„Der Besucher“ spielt in der Hitler-Zeit in einer Wohnung in Wien. Nachdem die Nazis in Österreich einmarschiert waren, wird Anna, die Tochter des Siegmund Freud – Begründer der Psychoanalyse und überzeugter Atheist – im April 1938 aus seiner Wohnung von der Geheimen Staatspolizei der Nazis (Gestapo) entführt. Freud gerät darüber in Panik. Da erscheint plötzlich ein merkwürdiger Besucher, der seine atheistischen Grundsätze zu erschüttern vermag.
Die Aufführung war bereits intern vor Schülern anlässlich des Patronatstages des Gymnasiums Haus Overbach gezeigt worden. Bei der zweiten, nun öffentlichen Darbietung, konnte Lehrerin Rebecca Dicke, die sonst die Anna spielte, nicht dabei sein und war kurzfristig erkrankt. Lehrer Henning Achenbach, gleichzeitig Regisseur des Stückes und Darsteller des Siegmund Freud, schrieb das Stück deshalb ebenso kurzfristig um. Dennoch tat das dem Inhalt keinen Abbruch – eine große Leistung, für die es am Ende viel Applaus gab. Die Plätze der Aula des Gymnasiums waren fast alle besetzt.
Ein Gestapo Mann, sehr überzeugend gespielt von Lehrer Frederik Hens, betrat in perfekter Nazi-Montur die Bühne und sorgte in der installierten kleinen Wohnung für eine äußerst bedrohliche Atmosphäre. Er erpresste den Gelehrten Freud jüdischer Herkunft, so dass dieser immer mehr in Verzweiflung geriet: Die Angst um seine von den Nazis entführte Tochter nahm dem gelehrten Mann seine Sicherheit, seinen Zynismus jedoch behielt er: „Ich hatte vergessen, dass ich Jude bin, wenn ihr Nazis mich nicht dauernd daran erinnern würdet“, erwiderte er trotzig. Plötzlich betrat ein fremde Besucher die Szene – souverän gespielt von Gastschauspieler Bert Voiss. Und zwar erschien der immer nur dann, wenn der Nazi-Scherge abwesend war. Er forderte den Geist des berühmten Psychoanalytikers entscheidend heraus, indem er ihm dessen inneren Erlebnisse und Bedürfnisse vor Augen hielt und sowohl in Freuds Vergangenheit als auch in seine Zukunft schauen konnte. Und schon war es Freud, der auf der Couch Platz nahm, die sonst für seine Patienten reserviert war.
Der Schriftsteller und Autor des Stückes, Éric-Emmanuel Schmitt, verwickelt seine Figuren dabei in einen spannenden Dialog über Glaube und Unglaube, der es philosophisch sehr wertvoll macht: Freud war in einer seelischen Ausnahmesituation und dadurch bereit, seine atheistischen Glaubenssätze infrage zu stellen. „Ich glaube nur das, was ich sehe“, versuchte er sich immer wieder selbst zu sagen. Doch die Angst weichte seine These auf und das Bedürfnis wuchs in ihm, er möge gerade mit Gott selbst sprechen. Doch das brachte ihn gleich zu der nächsten Frage: Wenn es nun einen Gott gebe, dann müsste er doch der Teufel sein, wenn er solche Gräuel in der Welt zulasse? Der Hass habe mit den Nazis sogar nun eine Partei bekommen.
Der Besucher hält wie ein Advokat entgegen: Man müsse sich nur gehen lassen um zum Glauben zu kommen. Die Weisheit bestehe darin, nicht seiner Vernunft, sondern seiner Verrücktheit zu folgen – ein Satz der nochmal die Doppelbödigkeit des Stückes zeigt. Ist es nun Gott? Oder ist es ein „Verrückter“, mit dem Freud gerade spricht? „Der Glaube muss sich durch den Glauben nähren, und nicht durch den Zweifel“, erwidert der Besucher dem am Ende völlig verzweifelten Freud, der eine Pistole auf ihn richtete, um die Wahrheit, wer er nun wirklich sei, aus ihm herauszupressen. Eine Auflösung erfolgt in dem Stück nicht. Es bleibt offen.
Dabei wirft das Stück nicht nur die Fragestellung auf, ob es sich bei dem Besucher, etwa um Gott handele, sondern geht noch weiter: Die zentrale Frage des Stückes ist diese: Wenn es tatsächlich Gott ist, wie ist die Grausamkeit in der Welt mit der Annahme vereinbar, dass dieser Gott allmächtig sei? Dies sei die so genannte Theodizee-Frage, erläuterte Achenbach.
Die Darbietung war nicht nur inhaltlich anspruchsvoll, auch die optische und akustische Gestaltung verliehen dem Stück besondere Tiefe und Bedrohlichkeit. Ein herzlicher Dank dafür ging an die „Technik“, die von der Oberstufenschülerin Luciana Schmid realisiert wurde, und die dafür sehr viel Freizeit geopfert habe, so bedankte sich Achenbach. Wie es zu dem Stück kam? Vor sechs Jahren habe Achenbach dieses bereits mit Schülern aufgeführt und das Bedürfnis verspürt, es nochmals mit Kollegen einzuüben. Auch habe er als Mitglied des Jülicher Theaterensembles Bühne 80, den Schauspieler-Kollegen Bert Voiss als Gast gewinnen können. Im Oktober hatten dann die dialogreichen Proben begonnen. „In der heutigen Zeit, insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, ist dieses Stück noch wichtiger, als in den flauschigen achtziger, neunziger Jahren“, findet Achenbach. Ob es einen Trost im Glauben gebe, darauf gebe das Stück keine Antwort. Aber sich darauf einzulassen, auf dieses gedankliche Experiment, auch darum gehe es in dem Stück.