Aufregung und Vorfreude waren Regisseur Christoph Fischer anzumerken, als er in der Aula des Mädchengymnasiums ein paar einleitende Worte der Aufführung vorausschickte: Es ist eine „echte Uraufführung“. Das Stück sei eigentlich eine Erzählung. Diese hätten er und Andreas Kupka für die Laiengruppe übersetzt und zur Komödie umgeschrieben. Eine Komödie über die Oberflächlichkeit, Leichtgläubigkeit und auch Intriganz der Londoner Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die Oscar Wilde selbst kannte und die ihn letztendlich durch seine damals unzeitgemäße Lebensart – er lebte seine homosexuelle Orientierung aus – ins Zuchthaus brachte und damit ein kurzes Leben bescherte.
In dem Stück geht es um einen Mord: Der junge Lord Arthur Savile (Philipp Hardt) beabsichtigt die hübsche Sybil Merton (Lisa Kloschinski) zu heiraten. Doch vorher drängt ihn die elegante und kokette Ladyschaft, sich die Hand lesen zu lassen – von einem so genannten Chiromanten (Jens Range). Dieses „Gesellschaftsspiel“ gegen die Langweile der Empfänge und des alltäglichen Müßiggangs der Londoner Oberschicht entwickelt sich für den jungen Lord zum Verhängnis: Er werde in naher Zukunft einen Mord begehen, prognostiziert der Handleser. Pflichtbewusst verschiebt Arthur seine Hochzeit und verfällt der so genannten „Self-fulfilling-prophecy“, indem er selbst diese prophezeite Geschichte buchstäblich in die Hand nimmt. Nach mehreren misslungenen Mordversuchen an seiner nervenden Verwandtschaft schickt er am Ende den Handleser selbst in den Tod. Und zwar, nachdem er dessen korruptes Spiel plötzlich durchschaut. So wird die Prophezeiung von ihm auf eine unerwartete Weise wahr.
Während des Stückes durften die Zuschauer buchstäblich den gehobenen Stil des „Bonmots“, des geflügelten Wortes, genießen, für den Wilde bekannt ist. Das wichtigste literarische Thema des Stückes – die gesellschaftliche Leichtgläubigkeit und Boshaftigkeit – gepaart mit einem wichtigen Motiv – die Ehe und ihre Tücken – sorgen immer wieder für Witz und Gelächter. Besonders Sir Thomas Abruthnot (Andreas Kupbka), hat dazu ein ganzes Spektrum an Weisheiten zu bieten: „Wenn wir Männer immer die Frauen heiraten würden, die wir verdient haben, stünden uns schlimme Zeiten bevor“ – weiß er. Sprachwitz, aber besonders auch die Maniriertheit der Londoner Gesellschaft, stellten besondere Anforderung an die Laienschauspieler.
Zunächst ein wenig statisch und eher von den teils humorvollen Dialogen belebt, entwickelte das Stück besonders in der zweiten Hälfte eine unerwartete Dynamik. Die Kostüme sorgten für den besonderen Glanz. In besonders hervorstechender Weise beherrschte die „Neue im Team“, Anna Rohowsky als Lady Flora Stutfield, diese Manieriertheit und Exzentrik der Londoner Ladyschaft. Philipp Hardt spielte seine Hauptrolle des Lord Arthur zunehmend souverän – mit ganz besonderem Schalk in seiner Mimik, die immer wieder zum Gelächter beitrug. Lisa Kloschinski als besonders moralische Sybil erschien als begehrenswerte Partie überzeugend. Birgit Bergk führte in Gestalt der Lady Gladys Windermere die aufgesetzte und überdrehte Ladyschaft als frühe Influencerin in die Irre. Sie funktioniert dabei im Stück als eine Art Wortführerin der anderen Damen der Gesellschaft. Dazu zählt die Duchess of Paisley (Melanie Zehnpfennig), deren Handlese-Session eine „eher wenig übertriebene Linie des Intellekts“ zutage befördert, wie der Handleser süffisant verkündet. Hintergründiger und intelligenter wirkte Lady Julia Merton (Bettina Nießen), die ihre Giftigkeit im Stück nur schwer verbergen kann. Arthurs Tante, Lady Clementina Beauchamp (Claudia Cormann-Wiersch), ist das erste Opfer, das der junge Lord zu ermorden sucht. Sie sorgte an diesem Abend mit der bekannten „Merkelschen Raute“ für einiges Vergnügen im Publikum – diese Geste wird neben dem am Ende tödlichen „Sodbrennen“ zu ihrem Markenzeichen im Stück.
Besonders charismatisch in seiner Rolle und alleine dadurch schon witzig: der Geistliche James Percy (Peer Kling), der alles vergisst und Arthur immer wieder ermahnt: „Eine Hochzeit ist kein fröhliches Ereignis. Es ist schließlich der Beginn deiner Ehe.“ Auch Percy entgeht dem Mordversuch des jungen Lord Arthur nur knapp. Als roter Faden und mindestens ebenso charismatisch und überzeugend in seiner Rolle wirkte Bert Voiss als Mason der Butler. Hinter dessen überaus korrekter Fassade lässt sich so manche Anti-Establishment-Idee erahnen: So steht er doch offensichtlich in Kontakt zu den Anarchisten, zu denen auch Frederick Winkelkopf (Dieter Nießen) gehört. Dieser baut Uhren, die zu bestimmten Zeiten explodierten – dies meist jedoch in Zügen, die Verspätung haben. Durch diese und andere Anklänge gibt es im Stück immer wieder Bezüge zur Gegenwart.
Regisseur Fischer war nach der gelungenen Uraufführung „sehr glücklich“. Anfangs sei er nicht ganz sicher gewesen, ob das Experiment, aus einer großen literarischen Erzählung ein humorvolles Theaterstück zu machen, auch gelingen würde. Diese Sorge verflog angesichts des tosenden Applaus am Ende. “Ich bin ein Fan von diesen älteren Damen, die auf Gesellschaften gehen und sich die Spitzen um die Ohren hauen“, sagte Fischer. Diese ganze Adelswelt, die nichts zu tun habe, sei sehr gut von Oskar Wilde inszeniert worden. Vieles daran sei heute wieder aktuell: die Leichtgläubigkeit, die Verschwörungstheorien. Hier sieht Fischer Parallelen heutiger Narrative zur Praxis des Handlesens und Telepathie, wie Lady Windermere sie in die Londoner Gesellschaft einführte.
Fotos: Volker Goebels