Als das Publikum des Theaterstücks „Das Experiment“ den Saal des KuBa verließ, hatten die meisten wohl nicht gemerkt, dass sie alle „gleichgeschaltet“ worden waren. Und zwar von einem Schüler der Jahrgangsstufe Q1 des Gymnasiums Zitadelle Jülich, der in dem Stück den wissenschaftlichen Assistenten „Herr Meyer“ spielte: Die Armbändchen aller Zuschauer waren gelb – in dem sozialen Experiment das Zeichen für einen niedrigen sozialen Status. Das Publikum war damit – ohne es zu Wissen – Teil des Machtspiels auf der Bühne geworden. Ein Machtspiel, das sich unter Wissenschaftlern zugetragen hatte – im Geheimen. Das Theaterstück der Autorin Sabine Hrach wurde unter der Leitung des Literaturlehrers Ugur Ekener seit den Herbstferien intensiv mit dem Literaturkurs einstudiert.
Kern der Handlung: In einem psychologischen Experiment wollen Wissenschaftler das Verhalten von Jugendlichen unter den Bedingungen der Gefangenschaft untersuchen, die ausgestattet sind, mit neuesten sozialen Medien in Form so genannter „SYNC-Armbänder“. Das löste eine unerwartet heftige soziale Dynamik aus. Elf Jugendliche – bekleidet mit steril wirkenden weißen Ganzkörperanzügen – fanden sich in dem Experiment als Geiseln in einer Fabrikhalle wieder. Sie trugen fast alle ein solches SYNC-Armband, das ihnen einen sozialen Status zuwies – je nach „Gefällt mir-Klicks“ durch ihre Mitmenschen, ihre Ernährungsweise und ihre Leistungen. Zwei Gruppen bildeten sich schnell, jeder hatte die Macht, den jeweils sozialen Status des anderen zu erhöhen oder zu erniedrigen. Eine Anführerin war schnell gefunden: Maja (Emma Jansen), die mit Aussagen wie „bedingungslose Treue ist alles“ schnell „Maja ist groß, Maja ist mächtig“- Zurufe ihrer Gruppe erhielt. Doch nicht alle wollten ihr folgen. Einige akzeptierten lieber einen niedrigen sozialen Status (blau) um frei zu bleiben. Es entbrannte parallel ein Machtkampf unter den Wissenschaftlern. Die Strippen zog geheim der wissenschaftliche Assistent Herr Meyer, denn er besaß die Daten vom Experiment, das niemals einer Ethikkommission vorgelegt worden war. Er kann als stiller Sieger des Machtspiels gelten. Gespielt wurde die Figur clever und smart von Jonas Gründl. Die größte Wandlung in dem Stück machte Herr Dr. Dr. (Aáren Bhatti) durch – vom zunächst moralischen Arzt, der dann Blut geleckt hatte, nachdem er das Machtpotenzial der Armbänder erkannte. Er präsentiert am Ende wie irre das „schwarze Band“ – das Zeichen für den Anführer. Moralische Bedenken werden abgewiegelt: „Der Staat wird das niemals akzeptieren“ sagte ein „Zuschauer“ (Tessa Neumann), die auf einem Block alles notierte. „Darüber können wir reden, wenn unser Porsche abbezahlt ist“, brachte es ein anderer „Zuschauer“ (Valentin Klaudius) auf den Punkt: Es ging bei dem Experiment um Macht und Geld.
Überhaupt schien sich jeder Schüler, jede Schülerin, sehr gut mit der jeweils gewählten Rolle in dem beklemmenden Stück zurechtzufinden, das auch mit witzigen Passagen erheiterte: „Eher würde mich das Jugendamt hier freikaufen, als meine Eltern“, gab Finn (Finn Bachem) zum Besten. Die Erkenntnis des Zuschauers: „Die eigenen Kinder folgen viel besser, wenn der Computer ihnen die Befehle gibt“, mag den einen oder anderen Eltern bekannt vorgekommen sein. Es gab oft Lacher. Der gechillte Typus im Hawaii Hemd, ebenfalls „Zuschauer“ (Jonas Hartwig), war nur auf eine Sensation aus. Frau Dr. Dr. (Anya Li) gab die exzentrische Wissenschaftlerin, die eigentlich Narzisstin war. „Mein Charakter war relativ arrogant“, so Li. Die Anführerin Maja fand es „cool“ und es habe echt Spaß gemacht, die Macht über andere zu haben. Dennoch sei es gut, dass es am Ende nur ein Theaterstück gewesen sei.
Auch den Außenseiter-Typus, welcher nicht anfällig war für die Machtstrukturen, gab es unter den verteilten stereotypen Rollen: Finja Neukirchen spielte die zickige Jenny sehr glaubwürdig und widerstand gemeinsam mit James (Ibrahim Khomassi), Antonio (Mohammed El Kassem) und Ben (Niclas Adrian) der Ansteckungstheorie der Macht. Der aggressive Finn (Finn Bachem) schien zunächst das Experiment zu sprengen, doch dem Alpha-Tier Status von Maja hatte er nichts entgegenzusetzen. Doppelt besetzt war die Rolle Julian/Julia mit der Lehrerin Sophia Ossig (Donnerstag) und Jan Wings (Mittwoch). Fabian (Connor Clarenbach) war eher ein lockerer Typ, der am Ende doch der Machtgruppe zufiel, Alex (Younes Sbihi) war schon früh in Majas „Gurkentruppe“ der Macht. Auch die Streber-Rolle war vergeben und wurde glaubhaft gespielt von Ahmet Celik. Dimitri (Benjamin Cervigne) hatte sich direkt der Macht angeschlossen und skandierte der Führerin zu. Souverän am Ende ins Aus gespielt von seinen Wissenschaftskollegen wurde der zu Beginn alles überragende Herr Professor Doktor (Johannes Breuer).
„Der Mensch, der immer nach etwas Besserem strebt, ist gefangen in dieser technologischen Welt“, erklärt Lehrer Ekener die Bezüge des Stückes zur Wirklichkeit, in dem es darum ging, die Manipulierbarkeit der Menschen zu beobachten. Wieviel Zukunft und wieviel Wirklichkeit bereits in dem Stück steckt – die Einschätzung bleibt jedem Einzelnen überlassen.