Nicht vielen Menschen wird das Geschenk zuteil in andere Dimensionen reisen zu dürfen. Und dann auch noch in eine Dimension, in der Jülich nicht nur eine Stadt im Kreis Düren, sondern gleich eine Art Freistaat ist. Mit eigenem Herzog, welcher jedoch nur repräsentative Aufgaben übernimmt, mit eigenem Kennzeichen und vielen kulturellen Sehenswürdigkeiten.
Klar, dass in dieses Jülich nicht jeder einfach so, ohne Visum, einreisen darf. Mir als Redakteur des HERZOGs wurde dieses Visumsgeschenk jedoch zuteil, wohl auch weil unser Kontakt zum HERZOG in der Parallelwelt, welcher dort täglich als kostenloses Zeitungsmagazin erscheint, recht gut war und ist.
Die Reiseroute klang spannend. Mit Überlichtgeschwindigkeit ging es immer geradeaus, kurz links abbiegen in Richtung Schwarzes Loch und dann nochmal scharf rechts in die andere Dimension um dann, kaum angekommen, hart auf 0 km/h abzubremsen und sich in die Schlange am Zoll einzureihen.
Infografiken zur Jülicher Geschichte sollten die Wartezeit mit etwas Bildung füllen. Aber, dass sich Jülich in dieser Dimension aus dem 33-jährigen Krieg und den 2,5 Weltkriegen rausgehalten hatte, wusste ich schon aus meinen Recherchen und durch die großen Glasscheiben sah man die faszinierende Skyline des historischen und modernen Festungsstaats.
Die Zeit in der Warteschlange des Zolls dauerte ewig. War ja auch klar, auch im Paralleluniversums-Jülich konnte nicht alles perfekt sein: Wir hatten Wochenende und dann auch noch genau das, an dem das 23Stundenrennen auf dem Von-Schöfer-Ring ausgetragen wurde. Man könnte schon sagen, dass dieses Jülich Ähnlichkeit mit dem Monaco unserer Dimension hat. Steueroase, dank zweier Sonnen immer angenehme Temperaturen, jede Menge Prominenz und kristallklares, türkisblaues Wasser in der Rur, über die es dann endlich mit der Rur-Fähre ging.
Da mein Touristenvisum nur für einen Tag galt und ich unbedingt den Herzog sehen wollte, ging es dann natürlich erst einmal zum Schloss. Ich eilte vom Hafen in die wunderschöne Altstadt. Verschwitzt dort angekommen entschied ich mich eines dieser Solargefährte zu mieten. (Hätte ich vielleicht doch schon am Hafen machen sollen.) Weiter zum Schloss. Die Fahne auf halbmast, was bedeutet, dass der Herzog wohl derzeit nicht in seinem sehr repräsentativen Amtssitz zugegen war. Dafür nahm ich jedoch vom Schlossplatz einige schöne Eindrücke mit. Das alljährliche Weinfest fand dort statt, welches neben dem Bier- und Schnapsfest zu meinen Favoriten der Jülicher Genussfeste zählt und mit passender musikalischer Untermalung aus Richtung Musikpavillon ein wunderschönes Flair verbreitete.
Eine Pause einzulegen schien mir verfrüht, deshalb eilte ich weiter zum alten Rathaus. Leider kein Herzog. Weiter zum neuen Rathaus. Aber auch hier keine Spur von Seiner Exzellenz oder seinem Gefolge. Also blieb nur noch das ganz neue Rathaus und das ganz, ganz neue Rathaus. Auch hier keine Majestät und keine Durchlaucht zu sehen, aber die Information, dass er sich im Staate aufhält.
Für den Fall der Fälle, dass ich kein Foto des ersten Jülicher Bürgers bekomme, entschloss ich mich zu einem kurzen Stopp in einer Buchhandlung mit angeschlossenem Souvenirshop. Lag auf dem Weg und zur Not müsste eine Postkarte mit dem Konterfei des Herzogs reichen. Als ich den Laden betrat, wurde ich mit einem herzlichen „Wiiiiiillkoooommeen“-Gesang der Fischerchöre begrüßt. Diese standen am Eingang und begrüßten jeden Kunden auf diese Art. Das würde mir ja irgendwann auf die Nerven gehen, wenn ich dort arbeiten würde, dachte ich und wollte auch schon eine Verkäuferin fragen, als mein mit Entsetzen gefüllter Blick das leere Postkartenregal sah. So war meine Frage an die nette Verkäuferin schnell eine andere. Die ernüchternde Antwort: „Nee, alle ausverkauft… die neuen sind auf dem Weg… hängen aber bestimmt noch beim Zoll“ und „wir hätten da nur noch eine mit Bürgermeister Steinrich Hommel drauf“, ließ mich verzweifeln.
Naja, als Entschuldigung gab es eine Freikarte für den Brückenkopf-Vergnügungspark, aber auf eine der diversen Achterbahnen oder auf Erdmännchen hatte ich nach diesem Schock keine Lust, und noch schlimmer, auch keine Zeit. (Trotzdem sehr kulant.)
Um meine Nerven zu beruhigen und das Loch in meinem Bauch zu stopfen begab ich mich in einen der Exportschlager dieses Jülichs, eine Filiale der weltweit bekannten PM-Steakhaus-Kette, und bestellte mir ein MaxiSteak-Menü mit kleiner Portion Pommes, Salat und einem Softdrink. In dieser urigen Atmosphäre, immerhin war das hier die erste Filiale der Kette, schmeckte das Essen doppelt so gut und ich hatte damit quasi auch schon eine weitere Sehenswürdigkeit abgehakt.
Gut gesättigt überlegte ich gerade, ob ich mir noch schnell ein „PM-Jülich“ T-Shirt kaufen sollte, als die Bedienung kam und mir einen Knolli anbot. Oh ja, den berühmten Jülicher Schnaps aus Zuckerrüben auf mein Steak, das wären ja schon zwei „Sehenswürdigkeiten“ in einem Magen. Also sagte ich ja und kippte ihn auch schon runter. Ein großer Fehler! Denn den Knolli kippt man sich nicht einfach so runter. Erst recht nicht, wenn man diesen in Jülich trinkt. „In Hamburg machst du dir wohl auch ‚ne Kippe an der Kerze an, wa!?!“, tönte es vom Nachbartisch und schon hatte ich zwei Einheimische links und rechts neben mir sitzen, welche mir freundlich, aber bestimmt, zu verstehen gaben, dass wir das jetzt mal zusammen üben sollten. Zack stand ein Tablett voll Knollis auf dem Tisch. „So ming Jung und jetzt ers‘ma richtisch: Knolli, Knolli du herrlicher Saft, gibst jedem Jülicher Weisheit und Kraft“, und runter damit. Dazu bekam ich dann auch jedes Mal noch eine Geschichte über St. Rübezahl, dem Schutzpatron des Staats, serviert.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich mehr als nur einmal üben musste. Aus selbigem Grund stieg ich vom Solarmobil auf die U-Bahn um und machte mich auf den Weg ins im Norden gelegene Staatsviertel Irish Town. Von den Einheimischen hatte ich den Tipp bekommen, dass der Herzog dort heute evtl. noch anzutreffen wäre. Irish Town ist auch von außerhalb Jülichs gut zu erkennen, da hier der Regenbogen endet, den irische Einwanderer und Gastarbeiter um das Jahr 1410 wohl mitgebracht haben sollen. Der Topf voll Gold ist neben dem weißen Gold der Rüben und den diversen anderen Exportschlagern wohl einer der Hauptgründe für Jülichs Reichtum.
Ich fand am hellen Licht des Regenbogens nicht viel Gefallen, als ich die Rolltreppe der U-Bahn hinauffuhr und bemerkte, wie angetrunken ich war und dass mir die Zeit unerbittlich davon lief. Dieser Knolli hatte es wirklich in sich.
Ich begann an meinem Ausflug und Reisebericht zu zweifeln. Was sollte ich schreiben? Ich hatte mir so viel vorgenommen und nur so wenig erreicht. Immer noch kein Foto vom Herzog. Und ich? Immer nur schnell von einem Ort zum anderen, ohne diesen schönen Staat einmal richtig auf mich wirken zu lassen und den Besuch hier wenigstens selbst genießen zu können. Meine Absicht, Ihnen als Leser dieses Universums als Highlight ein Foto des lebendigen Herzogs präsentieren zu können, hatte mich irgendwie das ganze Drumherum vergessen lassen. Erschöpft setzte ich mich in das nächstgelegene Pub und trank enttäuscht ein bis zwei Bier. (Es könnten auch mehr gewesen sein.) Eine Ausrede, warum ich mit leeren Händen wieder kommen würde, wäre nicht schlecht, dachte ich mir.
Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, mich wieder Richtung Hafen und Fähre zu bewegen. Auf Grund meines Zustands entschied ich mich für den Fußweg über den Rurdeich. Das Licht der warmen Sonnenuntergänge brach herrlich zwischen den Kastanienbäumen. Genau wie ich. War wohl doch ein Bier oder ein Knolli zu viel gewesen. Dumpf hörte ich Laufschritte und dann so etwas wie:„Jung‘, dat machste aber wieder weg!“ Ich blickte auf und sah Ihn. Ja, Ihn, den HERZOG! Zwar etwas verschwommen und doppelt, aber er war es, leibhaftig. In Jogginghose und Runner-Shirt. Ich griff schnell nach meiner Kamera und drückte ab…
Viel mehr weiß ich dann auch nicht mehr. Irgendwie bin ich dann wohl noch zur Fähre und in unsere Dimension zurück gekommen. So ist dieser Artikel entstanden. Und nicht anders…