Die Grundsatzentscheidungen sind getroffen: Das Gymnasium Haus Overbach (GHO) wird im Jülicher Land die erste digitale Schule. Ab dem Schuljahr 2021/22 werden alle Achtklässler mit iPads ausgestattet und dann nachfolgend alle weiteren Jahrgänge, die in Klasse 8 wechseln, so dass alle Lehrenden und Lernenden im Jahr 2028 „digitalisiert“ sein werden. Ausgenommen wird die Unterstufe, „weil es da wichtig ist, in dieser klassischen Erprobungsstufe erstmal ohne Hilfsmittel anzukommen, um die Kulturtechniken einzuüben, um den Unterrichtsalltag zu organisieren“, sagt Schulleiter Thorsten Vogelsang. In der Überlegung ist, ob man langfristig nicht schon in Klasse 7 die Tablets einführt. Die Zukunft beginnt auf jeden Fall im Sommer und Vogelsang nennt es mit einigem stolz einen Meilenstein in der Schulgeschichte.
Die Vorfreude und die Erwartung im Kollegium sind groß. Das klassische Schulbuch soll durch das digitale Schulbuch ersetzt werden und zwar nicht als pdf-Version, sondern als interaktives Lernmaterial. Das bietet für Sprachen etwa integrierte Hörbeispiele, weiterführende Informationen im Internet sind damit auch nur einen Klick entfernt. Einer, der sich das bereits zu Nutze macht ist Musik- und Biologielehrer Stephan Hebeler, der sich selbst als „älteres Semester“ bezeichnet. Er setzt die – als Leihmodelle im GHO schon zur Verfügung stehenden – iPads im Unterricht ein und ist begeistert: „Die Medienvielfalt wird deutlich größer, der Weg ist facettenreicher und schneller.“ Von Videos über Lernapps, persönliche Zuschnitte von Unterrichtsmaterial, das alles sei möglich, denn – Stichwort individuelle Förderung – Hebeler sieht große Herausforderungen für die Zukunft: „Die aktuelle Referendariatsgeneration muss sich mit einer der schwierigsten Umstellungen auseinandersetzen: Der Individualisierung der Lernprozesse. Theoretisch haben 28 Schüler 28 verschiedene Lerntempi. Da geben sich durch die iPads und speziell durch die Plattform Moodle ganz neue Dimensionen.“
Moodle ist auch das Mittel der Wahl zum digitalen Unterricht, der ja am Montag wieder im Kreis Düren zum Einsatz kommen wird. Hausaufgaben werden dort hinterlegt, erledigte Aufgaben für den Lehrer hochgeladen, gemeinsam gestreamt. „Da hat Corona selbst nochmal einen Schub gegeben“, sagt Schulleiter Vogelsang. Die Vielfalt macht’s.
Medienkompetenz ist ein weiterer Baustein. Dr. Stephanie Kroesen sagt fußend auf ihren Erfahrungen: „Das ist teilweise schon wirklich erschreckend, wenn man merkt, dass wir den Schülerinnen und Schülern beibringen müssen, wie man eine vernünftige E-Mail schreibt oder Dateien richtig abspeichert.“ Die Jugendlichen müssten erkennen, dass sie mehr sein können als nur Konsumenten, sondern mit dem iPad als Arbeitsgerät aktiv etwas tun, etwas gestalten, produktiv werden können. Das birgt für die Lernenden und Lehrenden auch einen „Spaßfaktor“, der motiviert: Neben Text- und Bildbearbeitung können Videoclips gedreht und mit Tonspur versehen werden. Das Erarbeitete wird nicht mehr per Plakat, sondern digitaler Pinnwand den Mitschülerinnen und -schülern vorgestellt. „Man hat viel mehr Möglichkeiten, die Lerninhalte aufzubereiten als auf dem Papier und es lässt einen weiter denken.“ Ein Beispiel: Fächerübergreifender Einsatz ist möglich, wenn der Sportlehrer „Körbe werfen“ übt und der Mathelehrer die beschriebene Wurflinie, die mit dem Tablet aufgezeichnet worden ist, von der Klasse berechnen lässt.
Nun ist es ja nicht so, dass sich „Overbach“ erst in diesem Jahr digital auf den Weg gemacht hat: Bereits seit vier Jahren ist die Schule unterwegs zum „kreidelosen“ Unterricht. Internetfähige Smartboards ersetzen die herkömmlichen Tafeln, Dokumentenkameras die altbackenen Overhead-Projektoren (Fotos). Alle Anschaffungen, gefördert durch Landes- und Bundesmittel, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Internetanbindung zu Wünschen übrig ließ. Diese Hürde ist seit dem Shutdown genommen: Die Schule ist ans Glasfasernetz angeschlossen und „erst seitdem ist dieser Knoten geplatzt.“
Tatsächlich kam die Initalzündung aus dem Kollegium des Gymnasiums selbst, aus deren Reihen sich eine Arbeitsgemeinschaft Medienkompetenz gebildet hat. Ende September wurden mit der Förderung von Bund und Land die Lehrenden mit Diensttablets ausgestattet und da tauchte die Frage auf, was denn mit den Schülerinnen und Schülern sei? Die letzte Schulkonferenz hat bei einer Enthaltung als höchstes Gremium der Schule den Weg für die „1 : 1 Ausstattung“ gestimmt.
Das bringt natürlich Kosten mit sich: Die Geräte werden von den Eltern angeschafft und bleiben Eigentum der Kinder, administriert, also betreut werden die Pads von der Schule, „so dass sichergestellt wird, das dort die richtigen Programme hinterlegt werden“. Ein Komplettpaket mit Hülle, Versicherung und Stift wird von der Schule angeboten und Schulleiter Vogelsang sagt: „Wir versuchen unter 500 Euro zu bleiben.“ Trotzdem für viele Eltern ein anspruchsvoller Kostenfaktor. Kommt da nicht wieder die ungeliebte und stets von sich gewiesene Vokabel „Eliteschule“ wieder auf? Keineswegs, denn allen Viertklässlern soll die Möglichkeit gegeben werden, „Overbacher“ zu werden und hier sollen alle die gleichen Lernvoraussetzungen bekommen – gerade darum habe man sich gegen Tablet-Klassen und für eine schulweite Einführung der iPads entschieden.
Die Finanzierung stellt sich wie folgt dar: Es gibt Eltern, die die Summe aufbringen können. Entweder als Einmalzahlung oder aber in monatlichen 15-Euro-Beträgen. Bis 2024 kann über den DigitalPakt für die Anschaffung von mobilen Endgeräten eine Förderung abgerufen werden. Familien mit sehr schmalem Haushaltsbudget, auch jene, die keine staatlichen Unterstützung erhalten, können auf den schuleigenen Förderverein zurückgreifen. Dieser hat in einen Sozialfond einen fünfstelligen Betrag eingelegt, aus dem „auf Antrag diskret und anonym“, so Vogelsang, geholfen wird.
Übrigens nicht nur finanziell wird geholfen: Klar ist im Kollegium, dass nicht nur den Jugendlichen die Medienkompetenz fehlt. Während im Unterricht auch Cybermobbing und Klassenchats Thema sein werden, werden die Eltern geschult, wie sie Nutzungszeiten festlegen können und ein Größtmaß an Kontrolle behalten. Die bewährten Schlossvorträge sollen hier ein Ansatz sein.
Das Fazit von Stephan Hebeler: „Eins ist klar: Die Schüler scharren mit den Hufen.“