighius, der aus seiner dezidiert römisch-katholischen Sichtweise keinen Hehl machte. Dies sollte sich im 17. Jahrhundert fortsetzen, als der aus Boslar stammende Jesuit Johannes Pakenius (1626-1681) die Erziehung des Jungherzogs Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1658-1716) übernahm. Zweieinhalb Jahre, von 1674 bis 1677, war er auf einer Kavalierstour mit dem jungen Fürsten quer durch Europa unterwegs. 1679 erschien aus seiner Feder eine Beschreibung dieser Reise, ebenfalls unter dem Titel „Hercules Prodicius“. Johann Wilhelm nahm von dieser Kavalierstour, was Heresbach sicherlich missfallen hätte, vor allem den Prunk und repräsentativen Glanz der Fürstenhöfe mit, wie er ihm beispielsweise am Hof König Ludwigs XIV. von Frankreich in Versaille begegnet war. Als er später selbst Herzog von Jülich-Berg und Kurfürst von der Pfalz wurde, machte er aus Düsseldorf, Bensberg und Benrath sein Versailles am Niederrhein.
Kehren wir zum Schluss noch einmal zu Heresbach zurück und zu der Frage, wie viel Einfluss ein Lehrer auf seinen (fürstlichen) Schüler tatsächlich nehmen konnte. In einem Fall lässt sich der Einfluss unmittelbar belegen: Heresbach favorisiert als fürstliches Getränk Bier gegenüber Wein und tatsächlich war Wilhelm V. ein begeisterter Biertrinker, der eigene Braumeister beschäftigte und auf dem Jülicher Schloss ein Brauhaus errichten ließ. Immerhin eine Erfolgsgeschichte der Fürstenerziehung.