Art. 2 Grundgesetz (GG) lautet: „(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Dieses Grundrecht No. 2 rangiert in der Hitliste bundesdeutscher Schlagzeilen derzeit mit Abstand auf Platz 1.
Warum ist das so?
Wohl selten nach Schaffung unseres Grundgesetzes hat es einen derart kontroversen Diskurs zu einer Grundrechtskonkurrenz gegeben wie in der aktuellen pandemischen Krisensituation.
Ein Mikrovirus bringt so manche überkommene politische und juristische Anschauung ins Wanken, wenn es um die Abwägung zwischen dem Vorrang von Freiheitsrechten einerseits und dem Gesundheitsschutz andererseits geht.
Schutz auf Leben und Gesundheit versus Schutz der körperlichen Unversehrtheit?!
Die heiß entbrannte Diskussion um die Einführung der Impflicht gegen das Coronavirus wirbelt einen regelrechten Argumentationstsunami eher unter selbst ernannten als wirklich namhaften Fachleuten auf.
Ein Sturm im Wasserglas? Ich meine ja.
Denn wie wollen wir aus der Corona-Dauerschleife mit all den freiheitseinschränkenden Maßnahmen herausfinden als mit der Impfung und unserer Verpflichtung dazu?
Es bedarf keiner verfassungsrechtlichen Höhenflüge, sondern wohl mehr des gesunden Menschenverstands, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass einzig der winzige Pieks das große Tor zurück zur (Corona-)Freiheit aufstößt.
Verfassungsrechtlich tritt jedenfalls dieser Impf-Pieks als Minieingriff in die körperliche Unversehrtheit meilenweit hinter dem Kampf gegen den pandemischen Krankheitskollaps und damit verbundenen freiheitsrechtlichen Ausnahmezustand zurück.
Die Impfpflicht ist das weitaus mildere Mittel als der permanente Lockdown-Ein- und Ausstieg.
Mit der Impfung und der Verpflichtung zu dieser holen wir uns unsere Freiheitsrechte zurück und verstoßen nicht gegen diese.
So sieht dies auch eine große Mehrheit von Staatsrechtlern wie u.a. Prof. Ulrich Battis, Prof. Hinnerk Wißmann, Prof. Uwe Volkmann, Prof. Franz C. Mayer und Prof Stefan Huster.
Die Impflicht sei, so Prof. Wißmann, Verwaltungsrechtler an der Universität Münster, das weitaus mildere Mittel, „wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen“.
Laut Prof. Volkmann, Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht an der Goethe-Universität in Frankfurt sei die verfassungsrechtliche Eingriffstiefe der Impflicht deutlich geringer anzusetzen als die andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitsbeschränkungen.
Vorherrschend geht die Meinung der Verfassungsrechtler dahin, dass die Freiheitsrechte des Einzelnen dort enden, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind.
Genau diese Gefahr bestünde aber nach Auffassung des Bielefelder Rechtsprofessors Franz C. Mayer, wenn die Impfkampagne nicht gelingt.
Und diese könne, so ist der Bochumer Verfassungs- und Gesundheitsrechtler Stefan Huster überzeugt, nur mit der Schaffung der Impflicht gebannt werden.
Es sei lange genug öffentlich über die Notwendigkeit der Impfung gegen Corona debattiert worden, ohne dass die Impfquote merklich gestiegen sei.
Gutes Zureden helfe nicht mehr, nun sei die Politik gefordert, gesetzliche Grundlagen für die Impflicht zu schaffen.
Diese Gesetzgebung macht jedenfalls der in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG festgeschriebene Gesetzesvorbehalt ohne weiteres verfassungsrechtlich möglich.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenso gewahrt, da die Impflicht aus vorstehend genannten Gründen des Vorrangs des Lebens- und Gesundheitsschutzes vor dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit gleichermaßen geeignet, erforderlich und angemessen ist, um der pandemischen Lage und damit weitergehenden Bedrohung unserer Freiheitsrechte erfolgreich entgegenzuwirken, ohne dass im Übrigen erwiesenermaßen die Impfung unvertretbare Nebenwirkungen nach sich zieht.
Ein wesentlicher gesellschaftspolitischer Effekt der Impflicht ist überdies hervorzuheben.
Die spalterischen und moralisierenden Hetzkampagnen der Corona-Leugner würden mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Impflicht zumindest merklich zurückgedrängt.
Denn die Impflicht würde im Sinne der Gleichbehandlung aller Bürger*innen im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes letztlich für gesellschaftspolitische Klarheit und Rechtssicherheit sorgen und damit den Krawallmachern, denen es nur vordergründig um den Protest gegen die Corona-Politik, eigentlich aber um die Abschaffung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht, den Nährboden für ihre irrationalen Protestpossen entziehen.
Nun sind die Politik, unsere Regierung und unser Parlament gefordert, so mutig wie besonnen und gegen jede extremistische Anfeindung zu handeln, um möglichst zügig die Impflicht zu kodifizieren.
So kann das dem Art. 2 GG immanente Spannungsfeld von Grundrechten zur Nummer 1 im erfolgreichen Kampf gegen Corona werden.