War der Angriff der putinischen Armee auf die souveräne Ukraine die Zeitenwende in der europäischen Friedensordnung?
Hören wir gerade mit dem Sperrfeuer russischer Raketen auf das Territorium des zweitgrößten Landes Europas den Eisernen Vorhang wieder krachend fallen?
Ja, der Diktator im Kreml recycelt in der Tat mit seinem Kriegsbefehl gegen das russische Brudervolk am Schwarzen Meer den Eisernen Vorhang, den die friedliche Revolution der Menschen in der alten DDR geradezu hinweggefegt hatte.
Über Jahre haben wir Europäer – in die Watte der neuen Friedenordnung gepackt – den geradezu zaristisch ideologisierten Autokraten in Moskau, der als KGB-Emissär in Ostberlin sein Handwerk gelernt hat, als Kriegstyrannen in Tschetschenien, in Syrien, in Georgien und in der Ostukraine überwiegend unbehelligt schalten und walten lassen.
Fast dankbar haben sich die westeuropäischen Friedenstauben mit russischem Gas und Öl füttern und in desaströser Weise einlullen lassen.
Der Westen ist dem folgenschweren Irrtum aufgesessen, das von Putin autokratisch und repressiv regierte Russland in die Friedensordnung Europas einzubinden.
Und so manche ehren- und namhafte Politiker aller politischer Couleur haben sich durch das vom Kremlchef über die Jahre zunehmend propagierte Narrativ der angeblichen Bedrohung Russlands durch die Osterweiterung der NATO narren lassen.
Nur wird und wurde dabei immer wieder verkannt, dass die NATO gemäß Nordatlantikvertrag von 1949 ein militärisches Verteidigungsbündnis
Von NATO-Ländern ist im Gegensatz zu den militärischen Aggressionen des russischen Despoten noch nie ein Angriffskrieg ausgegangen.
Die historische Wahrheit ist, dass 1997 die NATO-Russland-Grundakte verabschiedet wurde.
Darin verpflichten sich die NATO-Länder und Russland zum „Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen irgendeinen anderen Staat, seine Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit“.
1998 nahmen die G7-Staaten Russland als achtes Mitglied auf.
Es gab also sehr starke Signale des Westens an Russland, sich gerade nicht bedroht zu fühlen.
Wer sich einzig nicht davon beeindrucken ließ, im Gegenteil den Westen im Wege einer jahrelangen, völlig verdrehten Lügenpropaganda in die Ecke des Aggressors gestellt hat, wird gerade durch die Ermordung und Vertreibung unschuldiger Menschen im imperialen Kriegstreiben der russischen Kohorten in der Ukraine in grausamer Weise vorgeführt.
Obendrein mutet es bereits per se seltsam an, dass Russland in der Geiselhaft Putins über die Bedrohung durch den Westen lamentiert, obwohl dieses Land das weltweit größte Arsenal von Atomsprengköpfen verfügt.
Putin desavouiert mit seinen Großmachtambitionen seine eigene Bedrohungslitanei und schafft das Bedrohungsszenario, vor dem er selbst warnt, indem er nämlich den Angriffskrieg gegen die Ukraine befohlen hat, um die dortige demokratisch gewählte Regierung abzusetzen und das souveräne Land dem Staatsgebiet Russlands einzuverleiben.
Denn bedroht sieht Putin seinen vertikal-autokratisch aufgebauten Machtapprat einzig durch den Demokratie- und Freiheitswillen der Menschen in der Ukraine, der gemäß seiner Befürchtung zunehmend auf die russischen Bürger überzugreifen droht.
Und was machen wir im Angesicht täglicher todbringender Zerstörung durch den russischen Waffengang in dem Land der Menschen, die sich von November 2013 bis Februar 2014 in der Protestbewegung des Kiewer Euromaidan ihre Freiheit und Unabhängigkeit mutig und furchtlos erkämpft haben und sich selbst mit dem Grauen des jetzigen Krieges im Nacken unbeirrt und geradezu heldenhaft gegen die Übernacht des Aggressors stemmen?
Wir Europäer und Amerikaner schauen außerhalb des noch nie da gewesenen westlichen Sanktionspakts gegen Russland und seiner totalen Isolierung in militärischer Hinsicht gefangen in einem grausamen Dilemma mehr oder minder zu.
Denn die NATO (North Atlantic Treaty Organisation) kann und darf nicht eingreifen, die Ukraine ist kein NATO-Bündnispartner.
Natürlich kann und muss die Frage gestellt werden, wie Putin sich geriert hätte, wenn die Ukraine zumindest nach der russischen Krim-Annexion 2014 in die NATO aufgenommen worden wäre.
Dann wäre nämlich bei einem russischen Angriff auf das NATO-Mitglied Ukraine nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages der sogenannte Bündnisfall eingetreten.
Wörtlich heißt es in diesem Artikel 5:
„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird…“
Aus diesem Leitsatz ergibt sich die Beistandspflicht eines jeden NATO-Landes für das andere. Wenn nämlich ein NATO-Land angegriffen wird, unterstützen es die anderen NATO-Länder gemeinschaftlich, z.B. mit der im NATO-Gebiet schnell verlegbaren Eingreiftruppe (NRF = Nato Response Force).
Daraus wird auch das Verständnis der NATO als reines Verteidigungsbündnis klar.
Nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrages können die Parteien einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind.
Daraus ergibt sich aber noch keine Pflicht zu handeln.
Im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine fühlen sich die angrenzenden baltischen Länder bedroht und haben solche Beratungen gefordert.
Die Unkalkulierbarkeit des Vorgehens des Kreml-Chefs beinhaltet ein nicht unbeachtliches Bedrohungspotential auch und gerade für die Ostflanke der NATO und die davon betroffenen Länder wie z. B. im Baltikum oder wie Polen, Ungarn und Rumänien.
Überschreitet Putin die rote Linie eines Angriffs auf NATO-Gebiet und provoziert damit den NATO-Bündnisfall und damit nichts anderes als den 3. Weltkrieg?
Bis vor kurzem unfassbare Szenarien, mit denen sich die westlichen Staatenlenker gleichwohl auseinandersetzen müssen, was sie bislang in sehr besonnener und geschlossener Weise getan haben, um Putin nicht unnötig zu provozieren.
Denn mit diesem machtversessenen Despoten bringt sich der Westen nach jetziger Erkenntnis nur mit militärischer Stärke und konsequenter politischer Verteidigung der Errungenschaften von Freiheit und Demokratie auf Augenhöhe, was letztlich auch auf die so tapferen wie gepeinigten Ukrainer ermutigend ausstrahlt.
Der Eiserne Vorhang ist durch Putin recycelt worden.
Tun wir alles dafür, dass er bis tief in die Ostukraine für Demokratie und Freiheit durchlässig bleibt, um sich späterhin auch für das russische Volk wieder heben zu können.
#standwithukraine