Nach wochenlanger Vorbereitung ging plötzlich alles ganz schnell: Mit fünf Metern pro Sekunde stieg der Stratosphärenballon in den wolkenverhangenen Himmel. Es dauerte nicht lange, da hatten die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Zitadelle den Ballon aus den Augen verloren. Einige Zeit lang meldete sich auch der GPS-Sender noch, dann verschwand der Ballon auf seiner Reise in die Flughöhe von 35.000 Metern sprichwörtlich vom Radar. Die Flugzeit wurde vor dem Start mit drei Stunden berechnet, es wurden fünf – mit einem unerwarteten Ende. Aber dazu später mehr.
Seit Beginn des Schuljahres haben sich – in Kooperation mit dem JuLab – Ida Wille, Malte Schöpe, Mike Coenen, Julian Ewert, Maximilian Schuch, Vanessa Sabadis, Oliver Korte und Jakob Peters im Projektkurs „Atmosphäre“ mit der Vorbereitung des spektakulären Forschungsvorhabens beschäftigt. Dazu gehört, dass ein mit Messtechnik bestückter Ballon 35 Kilometer hoch aufsteigt, um Messdaten in bodennahen Luftschichten und in der Stratosphäre zu sammeln. Aufgrund des Wetters und der wechselnden Winde war der Start bis zur letzten Sekunde eine Zitterpartie. Erste Flugberechnungen hatten ergeben, dass die „Landung“ in den Niederlanden geschehen könnte – wofür es keine Erlaubnis gab. Darüber hinaus wäre der prognostizierte Ort der Landung die mäandernde Maas gewesen. Zunächst vom Winde verweht und danach vom Fluss weggespült – der Start wurde noch einmal verschoben. Am Freitagmorgen dann zeichneten sich deutlich bessere Voraussetzungen ab.
Im Vorfeld des Starts hatten sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur eingehend mit den theoretischen Grundlagen zur Klimaforschung befasst, nebenbei wurde auch die Messtechnik beziehungsweise die Messwerterfassung vorbereitet. Mit zwei unterschiedlichen Systemen erfasste die Messtechnik alle zehn Sekunden Temperatur, Luftdruck, Ozon sowie die relative Luftfeuchtigkeit – unter anderem um die Wolkenbildung zu untersuchen. Den verwendeten Mikrocontroller hatten die Schülerinnen und Schüler selbst programmiert und das Equipment – so gut wie möglich – für die Reise in 35.000 Meter Höhe und eine erwartete Temperatur von rund minus 60 Grad Celsius vorbereitet und geschützt. Ein besonderer Dank des Gymnasiums ging vor dem Start an die „Rütgers Stiftung“, die das Projekt finanziell unterstützte und eine Anschaffung großer Teile der Ausrüstung erst ermöglichte.
„So etwas kann man nie wieder machen, wenn man nicht zufällig die entsprechende Fachrichtung studiert“, erklärte Oliver Korte, warum er sich am Projektkurs beteiligt. „Es ist super interessant, bei so einem Projekt dabei zu sein. Wir können mit unseren eigenen Messwerten die barometrische Höhenformel abklopfen und Werte aus der Literatur nachprüfen“, freute sich Malte Schöpe schon vor dem Start auf die Auswertung der gespeicherten Daten. Die Beschäftigung mit den Vorgängen in der Atmosphäre sowie des Klimawandels entspricht nicht den klassischen Lehrplaninhalten – vielmehr war bei diesem Projekt fächerübergreifendes Knowhow gefragt. Entsprechend wurde der Kurs von Dr. Dennis Heffels und Dr. Astrid Wille betreut, die damit den gesamten MINT-Bereich abdeckten.
Darüber hinaus war im Rahmen der Kooperation des Gymnasiums Zitadelle mit dem Forschungszentrum Jülich Dr. Christian Rolf vom „Institute for Energy and Climate Research – Stratosphere (IEK-7)“ ein Experte der Klimaforschung mit im Boot beziehungsweise im Ballon. „Solche Projekte sind ideal für den Wissenstransfer“, sagte er. Gerade Ballonaufstiege seien eine schöne Möglichkeit, „Physik live und in Farbe zu erleben und eigene Experimente zu machen“. Der Experte lässt regelmäßig zur experimentellen Klimaforschung Stratosphärenballons aufsteigen und macht sich kommende Woche auf den Weg zu einer wissenschaftlichen Expedition nach Nordschweden, wo mit großen Stratosphärenballons die Genauigkeit der Messinstrumente von Satelliten überprüft werden soll.
Der mit über 5000 Litern Helium gefüllte Ballon der Schülerinnen und Schüler war so konstruiert, dass sich der Ballon auf dem Weg in die Stratosphäre immer weiter ausdehnte – und er bei 35.000 Metern die Dimension eines Einfamilienhauses erreichte und platzte. Die am Ballon befestigte Box mit zwei Kameras und der Messtechnik „stürzte“ dann die ersten 15 Kilometer mehr oder weniger im freien Fall mit bis zu 100 Metern pro Sekunde zurück Richtung Erde – bevor die Luft weniger dünn wurde und sich der Rettungsfallschirm langsam entfaltete und die kostbare Fracht sicher landen ließ. Soweit die Theorie.
Leider hatte sich während des Flugs der Deckel von der Box gelöst – nach fünf Stunden konnte das Team nur den Fallschirm und den Deckel bergen. Von der Messtechnik: keine Spur. Zurück am Boden war zunächst auch die Stimmung ganz weit unten. „Nachdem die erste Enttäuschung überwunden war, mehren sich die Stimmen, die es noch einmal versuchen möchten. Wir hoffen, wir schaffen das, wir werden unser Bestes geben und sind zuversichtlich“, sprach Dr. Astrid Wille für alle, dass ein Rückschlag nicht zwangsläufig der Abbruch der „Mission“ sein muss.