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Unkraut vergeht nicht, auch im Recht

Es gibt nichts, was es im Rechtswesen nicht gibt.

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Rat & Recht in und um Jülich Foto: ©Andrey Burmakin - stock.adobe.com / Bearbeitung: la mechky
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Manche Gesetze, Bestimmungen, Vorschriften, Regeln überdauern unverändert gefühlt und tatsächlich Jahrhunderte und bleiben rechtsrelevant oder werden eher immer absurder und bizarrer. Sie halten sich wie Unkraut im Blumengarten der hohen Jurisprudenz und wollen einfach nicht vergehen. Folgender Artikel 21 in der hessischen Landesverfassung wucherte wahrlich wie Unkraut bis 2018 in unserer aufgeklärten Bundesrepublik:

„Ist jemand einer strafbaren Handlung schuldig befunden worden, so können ihm aufgrund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.“

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Todesstrafe?

In der Tat wurde dieser Passus erst im Jahre 2018 aufgehoben. Er hatte aber auch vorher gemäß dem Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ in der Rechtspraxis keine Bedeutung mehr, da gemäß Artikel 102 des Grundgesetzes die Todesstrafe abgeschafft ist.

Unser altehrwürdiges Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit seinen 2385 Paragrafen trat bereits am 1. Januar 1900 im gesamten deutschen Kaiserreich in Kraft, hat das Ende des Kaiserreichs, die Weimarer Republik und die schreckliche Ära des Nationalsozialismus überdauert und gilt in weiten Teilen heute noch.

Aber viele Bestimmungen wurden auch reformiert oder ganz gestrichen. Letzteres galt auch für den nachfolgend zitierten § 10 des BGB, der sage und schreibe erst 1957 durch eine neue Gesetzgebung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau ersetzt wurde: „Die Ehefrau theilt den Wohnsitz des Ehemanns. Sie theilt den Wohnsitz nicht, wenn der Mann seinen Wohnsitz im Ausland an einem Orte begründet, an den die Frau ihm nicht folgt und zu folgen nicht verpflichtet ist.“

Nahezu die Hälfte aller Bestimmungen im BGB sind bis heute, über 120 Jahre später unverändert geblieben.Bemerkenswerte Beispiele sind § 1 BGB und § 923 BGB.

§ 1 BGB besagt bis heute sehr klar und verständlich: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“

Und § 923 BGB lautet auszugsweise: „Steht auf der Grenze ein Baum, so gebühren die Früchte und, wenn der Baum gefällt wird, auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen. Jeder der Nachbarn kann die Beseitigung des Baumes verlangen. Die Kosten der Beseitigung fallen den Nachbarn zu gleichen Teilen zur Last … Der Anspruch auf die Beseitigung ist ausgeschlossen, wenn der Baum als Grenzzeichen dient und den Umständen nach nicht durch ein anderes zweckmäßiges Grenzzeichen ersetzt werden kann. Diese Vorschriften gelten auch für einen auf der Grenze stehenden Strauch.“

Schon beinahe und buchstäblich erschütternd mutet die Vorschrift des § 307 des Strafgesetzbuches (StGB) an, aus der die Sanktionen für die Zündung einer Atombombe hervorgehen und die wahrlich wie folgt auszugsweise zitiert werden muss: „Wer es unternimmt, durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeizuführen und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft …“

Nur für den Fall der Tötung eines Menschen muss der Atombombenzünder mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen. Diese Vorschrift ist nicht nur Gesetzesunkraut, sondern mehr noch Gesetzesunfug. Als wenn bei Zündung einer Atombombe Menschenleben nur gefährdet würden…? Und wer wie der Kolumnenverfasser recht oft im Familienrecht unterwegs ist, der kommt bei der Lektüre des 4. Buches des BGB ins Schmunzeln ob parodistisch gelungener Pointen.

§ 1.300 BGB besagte noch bis 1998: „Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie eine billige Entschädigung in Geld verlangen.“ Heute stellt sich heute zunächst die Frage, was eine unbescholtene Verlobte und eine Beiwohnung ausmachten…. Letztlich regelte dieser Gesetzesgeniestreich den Fall der Entschädigung der vom Verlobten schmählich verlassenen Verlobten, soweit der Verlobte sich mit ihr sexuell eingelassen hatte, ihr beigewohnt hatte.

Aber wirklich bühnenreich ist der heute noch wirksame Text des § 1.314 BGB in seinem 2. Absatz, wo es heißt: „Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn 1. ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand; 2. ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt; …“ Offenbar haben die Gesetzesautoren bei Schaffung dieser Vorschrift die Reihenfolge von zunächst Hochzeit im überwiegend nüchternen Zustand und sodann erst sektgeschwängerter und damit evtl. bewusstseinseintrübender Hochzeitsfeier aus dem Blick verloren.

Im darauffolgenden § 1.315 BGB wird immerhin u.a. geregelt, dass in einem solchen Fall der Störung der Geistestätigkeit gleichwohl von der Fortführung der Ehe auszugehen ist, wenn die Eheleute dies späterhin zu erkennen geben. Heißt: Wenn die Eheleute nach ihrem Rausch wieder die Fitness zum Geschlechtsverkehr haben und diesen auch ausüben, haben sie unter Überwindung der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung den Willen zur Ehe eindeutig bekundet, und zwar bis der Tod sie scheidet.

Und um zu erkennen, wie tapfer sich Unkraut im Recht behauptet und gelegentlich gar nicht vergehen will, lassen Sie sich vom Autor dieser Kolumne abschließend ins Jahr 1831 zurückführen. In diesem Jahr marschierten 74 britische Soldaten im Gleichschritt in ihrer Heimat über eine Brücke, die daraufhin einstürzte. Das war höchst tragisch, da einige Soldaten sozusagen hinter der Front ihr Leben ließen. Man sprach damals von einer – vermeintlichen – Resonanzkatastrophe. Physikalisch bedeutete dies, dass bedingt durch den Gleichschritt der Soldaten sogenannte schwingende Wellen auf einer Brücke erzeugt werden können, die derart erstarken können, dass die Brücke beschädigt wird oder gar einstürzt.

Die Verfasser deutscher Gesetze gegenwärtigten diesen Vorfall derart bedeutungsvoll, dass sie den § 27 Abs. 6 der Straßenverkehrsordnung (StVO) schufen, der folgende Anordnung beinhaltet: „Auf Brücken darf nicht im Gleichschritt marschiert werden.“

Bitte halten Sie sich unbedingt daran und testen Sie bitte auf keinen Fall unsere neue Jülicher Rurbrücke diesbezüglich, soweit diese denn irgendwann einmal zum Überqueren zugänglich wird…Scherz… 😊

Vielleicht ist nach alledem Unkraut auch im Recht wertvoller als man ihm es allgemein zuordnet und zutraut…


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