Ob als Kind einer Geflüchteten oder als adoptierte Tochter in einer reichen Familie: Alle Hauptfiguren hatten ihre persönlichen Dämonen mit denen sie zu kämpfen hatten. Dies wurde nicht nur innerhalb der Erzählung, sondern auch durch die schauspielerische Leistung des Gesamtensembles deutlich greifbar. Der Literaturkurs des Gymnasiums Zitadelle lieferte nach zweijähriger Bühnenabstinenz einen grandiosen Neuanfang des Theaterfestivals. Die Schülerinnen und Schüler zeigten in Peter Reuls Theaterstück „I Doll“ eine überzeugende Bühnenpräsenz und viel Einfühlungsvermögen.
Je mehr das Publikum über die Figuren erfuhr, desto einfacher zu verstehen und interessanter wirkten die Geschichten. Das liegt wohl daran, dass die Leben der Figuren zunächst keine Berührungspunkte besaßen und das fünfköpfige Hauptensemble in verschiedenen Rollen auftrat. Nach und nach ließen sich aber etwa mithilfe von eindeutigen Kostüm- und Lichtwechseln die verschiedenen Geschichten herauskristallisieren. Und das mit einiger Detailverliebtheit: Etwa, dass die Tochter des verstorbenen Soldaten sein „Dog Tag“, also seine Erkennungsmarke, um den Hals trägt. Insbesondere aufgrund der vielen Kostümwechsel und der Fülle der Doppelrollen wirkten solche Kleinigkeiten besonders atmosphärisch und charakterbildend.
Die experimentelle Note des Stückes schlug sich besonders in den Anfangsszenen, etwa dem Vorstellen der Lebenssituationen mithilfe von die Babys darstellenden Puppen, der kurz darauf folgenden Vorstellung von verschiedenen Puppen und Kuscheltieren einiger der Figuren sowie zu den Hauptfiguren zusammenhanglosen Zwischenszenen nieder. Hierzu zählten sowohl die in zwei Szenen dargestellte Geschichte eines jungen Mannes, der offensichtlich wie eine aufgezogene Figur (samt gebasteltem Schlüssel im Rücken) ein „Flirtprogramm“ abspielt, als auch kurze Tanzchoreographien im Puppengewand samt Maske. Zusammengeführt wurden diese Teile aber spätestens mit einer Gesamtchoreographie am Schluss, in der manche Maske fiel. Und auch die zu Anfang vorgestellten Puppen kamen im Verlauf des Stücks erneut vor und hatten somit einen Wiedererkennungswert.
Insgesamt ging es wohl um die Identitätsfindung im persönlichen Mikrokosmos. Die Charakterentwicklung zu diesem Ziel hin spiegelte sich nicht nur spielerisch gekonnt, sondern ebenfalls im Kostüm wider: Die vormals von ihrer Mutter als Model vorgesehene Cloé trägt nach ihrem Lossagen von dieser Vorstellung ein weiter fallendes Oberteil als zuvor. Der Eindruck bleibt: Der Kurs hat sich mit seinen Rollen stark auseinandergesetzt und sich in sie hineingefühlt.
Lob muss auch der Leitung des Stücks, Ugur Ekener, ausgesprochen werden: Nicht nur gab es keine Fehlbesetzungen, auch das emotional „laute“ Spielen, wie etwa beim verzweifelten Anschreien Sarahs gegen ihre „Dämonen“ oder der begeisterten Reaktion des gewinnenden Models beim Wettbewerb, muss gut angeleitet und eingeprobt werden. Gleiches gilt für das Rückwärtsfallen aus dem Stand in der vorletzten Choreographie.
Aufgrund des gelungenen Gesamtkonzeptes wird sich wohl so mancher Mensch, jugendlich wie erwachsen, in die Gefühlswelt der Figuren einfinden und sich vielleicht auch an mancher Stelle wiederfinden können. Das offene Ende nach dem eindrucksvollen Gesamtauftritt lädt zumindest dazu ein, nachzudenken und sich selbst zu erkennen.
Fotos David Merz