In der NS-Diktatur wurde die Gewaltenteilung zwischen Legislative (Reichstag), Exekutive (Regierung) und Judikative (Gerichtsbarkeit) restlos ausgeschaltet, jegliche Menschenrechte wurden konsequent mit Füßen getreten.
Die apokalyptische Ermordung von Millionen von Juden, von Sinti und Roma, von behinderten und kranken Menschen erzeugte zumindest kaum Aufbegehren in den Teilen der mitwissenden deutschen Justiz.
Im Gegenteil sind zu Halunken pervertierte Juristen wie Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofs, „die schreiende Bestie mit der roten Robe“ genannt in die Geschichte eingegangen.
Freisler verhängte in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit nicht weniger als 2.500 Todesurteile.
Auch Franz Schlegelberger, damaliger Staatssekretär im Reichsjustizministerium, zeichnete sich durch regimedevote Skrupellosigkeit aus, indem er z.B. die Polenstrafrechtsverordnung erließ.
Diese sah in unsäglicher Weise die Todesstrafe für Polen vor, wenn sie regimetreue Plakate abrissen.
Widerstand gab es in der deutschen Justiz des 3. Reiches nur vereinzelt.
So begehrte der Amtsrichter Lothar Kreyssig gegen das Unrechtssystem auf, indem er sich neben wenigen deutschen Richtern unter Berufung auf seine richterliche Unabhängigkeit weigerte, der NSDAP beizutreten.
Kreyssig war auch der einzige Richter im NS-Deutschland, der öffentlich die Euthanasie, in diesem Falle die Ermordung von tausenden Behinderten anprangerte.
Hitler hatte von vorne herein eine starke Abneigung gegen die bei seinem Machtantritt bestehende Rechtsstaatlichkeit.
Dies hatte gewiss vornehmlich autobiographische Gründe, hatte ihn doch die Justiz der von ihm verachteten Weimarer Republik nach seinem Ende 1923 angeführten Putschversuch im Jahre 1924 zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt.
Bekanntlich nutzte Hitler diese unfreiwillige Klausur, um sein berüchtigtes literarisches Manifest „Mein Kampf“ zu verfassen.
Hitler hat die wahnwitzige These vertreten, dass kein vernünftiger Mensch Rechtslehren verstehen könne, die Juristen sich auch und gerade unter dem jüdischen Einfluss zurechtgelegt hätten. Er werde das Studium der Rechtswissenschaften so verächtlich machen wie möglich, denn es sei eine einzige Erziehung zur Verantwortungslosigkeit.
Er werde dafür sorgen, dass aus der Justizverwaltung bis auf 10 % wirklicher Auslese an Richtern alles entfernt werde. (Vorstehendes nachzulesen im 1963 erschienenen Buch seines Biographen Henry Picker „Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941 – 1942“).
So wurde denn auch nach Hitlers Machtergreifung durch die Nazi-Schergen leider unter teilweiser Unterstützung anderer im Reichstag vertretener Parteien zu aller erst die Weimarer Verfassung ausgesetzt, später jede Rechtsstaatlichkeit, also vor allem den Instanzenzug beseitigt und zunehmend ein Polizeistaat, in dem die Staatshoheit in Form der Verwaltung und der damaligen Polizeikräfte SA und SS die absolute Kontrolle über die Bürger ausübte, installiert.
Warum versagte die deutsche Justiz in der Zeit der braunen Nazi-Diktatur derart, nicht gegen ihre eigene Pervertierung zu einer willfährigen, sich dem NS-Regime versklavenden, menschenverachtenden und gleichgeschalteten Unrechtsmaschinerie aufzubegehren?
Hierzu haben sich in den letzten Jahrzehnten unzählige Historiker und Politologen und – ja – Juristen in vielfältigen und große Bibliotheken füllenden Abhandlungen beschäftigt und ist daher an dieser Stelle, die der Kürze des Wortes verpflichtet ist, selbstredend keine auch nur annähernd aufschlussreiche und erklärende Antwort oder gar Analyse angemessen.
Nur so viel, und zwar lediglich als angerissener Erklärungs- und nicht Rechtfertigungsversuch:
Das Versagen der Justiz während der NS-Herrschaft hatte wohl etwas mit dem allgemeinen Verständnis von Rechtsanwendung zu tun.
Gesetze sind vielfach nicht starr, sondern bedürfen der Auslegung.
Dabei lassen sich in der Rechtspflege tätige Juristen in gewissem Maße auch vom jeweiligen Zeitgeist beeinflussen.
Nur das Grundübel im 3. Reich war, dass sich die Vertreter der Rechtspflege, mithin Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte nicht nur beeinflussen, sondern in großen Teilen völlig manipulieren ließen und zum Nationalsozialismus übergelaufen waren.
Obendrein hatten sich diese Juristen dem Positivismus verschrieben, haben also Recht nach der beliebigen Rechtslage angewendet, für die sich der Staat allein verantwortlich fühlte.
Diese Beliebigkeit juristischer Argumentation war für die Manipulierbarkeit der Juristen in der NZ-Zeit stark mitverantwortlich.
Ebenso war es der Irrglaube der Juristen an die einzig wirklich existierende Autorität der oberen Gerichte, der der Abschaffung der Schutzmechanismen des Rechtsstaatsprinzips und der schnellen Gleichschaltung der Justiz Vorschub leisteten.
Denn die Obergerichte wie das Reichsgericht mit seinem besonderen Strafsenat und insbesondere der Volksgerichtshof als Ausleger und Instrumente der herrschenden NS-Diktatur übten letztlich die Oberhoheit jeglicher Rechtsprechung aus, da von ihnen sämtliche Entscheidungen unterer Gerichte im Schnellverfahren kassiert werden konnten.
Damit konnte die Entfremdung der Justiz von der Menschlichkeit als eine Ausformung des Nazi-Terrors auch und gerade unter dem Deckmantel der schwarzen Juristenrobe voranschreiten, was in besonders grausamen Maße durch den Erlass der Rassengesetze im Jahre 1935, die u.a. die sexuelle Beziehung zwischen sog. Herrenmenschen, sog. Ariern und sog. Untermenschen wie Juden mit der Todesstrafe bedrohten, kulminierte.
Justitia trat erst wieder mit der Gründung unserer Bundesrepublik Deutschland und Abfassung unseres Grundgesetzes aus der tiefen Nacht des 3. Reiches heraus, um sich in das strahlende Licht von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu begeben.